Wo früher der 3er seine Schlaufe drehte, werden künftig Wohnungen stehen. Möglich machte dies die Verlängerung der Tramlinie bis nach St. Louis, wodurch die Schlaufe obsolet wurde. In einem offenen Wettbewerb wurde Vorschläge für die Neubebauung gesucht – und gefunden. Das Siegerprojekt von Ballmoos Partner überzeugte die Jury «durch gelassene Eleganz und grosse Selbstverständlichkeit.» Wir werfen einen Blick auf die sechs rangierten Projekte.
Eins vorneweg: Im Städtevergleich Basel-Zürich gewann die «Auswärtsmannschaft» deutlich. Die ersten drei Plätze gingen allesamt an die Limmat. Ob es ein Zeichen dafür ist, dass Wohnungsbau in der Zwinglistadt auf einem anderen Level betrieben wird, steht auf einem anderen Blatt. Abseits aller Rivalitäten war der Wettbewerb in Sachen Nachwuchsförderung ein voller Erfolg: Vier der sechs preisgekrönten Projekte stammten aus der Feder von Nachwuchsteams. Insgesamt 71 Beiträge waren eingegangen «mit einem breiten Spektrum an unterschiedlichen Lösungsvorschlägen zur städtebaulichen Setzung, zu den Grundrissen und Wohnungstypologien sowie zur Nachhaltigkeit.» Das Fazit der Jury ist postiv: «Jeder Beitrag hat auf seine Art die Debatte bereichert.» Wir finden: Es lebe der offene Wettbwerb.
Unter der Zielsetzung «Sozial, ökologisch, günstiger!» sollten Projekte für rund 32 Wohnungen entwickelt werden, welche durch die Sozialhilfe für betreute und benachteiligte Personengruppen genutzt werden. Zusätzlich sollen im Erdgeschoss des Neubaus ein Doppelkindergarten und eine Tagesstruktur Platz finden. «Diese leisten für Eltern und Kinder aus dem Quartier einen wichtigen Beitrag zu Betreuung und damit zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie», wie der Kanton schreibt. Einstimmig vergab die Jury unter dem Vorsitz von Kantonsbaumeister Beat Aeberhard den 1. Preis an das Projekt «ASSEMBLE!» von Ballmoos Partner Architekten aus Zürich: «Insgesamt erfüllt der Projektvorschlag des Siegerteams die komplexe Aufgabenstellung am besten. In Verbindung mit den sorgfältig und differenziert gestalteten Aussenräumen gelingt den Autoren ein architektonisch und stadträumlich sehr überzeugender Beitrag für den Neubau eines sozialen, ökologischen und günstigen Wohnhauses an der Burgfelderstrasse. Die Grundrisse sind einfach aber gut proportioniert.»
Die programmatischen Schlagworte «Sozial, ökologisch, günstiger!» verloren bei genauerer Betrachtung des Juryberichts etwas an Schlagkraft. «Die relativ komplexe Gebäudehülle und die grossen Fensterflächen werden kontrovers diskutiert», heisst es beim Siegerprojekt. Ob so «ökologisches» Bauen aussieht, sei dahingestellt. Letzlich ging es um Architektur. Insbesondere die stadträumliche Setzung des Projekts von Ballmoos Partner ist äussert überzeugend. Macht euch selbst ein Bild! Die Wettbwerbsausstellung wird am 17.8. eröffnet. Gerne präsentieren wir vorab einen Blick auf die sechs rangierten Projekte. Die Textauszüge stammen aus dem Jurybericht.
1. Rang / 1. Preis
ASSEMBLE!
von Ballmoos Partner Architekten, Zürich
«Das Projekt entwickelt aus dem Dialog mit der denkmalge- schützten Tramwartehalle eine eigenständige und einzigartige städtebauliche Figuration, die in angenehmen Kontrast zu den strengen Zeilenbauten steht, sich aber gleichzeitig räumlich auf die Geometrie der neuen Bebauung auf der anderen Strassenseite bezieht. Segmentartige, zum Hof aufgefächerte Baubereiche fügen sich zu einem konglomeraten Baukörper, der durch seine Formung drei unterschiedliche Bereiche schafft. Durch das Ausdrehen der drei Par- tien entsteht zur Strasse ein gefasster, baumbestandener Zugangsbereich für den Kindergarten, der sich in der Folge zum grosszügigen Garten öffnet. Gleichzeitig wird durch das Abdrehen nach Osten eine Art Kopfsituation ausgebildet, die auf die Tramwartehalle reagiert und sie geschickt freispielt. Das neue Haus verortet sich so präzise in seinem Kontext und nimmt mit seiner Geometrie gleichzeitig Bezug zur historischen Situation mit der Tramwendeschlaufe.»
«Das Projekt fasziniert durch gelassene Eleganz und grosse Selbstverständlichkeit. Die aus der Position der ehemaligen Tramwendeschlaufe abgeleitete, geometrische Disposition entsteht aus einem sensiblen Verständnis für den Ort und wird in der Folge als stringente Konstruktionsidee weitergedacht. Die als Stahl- Holzkonstruktion entwickelte Bauweise geht dabei von einer klaren Trennung der Bauteile aus und artikuliert in ihrer kompositen Bauform eine interessante Massstäblichkeit. Das mit Wellblech verkleidete Haus mit den türkisfarbenen Pergolaelementen hebt sich in seiner Filigranität und Differenziertheit wohltuend vom aktuellen Mainstream ab und findet neben dem eher biederen Bestand zu einer starken und eigenständigen Präsenz. Grundrisslich schafft es das Projekt, alle Elemente des Raumprogrammes überzeugend und ohne Zwang zu organisieren. Gleichzeitig entsteht eine intime, wie auch sehr offene Wohnwelt, die auf die Bedürfnisse der angedachten Bewohnerinnen und Bewohner zugeschnitten ist. Als Ergänzung zu den gut differenzierten, privaten Wohnbereichen bieten die gemeinsame Dachterrasse und die zur Quartierwerkstatt umgenutzte Tramwartehalle willkommene gemeinschaftliche Nutzungen für das Haus und das Quartier an.»
«Insgesamt erfüllt der Projektvorschlag die komplexe Aufgabenstellung am besten. In Verbindung mit den sorgfältig und differenziert gestalteten Aussenräumen gelingt den Autoren mit dem Projekt «assemble!» ein architektonisch und stadträumlich sehr überzeugender Beitrag für den Neubau eines sozial, ökologisch und günstigen Wohnhauses an der Burgfelderstrasse.»
2. Rang / 2. Preis
BICICLETTA
ARGE Studio Burkhardt mit Lucas Michael Architektur, Zürich
«Mit seiner städtebaulichen Erscheinung gelingt es dem Ent- wurf als Ergänzung der Kommunalsiedlung Pfaffenhof zu erscheinen und gleichzeitig einen urbanen Akzent im Verlauf der Burgfelderstrasse zu setzen. Die Höhenentwicklung des siebenstöckigen Volumens sorgt mit einer Traufkante auf Höhe der Bestandsgebäude für Kontinuität im Strassenverlauf. Gemäss nicht verbindlichen baurechtlichen Abklärungen ist jedoch die Ausbildung von drei Dachgeschossen nicht erlaubt und der Entwurf in der vorliegenden Form nicht realisierbar.»
«Ein kompaktes Volumen, ein geringer Fensteranteil, effiziente Grundrisse und sparsame Raumhöhen, deuten verbunden mit einem hohen Vorfertigungsgrad und einfachen Detaillösungen auf eine wirtschaftliche Investition hin. Die einfache Anpassbarkeit der Grundrisse verspricht auch eine langfristige Werthaltigkeit der ins Werk gesetzten Materialien. Ein niedriger Energieverbrauch, die bedarfsgesteuerte Lüftung und die Nutzung von eigens produziertem Strom sind die Grundlage für langfristig geringe Betriebskosten.»
«Ein kompaktes Volumen, ein geringer Fensteranteil, effizi- ente Grundrisse und sparsame Raumhöhen, deuten verbunden mit einem hohen Vorfertigungsgrad und einfachen Detaillösungen auf eine wirtschaftliche Investition hin. Die einfache Anpassbarkeit der Grundrisse verspricht auch eine langfristige Werthaltigkeit der ins Werk gesetzten Materialien. Ein niedriger Energieverbrauch, die bedarfsgesteuerte Lüftung und die Nutzung von eigens produziertem Strom sind die Grundlage für langfristig geringe Betriebskosten.»
3. Rang / 3. Preis
MUT ZUR LÜCKE
ARGE BLUSCH mit Studio Marae, Zürich
«Mit einem einfachen und präzis gesetzten Volumen wird die freie Lücke der ehemaligen Tramwendeschlaufe geschlossen. Das Gebäude komplettiert die ortsübliche Zeilenstruktur der Kommunalsiedlung Pfaffenholz mit respektvollem Abstand zur Tramwartehalle von Julius Maurizio. Diese bekommt durch die stirnseitig einspringenden Ecken Raum zu freien Entfaltung. Aus denkmalpflegerischer Sicht ist das entspannte Nebeneinander der beiden Bauten denkbar. Der Freiraum ist klar aufgeteilt und sinnvoll zugeordnet. Auf der östlichen Seite ist auf die gesamte Parzellentiefe ein öffentlicher Quartierplatz geplant. Die Tramwartehalle übernimmt quartierdienliche Funktionen wie eine «Do it yourself» Velowerkstatt und Sanitäranlagen. Die südliche Freifläche ist mit Hecken umsäumt und dem Doppelkindergarten zugeordnet.»
«Eine der Stärken des Projektes ist der Übergang zwischen dem Laubengang und den Wohnungen. Das Ablösen der Laubengangerschliessung und das Einfügen kleiner begrünter Lichthöfe schafft Distanz zu den Bewohnern. Um das Zusammenleben zu regeln und Grenzen zum Privaten zu kennzeichnen, lassen sich die Stege zu den Aussenräumen der Wohnungen mit Türchen schliessen. Wahrlich eine kleine Erfindung ist die vorgeschlagene Möglichkeit, die Küche durch das Umlegen zweier Türen um den Aussenraum zu erweitern und dadurch eine «Freiluftküche» zu generieren. Bedauerlicherweise erfüllt die Erschliessung über den schmalen Steg und den Aussenraum die Brandschutzvorgaben nicht.»
«Die im Programm vorgegebenen Ziele «sozial, ökologisch, günstig» wurden von den Verfassenden ernst genommen und in ein einfach strukturiertes, ökonomisches Projekt umgesetzt. Es ist sowohl funktional als auch räumlich weitge- hend überzeugend gelöst und überrascht mit innovativen Ideen. Leider vermag das Projekt die Lärmschutz- und Brandschutzvorgaben nicht einzuhalten.»
4. Rang / 4. Preis
ZEITUNGEN UND CIGARETTEN
BGM Architekten, Basel
«Die Setzung des sechsgeschossigen Neubaus greift die zur Burgfelderstrasse bestehenden, höheren Zeilenbauten auf. Zur alten Tramwartehalle an der Waldighoferstrasse bildet der Baukörper einen Platz aus, indem die Fassade diagonal nach hinten zuläuft und einen spannungsvollen Dialog zum denkmalgeschützten Häuschen entstehen lässt. Mit der Ausformulierung der Kopffassade des Neubaus sowie der städtebaulichen Zäsur entsteht ein markanter, identitätsstiftender Auftakt zur Siedlung Pfaffenholz, an dem sich auch der Zugang zu den Wohnungen und Büros befindet.»
«Ökologische Nachhaltigkeit wird durch die kompakte Kubatur, die Laubengänge und Balkone, die schattige Plätze und Pufferzonen bieten, die nutzungsneutrale Raumskulptur in Holzskelettbauweise, sowie die daraus resultierende Flexibilität und Systemtrennung angestrebt. In diesem Sinne fallen aus konstruktiver Sicht die geringen Spannweiten, die lineare Lastabtragung sowie ein hohes Potential für Vorfabrikation positiv auf. Das UG wird relativ klein gehalten und trägt damit zu Ressourcen schonendem Bauen bei. Die Deckenkonstruktionen wirken unterdimensioniert und wirken sich im Zusammenhang mit den geringen Aufbauten nachteilig auf den Luft- und Körperschallschutz aus. Entsiegelte Flächen befinden sich vor allem rückseitig des Gebäudes. Der neue Platz sowie ein Teil der Kindergarten- spielfläche erhalten einen durchgehend festen Belag, so dass dort grössere Flächen versiegelt werden»
«Die sich im Inventar schützenswerter Bauten befindende Tramwartehalle wird auf die Tragstruktur zurückgebaut, um die neue Nutzung eines Fest- und Begegnungspavillons für Quartiers- und Hausbewohner aufnehmen zu können. Zur Burgfelderstrasse hin wird eine verglaste Öffnung eingefügt, die rückseitige Wand der Tramwartehalle erhält eine kreisrunde Öffnung, die, zusammen mit der Entfernung sämtlicher Innenwände, als kritisch betrachtet wird. Positiv bewertet wird dagegen der Erhalt der charakteristischen Theke»
5. Rang / 5. Preis
DEFINITELY MAYBE
Foeldvary Staehelin, Basel
«Der Projektvorschlag ordnet sich ortsbaulich in die bestehenden Zeilenbauten ein und beschränkt sich dabei auf einen möglichst kompakten fünfgeschossigen Baukörper mit einem allseits zurückspringenden Attikageschoss. Damit gelingt eine gute Einbindung in den viergeschossigen Strassenzug. Durch die ausgenommene Ecke an der südöstlichen Fassade und die daraus resultierende schmale Stirnfassade werden die Proportionen der Nachbarzeilen aufgenommen und die ehemalige Tramwartehalle erhält grundsätzlich genügend Raum. Dabei untergräbt die analoge Fassung des Vordaches den Solitärcharakter der Tramwartehalle, was aus denkmalpflegerischer Sicht nicht wünschenswert ist. Ebenfalls werden die analoge Farbgebung und die zusammenfassende Mauer in diesem Kontext als kritisch beurteilt. Obwohl der Vorgarten durchaus quartierüblich ist, vermag er an dieser Stelle der Erinnerung an die ehemalige Wendeschlaufe nicht ganz gerecht zu werden.»
«Insgesamt handelt es sich um einen gut durchgearbeiteten Vorschlag, der über die Themenfelder Effizienz und Suffizienz zu stadträumlicher Kompaktheit zu gelangen versucht. Wohltuend dabei ist, dass die Strassenfassade ohne Laubengang auskommt, obwohl hier auch gleich die Schwä- che zum Vorschein kommt. Die innere Erschliessung vermag nicht über alle Geschosse restlos zu überzeugen und wird zur Achillesferse des Projektes.»
6. Rang / 6. Preis
DRÄMMLI
Architecture Club, Basel
«Die Projektverfassenden beschreiben die Setzung des Neubaus als logisch lineare Fortsetzung der bestehenden Siedlung. Die formulierte Ecke als Eingang des Wohnhauses im Dialog mit der bestehenden Tramwartehalle bildet einen kleinen Platz, der die Durchlässigkeit der vorhandenen Siedlungsstruktur bestärken soll. Das Hauptvolumen entspricht dem Massstab der Nachbargebäude. Ein strassenseitig offener Laubengang und eine gartenseitige Balkonschicht sind an den Längsseiten über die ersten fünf Geschosse vorgelagert. Die beiden zurückversetzten Dachgeschosse werden funktional, volumetrisch wie gestalte- risch bewusst vom Hauptkörper differenziert.»
«Die atmosphärischen Bilder und die referenzierte Idee zur Bauweise werfen jedoch einige Fragen in Bezug auf Verein- barkeit und deren Umsetzbarkeit auf Die Aussagen zur Konstruktion und Materialisierung sind zwar weitgehend nachvollziehbar und weisen Potenzial zur ökologischen Bauweise auf. Die Darstellungen sind diesbezüglich jedoch nicht ganz deckungsgleich und lassen Klarheit vermissen. Die vorgeschlagene Bauweise mit dem sich wiederholenden Grundtypus verspricht zwar eine hohe Systematisierung, doch das System verhält sich relativ starr, ist bei grösseren Einheiten wenig ressourcenschonend und lässt letztendlich eine überzeugende Verschiedenheit an Wohnungen vermissen. Insgesamt fächern die Verfassenden viele ansprechende Bilder und Referenzen auf, vermögen diese aber nicht über- zeugend in ein funktionierendes Ganzes zu vereinen.»
Info Wettbewerbsausstellung
Die Wettbewerbsbeiträge können von Montag bis Freitag, 18. bis 27. August 2021 von 17 bis 20 Uhr sowie am Samstag, 21. August von 11 bis 14 Uhr besichtigt werden. Am Sonntag ist die Ausstellung geschlossen. Die Ausstellung findet statt an der Elsässerstrasse 215 a, 4056 Basel, Eingang Elys.