Wo bleiben die Frauen? Carmen Quade über ihr Berufsverständnis

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Auf der Suche nach einer Person für unser Praxisportrait über den Beruf der Architektin, des Architekten, legten wir auf ein bestimmtes Kriterium besonderen Wert: Um ein wenig Kontrast zu schaffen, wollten wir unser Interview mit einer Frau führen. Zwar gibt es immer mehr Frauen, die Architektur studieren oder den Architekturberuf ausüben, jedoch sind Frauen noch immer untervertreten. Ein Beispiel: Von insgesamt 421 Studierenden an der ETH Zürich beendeten 2019 155 Frauen ihr Architekturstudium, zusammen mit 266 Kommilitonen.[1] Wir gehen nun der Frage nach, wie es heute ist, als Architektin zu arbeiten, 100 Jahre nachdem Lux Guyer als erste Frau in der Schweiz ihr Architekturbüro eröffnete.[2] Uns war von Anfang an bewusst, dass es mittels eines einzigen Interviews – also anhand einer einzelnen subjektiven Meinung – nicht möglich ist, eine allgemeingültige Aussage zu treffen. Nichtsdestotrotz setzten wir uns das Ziel, möglichst nahe an eine Antwort zu kommen und stiessen auf eine interessante Persönlichkeit: Carmen Quade, Architektin SIA, die seit 2000 ihr eigenes Büro «Quade Architects» betreibt. Worauf wir besonders neugierig waren: Sie ist seit 2017 Mitglied im Vorstand des Netzwerkes «frau+SIA».

Mut und Durchhaltewillen
Wir treffen Carmen Quade aufgrund des Corona-Virus im Online-Meetingraum unseres Vertrauens. Die Architektin bezeichnet sich selbst als Quereinsteigerin. Sie hat ihre Karriere als Hochbauzeichnerin begonnen und arbeitete zehn Jahre lang auf dem Beruf. Bis heute legt sie grossen Wert auf die Entwicklung der Details – ein Relikt aus der Berufslehre. Die beiden Leiter eines renommierten Basler Architekturbüros, in welchem sie damals gearbeitet hat, hätten sie «sehr stark gepusht», Architektur zu studieren. Anfangs fehlte es ihr noch an Selbstvertrauen. Die Aufnahmeprüfung für die Fachhochschule bestand sie nicht – wegen der Mathematik. Ein guter Freund, der Assistent an der ETH war, motivierte sie, sich als Fachhörerin einzuschreiben. Dass sie dies im Wissen darum tat, dadurch keinen eigentlichen Hochschulabschluss zu erlangen, zeigt, wie entschlossen und überzeugt sie von der Entscheidung war. Während des vierjährigen Studiums verdiente sie sich ihren Lebensunterhalt an einer Museumskasse. Zwei Jahre nach ihrem Studium machte sich Carmen Quade selbstständig. Da war sie 36 Jahre alt. In den ersten fünf Jahren hielt sie an ihrem Nebenjob fest, bis ihr Unternehmen zu rentieren begann. Ihren ersten Auftrag erhielt sie von einer Frau, die durch das Telefonbuch auf die Architektin aufmerksam geworden war. Für sie durfte Carmen Quade ihren ersten eigenen Umbau planen und durchführen. Aus praktischen Gründen, um ins Register A eingetragen zu werden, absolvierte sie schliesslich doch noch eine Prüfung. Damit ist sie jetzt den Menschen mit einem Hochschulabschluss gleichgestellt.

Ihrer Erfahrung nach haben Frauen genauso Platz auf der Baustelle wie die Männer. Sie erklärt sich die Abwesenheit der Frauen auf dem Bau, trotz steigender Abschlusszahlen, auch mit der materiellen Unsicherheit, die eine selbständige Tätigkeit mit sich bringt: Die Auftragslage entwickle sich nicht immer linear, manchmal habe man weniger zu tun, manchmal mehr.

Angesprochen auf das heutige berufliche Umfeld einer Architektin fragt Carmen Quade sich, wo denn all die Frauen bleiben, die ein Architekturstudium abgeschlossen haben. Im Vergleich zu den 1990er und den 2000er Jahren gebe es heute zwar immer mehr Fachplanerinnen, trotzdem seien Planerinnen noch immer eine Minderheit und das Verhältnis der Geschlechter sei in diesen Berufen noch lange nicht ausgeglichen. Dennoch empfindet Carmen Quade das Klima auf dem Bau als «frauenfreundlich». Ihrer Erfahrung nach haben Frauen genauso Platz auf der Baustelle wie die Männer. Sie erklärt sich die Abwesenheit der Frauen auf dem Bau, trotz steigender Abschlusszahlen, auch mit der materiellen Unsicherheit, die eine selbständige Tätigkeit mit sich bringt: Die Auftragslage entwickle sich nicht immer linear, manchmal habe man weniger zu tun, manchmal mehr. Auch sei es eben streng in dem Beruf – gerade als Selbstständige. Man müsse mit Frustration umgehen können. Vielleicht findet man eine Erklärung für die fehlenden Frauen in den die ebenso fehlenden weiblichen Vorbildern? Nach Einschätzung von Carmen Quade sind die Angebote für externe Kinderbetreuung  heute besser als noch vor 20 Jahren, entsprechend ist es einfacher möglich, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen. «Einfacher» heisst jedoch unserer Meinung noch lange nicht «einfach». Es ist auch heute Tatsache, dass die Mehrheit der Frauen nach der Familiengründung zuhause bleibt oder das Arbeitspensum reduziert.[3] Letztendlich kennt Carmen Quade den Grund für die Untervertretung der Architektinnen nicht, sie vermutet, dass es sich um eine Kombination aus all diesen Erschwernissen handle.

Carmen Quade im Portrait © quade-architects.ch

Ein Mentor und ein gutes Netzwerk
Ihr Werdegang zeigt, wie wichtig die äusseren Einflüsse sein können: Carmen Quade wurde unterstützt und motiviert durch ehemalige Arbeitgeber, Freunde und ihre Familie. Diese Unterstützung hat viel zu ihrem Erfolg als Architektin beigetragen. Auch in Bezug auf das Netzwerk «frau + SIA» sieht sie das täglich: Es führe ihr vor Augen, wie bedeutsam es ist, sich gegenseitig zu unterstützen. Das Netzwerk hat die wichtige Aufgabe, auch junge Frauen dafür zu motivieren, sich zu vernetzen, sich gegenseitig zu unterstützen und auszuhelfen. Um ein generationenübergreifendes Netzwerk zu schaffen, in dem alle voneinander profitieren können, ist es zentral, dass dieses weitergeführt und gepflegt wird. Als grösste Verantwortung von Architekt*innen sieht Carmen Quade, damals wie heute den Anspruch, Orte und Räume zu planen, in denen man sich wohlfühlt. Und diese Verantwortung ist generationen- und geschlechtsunabhängig.

Wir lernten Carmen Quade als eine sehr motivierende sowie motivierte Person kennen. Ihre Forderung, untereinander solidarisch zu sein – unabhängig vom Geschlecht –, behalten wir in Erinnerung.

Text: Anna Burri und Auri Teinilä

Dieser Text entstand am Institut Architektur FHNW im Frühlingssemester 2020, im Rahmen der Lehrveranstaltung in Sozialwissenschaften zum Thema «The Image of the Architect». Auf der Suche nach neuen Berufsbildern.


Quellen:
[1] https://ethz.ch/services/de/finanzen-und-controlling/zahlen-und-fakten/studierende.html (aufgerufen am 15. Mai 2020)
[2] https://www.srf.ch/news/regional/zuerich-schaffhausen/frauen-entwerfen-haeuser-wo-sind-die-schweizer-architektinnen (aufgerufen am 15. Mai 2020)
[3] https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/bevoelkerung/familien/erwerbs-haus-familienarbeit.html (aufgerufen am 14. Mai 2020)

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