Für Architekturschaffende ist die Fotografie ein unverzichtbares Werkzeug. Sie dient zugleich der Dokumentation und als auch der Vermittlung. Die Architekturfotografie ist weit mehr als nur das visuelle Festhalten von Gebäuden – sie ist eine Kunstform, die es bestenfalls erlaubt, den Blick auf Architektur zu erweitern. In einer Interviewserie widmet sich unser Redaktor Laurence Ziegler der Welt der Architekturfotografie. Ihn interessieren dabei nicht nur die technischen Aspekte und Herausforderungen, sondern auch die künstlerische Vision seiner Gesprächspartner. Die dreiteilige Serie startet mit Willem Pab. Er ist ein international tätiger Architekturfotograf. Zuletzt war er häufig in Basel anzutreffen. Er sagt: «Ich versuche, mich auf Motive zu konzentrieren, die ein nicht so offensichtliches Thema vermitteln.»
Architektur Basel: Wir beginnen mit einer allgemeinen Frage. Wie lautet Deine Definition von Architektur?
Willem Pab: «Ich würde sagen, es geht immer um die Sensibilität, die Bewohnbarkeit und die menschliche Verbindung zum gebauten Raum. Aber die Wahrheit ist, dass Architektur viel weiter geht und viel mehr Dimensionen und Komplexität umfasst, als man in ein paar Sätzen abhandeln kann. Sie formt uns und bestimmt die Art und Weise, wie wir uns in jedem Raum und auf allen Ebenen verhalten.»
Was heisst das konkret?
«In einer zeitgemässen Auffassung von Architektur geht diese Beziehung aber auch in die andere Richtung, und die Hierarchie zwischen gebautem Objekt und Nutzer wird immer breiter, und es müssen viel mehr Akteure berücksichtigt werden. Da ich selbst kein Architekt bin, ist meine Definition von Architektur eine Mischung aus Intuitionen, und ich versuche, aufgeschlossen zu sein, da sich meine Vorstellung von Architektur erst nach und nach entwickelt. Ich lerne mit jeder Architekt:in, mit der ich zusammenarbeiten kann. Ich hoffe, dass ich eines Tages eine fundiertere Antwort geben kann.»
«Ich habe die Fotografie schon immer geliebt, seit ich meine erste Kinderkamera besass …»

Atelierhaus Basel, brandenberger kloter © Willem Pab
Was hat Dich dazu inspiriert, Dich auf die Architekturfotografie zu spezialisieren? Und wie würdest Du den Reiz dieses fotografischen Genres beschreiben?
«Ich habe die Fotografie schon immer geliebt, seit ich meine erste Kinderkamera besass, und ich habe mich schon immer für Kunst im Allgemeinen und Architektur im Besonderen interessiert, bevor ich mich für einen Beruf entscheiden musste, aber meine Unfähigkeit in Sachen Zahlen und Zeichnen hat mich auf einen völlig anderen Weg geführt. Dann fing alles wieder an, und zwar durch ein Buch, das ich jemandem schenkte, der eine berufliche Veränderung anstrebte, und es hat mich gepackt…»
Wie hat es Dich gepackt? Erzähl!
«Damals war ich noch ein digitaler Nerd, aber es dauerte nicht lange, bis ich von der Kunst und dem Prozess der analogen Fotografie besessen war. Obwohl ich mich selbst eher als Fotograf denn als Architekturfotograf sehe, führte die Summe aus analogem Prozess und Architektur zu einem viel ausgeprägteren Weg, und ich spezialisierte mich schließlich auf Architekturfotografie. Es schien mir einfach der logische Weg zu sein, und es entwickelte sich allmählich zu einer Hingabe. Ich fühle mich sehr glücklich darüber. Natürlich hat auch die Architekturfotografie ihre Vor- und Nachteile. Da ich gerne das Leben in meine Fotos einbeziehe, fühlt sich die Arbeit mit unbelebten Motiven manchmal überwältigend an und führt zu einer eher kontemplativen Arbeitsweise. Dann wird das Unbelebte lebendig, und alles, was um es herum passiert, ob absichtlich oder zufällig, ist ein Mehrwert.»
«Es gibt einige selbst auferlegte Standards: hartes Mittagslicht versuche ich zu vermeiden, wenn ich ein Shooting plane, da ich mich in kontrastreichen Szenen nicht wohl fühle. Auch die blaue Stunde hat es in sich, da sich alles in eine glatte, malerische, seidige Textur verwandelt.»

Chäserrugg, Herzog & de Meuron © Willem Pab

Chäserrugg, Herzog & de Meuron © Willem Pab

Chäserrugg, Herzog & de Meuron © Willem Pab
Architektur kann sowohl zeitlos, universell als auch von ihrem spezifischen Kontext stark beeinflusst sein. Wie gehst Du bei der Auswahl von Motiven vor, die Du fotografieren möchtest, und welche Kriterien spielen dabei eine Rolle?
«Bei meiner persönlichen Arbeit denke ich immer an den Kontext und das Gesamtbild. Ich versuche, mich auf Motive zu konzentrieren, die ein nicht so offensichtliches Thema vermitteln, und vor allem auf die Beziehung der Nutzer zu ihnen, insbesondere wie sie sich in verschiedenen Kontexten verhalten. Es ist der menschliche Aspekt, der mich antreibt. Fließende und sich schliessende Zyklen, Wiederholungen und Möglichkeiten, Architektur als Mittel und nicht als Ziel zu verstehen.»

Bläsi, Wallmann Reichen, Basel © Willem Pab

Bläsi, Wallmann Reichen, Basel © Willem Pab

Bläsi, Wallmann Reichen, Basel © Willem Pab
Welche Rolle spielt das Licht in Deiner Arbeit und wie beeinflusst es Deine Entscheidungen während des Aufnahmeprozesses?
«Licht ist alles, und ich würde sagen. Und es ist das, was meine Nerven am meisten strapaziert.
Es gibt einige selbst auferlegte Standards: hartes Mittagslicht versuche ich zu vermeiden, wenn ich ein Shooting plane, da ich mich in kontrastreichen Szenen nicht wohl fühle. Auch die blaue Stunde hat es in sich, da sich alles in eine glatte, malerische, seidige Textur verwandelt. Es wird leicht, eine intime Realität zu schaffen. Obwohl dies die Hauptregel ist, gibt es manchmal keine andere Möglichkeit, und wir müssen kreativ werden, zum Beispiel Fenster mit großen Platten abdecken, damit das harte Licht nicht belichtet wird. Diese Regel schränkt auch den Zeitrahmen für die Aufnahmen ein, so dass eine Planung und eine vorherige Besichtigung des Raums sehr hilfreich sind. Manchmal machen wir sogar eine Vorrunde und markieren die Orte, so dass wir, wenn das gute Licht auftaucht, nur noch die Punkte verbinden müssen. Dies ist besonders im Sommer wichtig, wenn das erste und letzte Licht des Tages kürzer ist.»

Lyse-Lotte, Clauss Kahl Merz, Basel © Willem Pab

Lyse-Lotte, Clauss Kahl Merz, Basel © Willem Pab

Lyse-Lotte, Clauss Kahl Merz, Basel © Willem Pab
Die Perspektive spielt in der Architekturfotografie eine wichtige Rolle. Wie wählst Du die besten Winkel und Kompositionen, um die spezifischen Eigenschaften eines Raums hervorzuheben?
«Ich versuche immer, dem Projekt selbst treu zu bleiben und die Erfahrung des jeweiligen Moments der Aufnahme vor Ort zu vermitteln. Vielleicht liegt es daran, dass ich, wie ich schon sagte, kein Architekt bin, aber wenn ich vor Ort bin, vergesse ich die technischen Details und lasse Perspektiven und Dimensionen Gestalt annehmen. Es geht nicht nur um Masse und Formen, sondern auch um Leere, Licht und die Spannungen dazwischen. Ich neige dazu, ohne eine klare Vorstellung durch das Projekt zu gehen, in der Hoffnung, dass sich etwas ergibt. Das ist aufregend und verwirrend zugleich, aber am Ende kommt es doch meistens gut heraus. Dann kann ich innehalten und ein Objektiv wählen, das Licht messen und mich mit der Technik beschäftigen, nicht umgekehrt.»
«Seit meiner Kindheit habe ich mich immer für Kino und Malerei interessiert, und ich glaube, beides hat einen grossen Einfluss darauf, wie ich versuche, ein Projekt anzugehen … »

Lyse-Lotte, Clauss Kahl Merz, Basel © Willem Pab

Lyse-Lotte, Clauss Kahl Merz, Basel © Willem Pab
Inwiefern beeinflusst Dein persönliches Empfinden und Dein künstlerischer Stil Deine Herangehensweise an die Architekturfotografie, und wie versuchst Du, einen eigenen Stempel auf deine Bilder zu drücken?
«Seit meiner Kindheit habe ich mich immer für Kino und Malerei interessiert, und ich glaube, beides hat einen grossen Einfluss darauf, wie ich versuche, ein Projekt anzugehen, sowohl persönlich als auch im Rahmen eines Auftrags. Obwohl ich immer versuche, mich durch die Fotografie auszudrücken, wäre es naiv von mir zu glauben, dass dies aufgrund einer bewussten Arbeit mit einem bestimmten Ziel geschieht, wenn die Intuition eine wichtige Rolle in diesem stilistischen Konzept spielt.»

Atelierhaus Basel, brandenberger kloter © Willem Pab
Wie möchtest Du mit Deinen Fotos das Bewusstsein für die Bedeutung von Architektur in unserer Gesellschaft stärken?
«Als bodenständige Fotografinnen und Fotografen müssen wir uns der Grenzen dieses Berufs in Bezug auf die Reichweite bewusst sein. Nichtsdestotrotz fand ich es schon immer faszinierend, das Bewusstsein für die Arbeit von Architekten zu schärfen und sie zu verbreiten, die neue Lebensweisen in der gebauten Umwelt umsetzen. Ich habe den Eindruck, dass es in der Architektur derzeit einen Trend gibt, bei dem die Gebäude so gebaut werden, dass der Überschwang nicht mehr die Hauptattraktion ist, sondern wichtigeren Aspekten wie der Umnutzung entsprechend den neuen Bedürfnissen, dem Streben nach echter Nachhaltigkeit und der Definition zeitgenössischer Individualitäten innerhalb unserer Gemeinschaften Platz macht.»
Lieber Willem, besten Dank für das spannende Gespräch.
Interview: Laurence Ziegler / Architektur Basel
Mehr Infos zu Willem Pab:
www.willempab.com
@willempab
Interviewserie: Architekturfotografie
Dies ist der erste Teil einer dreiteiligen Serie zum Thema Architekturfotografie.
Im zweiten Teil tauschen wir uns mit der Architekturfotografin Barbara Bühler aus. Das Interview erscheint am Mittwoch, 3. April.