Vom Lothringerplatz kommend, biegt man um die Ecke in den Beckenweg und befindet sich mitten im Lysbüchel-Areal, dem Portal zum künftigen Stadtteil VoltaNord. Jeder observierende Stadtbewohnende bemerkt sofort, hier weht ein anderer Wind als auf den eben noch passierten urbanen Plätzen entlang der Voltastrasse. Unzählige Kinder rennen umher oder sitzen mit Strassenmalkreide in der Hand auf dem Boden, gesäumt von E-Cargobikes, gerahmt von bunten Fassaden. Auf der rechten Seite, hinter der ikonischen Lyse-Lotte, befindet sich das Objekt unserer Neugierde – das Weinlager.
Kurz vor Fertigstellung haben wir bereits ausführlich über die Wohnmaschine ganz im Sinne des Zeitgeists berichtet und festgestellt, dass die Umnutzung des Weinlagers das Spektrum des Wohnungsangebots in Basel ungemein erweitert und einen spannenden Beitrag zu einer nachhaltigen Wohnkultur leistet. Wie zu erwarten, hat der Umbau von Esch Sintzel Architekten alle bedeutenden Preise gewonnen. Unter anderem den «Hasen in Gold», verliehen vom Hochparterre und die Auszeichnung «Gutes Bauen» der Kantone Basel-Landschaft und Basel-Stadt.
Die populäre und erfolgreiche Aura des Gebäudes macht uns umso neugieriger und wir fragen uns: Wie wohnt und lebt es sich denn nun in dieser preisgekrönten Architektur? Wie empfinden die Bewohnenden, die das Gebäude schlicht und einfach ihr Zuhause nennen, das Wohnen und Leben im ehemaligen Weinlager?
Demnach möchten wir zu Beginn die Bewohnerin vorstellen, die so freundlich war, uns ihr neues Zuhause zu zeigen und das Leben im Weinlager aus ihrer Sicht zu schildern, und bedanken uns vorab recht herzlich für ihre Offenheit und Ehrlichkeit. Viktoria lebt in einer 2.5-Zimmer-Wohnung im zweiten Obergeschoss. Sie kennt das Gebäude noch als Coop-Weinlager und hätte man sie damals gefragt, wäre das Leben auf einem ehemaligen Industriegelände für sie unvorstellbar gewesen, weshalb sie es jetzt umso spannender findet, in einem derart transformierten Quartier und Gebäude zu leben.
Über die Anzahl der Bewerbungen für die Wohnungen kursierten absurd hohe Zahlen. Obwohl sie glaubte keine Chance zu haben, hat sie ihr Glück probiert und wurde zu Gesprächen mit der Stiftung Habitat, Bauherrschaft und Vermieterin, eingeladen. Bei einem ersten Gespräch konnte sie das Haus noch während der Bauphase besichtigen. Zu einem zweiten Gespräch wurde sie dann in die ausgewählte Wohnung eingeladen und gefragt, was ihr am Haus gefalle und ob sie sich vorstellen könne, in einem grossen und durchmischten Haus zu wohnen.
Denn bei diesem Projekt setzte die Stiftung, die sich bekanntermassen für eine wohnliche Stadt und bezahlbare Mieten einsetzt, voll und ganz auf Durchmischung. Schon bei der Entwicklung des Areals Lysbüchel Süd galt Vielfalt als städtebauliches Konzept. So auch bei der Umnutzung des Weinlagers. Entstanden sind 64 Wohnungen in Grössen von 1.5 bis 7.5 Zimmern und für das ,Wohnen im bunten Miteinander’ sollte eine ,kunterbunt durchmischte Mieterschaft’ gefunden werden.
Bereits im ersten Beitrag haben wir erörtert, weshalb ,ein umgebautes Haus wertvoller ist als ein Neubau’. ,Weil es die Anpassungsfähigkeit schon bewiesen hat’ und ein Umbau eine grössere kreative Energie freisetzen kann, als dies ein Neubau vermag. Auch Viktoria findet das Haus super. Vor allem, weil der Bestand und die Umbaumassnahmen aufgrund der roh belassenen Oberflächen allerorts ersichtlich sind und den ursprünglichen Charakter des Hauses weiterentwickeln, statt ihn zu überformen. Die drei Untergeschosse und die Struktur aus Stützen und Decken blieben bis zum 3. Obergeschoss bestehen. Die allseits bekannten Pilzstützen sind das Gestaltungshighlight des Gebäudes, auch wenn diese in den nicht durchgesteckten und trotzdem sehr tiefen Wohnungen sehr viel Licht wegnehmen, weshalb die Küchen kaum ausreichend natürlich belichtet scheinen.
Esch Sintzel Architekten versuchen Wohnungen zu planen, die dem Leben entsprechen und Viktoria kann bestätigen, dass dieser Versuch geglückt ist. Mit nur 48 m² ist die Wohnung für zwei Personen zwar verhältnismässig klein, aber fein. Im Sinne der Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung sollten Menschen nicht mehr Wohnraum belegen als sie benötigen, weshalb sie die Platz-Verhältnisse und das Preis-Leistungs-Verhältnis gelungen und die gemeinschaftlich genutzten Joker-Zimmer, Waschküchen, den Gemeinschaftsraum und die Dachterrasse absolut sinnvoll findet. Den fehlenden Stauraum lässt der günstige Mietzins vergessen, wohingegen der grosszügige Balkon eine echte Bereicherung für ihr Leben darstellt. Wann immer es die Temperaturen zulassen, wohnt sie nun draussen.
Schaut man sich in der Wohnung um, erkennt man schnell, dass den Architekten bei der Gestaltung freie Hand gelassen wurde und sie aufgrund der nötigen Freiheit ausgezeichnete Arbeit leisten konnten. Solch gestaltete Küchen und Bäder hat Viktoria noch in keiner Mietwohnung gesehen und findet das detailliert und geschmackvoll ausgearbeitete Farbkonzept sehr gelungen. Die rohen Oberflächen der bestehenden Bauteile, die Wahl der neuen, ergänzenden Materialien und das Farbkonzept tragen ihrer Meinung nach erheblich zur Qualität der Wohnungen bei und sie weiss, dass diese nicht nur für Menschen mit kreativem Hintergrund, sehr wertvoll ist. Auch Marco Rickenbacher, verantwortlicher Partner bei Esch Sintzel, schätzt das grosse Glück, dass die Stiftung unkonventionelle Situationen, die aus dem Bauen im Bestand resultieren, als Qualität verstand.
Die Lage des Weinlagers ist im Moment noch schwer zu beurteilen. Da die Transformation des Stadtteils mit dem Lysbüchel-Areal erst begonnen hat, fühlt sich Viktoria momentan noch wie in einem Wohnhaus am Stadtrand. Oder einem Experiment-Quartier, da sich noch kaum abschätzen lässt, wie sich dieses entwickeln wird. Auch wenn vorerst Geduld gefragt ist, glaubt sie, dass der neue Stadtteil VoltaNord sehr viel Potenzial hat und sich zu einem spannenden Ort entwickeln kann. Aus ihrer Sicht müsste das Quartier aber mit einer lebendigen Nutzung angereichert werden.
Womit wir beim nächsten Thema wären – der Durchmischung. Als wir Viktoria fragen, ob sie glaubt der Aufwand bei der Wohnungsvergabe hätte sich gelohnt, zögert sie und sagt, sie könnte sich viel mehr Durchmischung vorstellen. Trotz der guten Mischung unterschiedlicher Wohnungsgrössen gibt es mehr grosse als kleine Wohnungen. Durch die Belegungsvorgabe der Wohnungen (Zimmerangebot minus 1 = Mieterzahl), setzt die Zimmeranzahl von mehr als der Hälfte der Wohnungen Kinder voraus. Oder alternative Wohnformen. Bis auf eine Wohngemeinschaft, gibt es Viktoraia’s Wissens nach allerdings keine. Nun ist diese Rechnung nur grob überschlagen, deckt sich aber definitiv mit den Empfindungen anderer Bewohnender, wie wir auch im zweiten Einblick sehen werden. Viele finden das Haus, und das ganze Quartier, bisher sehr homogen und erleben wenig Durchmischung.
Viktoria ist sich bewusst, dass sie grosses Glück hatte, eine Wohnung wie diese, in einem preisgekrönten Gebäude, beziehen zu dürfen und findet die Stiftung Habitat schafft enorme Möglichkeiten. Sei es für benachteiligte Menschen, eine bezahl- und bewohnbare Wohnung zu finden, oder für Architekten, ein Wohnhaus kreativ und nachhaltig zu gestalten. Ihrer Meinung nach haben die Architekten die Aufgabe mit Bravour gemeistert und alle verliehenen Preise mehr als verdient.
Um ein möglichst objektives Bild des Wohnens und Lebens im Weinlager zu projizieren, haben wir noch eine zweite Bewohnerin um einen Einblick gebeten. Miriam ist alleinerziehend, lebt mit ihren vier Kindern im Weinlager und im zweiten Artikel schildert sie ihre Wohnsituation und Wahrnehmung des Lebens im Weinlager.
Weil vor allem wir von Architektur Basel uns immer selbst ein Bild machen wollen, empfehlen wir die Besichtigung des Weinlagers im Rahmen der Veranstaltung OPEN HOUSE BASEL 2024. Die Umnutzung kann am Samstag, den 27. April und Sonntag, den 28. April besichtigt werden. Aber Achtung: Wegen des erwarteten Ansturms – Führungen nur mit Reservation!
Text:
Johanna Bindas, Architektur Basel
Quellen:
– www.stiftung-habitat.ch
– www.eschsintzel.ch
– Hochparterre. Zeitschrift für Architektur, Planung und Design; Heft 12/23; Artikel: «Der Umbau macht uns kreativer»; Interview: Andres Herzog; S. 18-23