Kleine Ironie der Geschichte: In derselben Woche, als der Regierungsrat mit dem Klima-Aktionsplan das Weiterbauen und den Erhalt von Bestandesbauten proklamiert, reichte die Swiss Life insgesamt elf Abbruchgesuche für Bauten auf dem Klybeck-Areal ein. Das wirft Fragen auf: Ist der Rückbau zwingend? Oder handelt es sich um einen überhasteten Abbruch auf Vorrat? Und vor allem: Wo sind die Schadstoffberichte geblieben? Dem geht unser Redaktor Lukas Gruntz in seinem Artikel nach.
Rationelle Industriebauten
Wer vor zwei Wochen das Kantonsblatt studierte, rieb sich verwundert die Augen: Da wurden ganze elf Abbruchgesuche auf dem Klybeck-Areal publiziert. Alle auf einen Schlag. Es handelt sich um Bauten im Besitz der Swiss Life, die auf Anfrage von Architektur Basel erklärt: «Bis Ende 2026 sollen die betroffenen Gebäude in Etappen bodeneben rückgebaut werden. Dies reduziert die Komplexität bei der Energieversorgung und der notwendigen Entkoppelung der Infrastruktur, erhöht die Areal- und Gebäudesicherheit und ermöglicht es, das Areal weiter öffnen zu können.» Wir werfen einen Blick auf die betroffenen Gebäude: Es handelt sich um eine Mischung aus kleineren Nebengebäuden und grösseren Industriebauten. Architektonisch interessant ist beispielsweise das Gebäude K111, das sich unweit der Padelhalle und dem Humbug befindet. Es handelt sich um einen schlichten Gewerbebau, der alle Voraussetzungen für eine Umnutzung erfüllt. Besonders erhaltenswert scheint zudem die grosse Halle K352 samt Anbau K353. Erbaut wurde der rationelle Skelettbau 1962 und stammt aus der Feder von Suter + Suter Architekten. Die einfache Tragstruktur wäre prädestiniert für eine Umnutzung. Es stellt sich die grundsätzliche Frage, ob die Bauten nicht für eine Transformation und Umnutzung in Frage kämen. Ganz im Sinne des kantonalen Klimaschutzaktionsplan, der das Weiterbauen im Bestand als der «wichtigste Hebel zur Reduktion der Treibhausgasemissionen aus der Erstellung» deklariert.
«Man muss das Leitbild richtig einordnen. Es ist möglich, dass weitere Bauten erhalten werden.»
Beat Aeberhard, 2022
Leitbild massgebend für Erhalt oder Abbruch
Die Swiss Life scheint vor allem eins im Sinn zu haben: Vorwärtsmachen. Die Abbruchgesuche senden ein klares Signal. Die Transformation des Klybeck-Areals geht ihnen zu langsam voran. Das kein öffentlicher Dialog und eine fachliche Auseinandersetzung über den weiteren Erhalt von Bestandesbauten auf dem Areal stattfindet, steht im Widerspruch zu den Aussagen von Kantonsbaumeister Beat Aeberhard im Interview mit uns vor zwei Jahren: «Man muss das Leitbild richtig einordnen. Es ist möglich, dass weitere Bauten erhalten werden», antwortet er damals auf unsere Kritik, dass zu wenig bestehende Bausubstanz – und damit graue Energie – erhalten bleibe. Heute muss man ernüchtert feststellen: Die Swiss Life nimmt das Leitbild ziemlich wörtlich. Unsere damalige Einordnung war (leider) korrekt. Die Eigentümerin erklärt uns gegenüber, dass die Abbruchgesuche Bauten betreffen, die «nicht denkmalgeschützt und im Städtebaulichen Leitbild nicht als erhaltenswert eingestuft» seien. Das ist inhaltlich richtig. «Vielmehr müssen sie früher oder später für die im Städtebaulichen Leitbild vorgesehenen Bauvorhaben oder für Grün- und/oder Freiflächen rückgebaut werden.» Das stimmt nicht ganz: Das grosse Industriegebäude K352 südlich der Gleisharfe liesse sich problemlos in den Städtebau gemäss Leitbild integrieren. Dasselbe gilt für das K-311 und das K-111, die sich ebenfalls nicht im Bereich von Grünflächen befinden. Durch Anbauten oder Aufstockungen liesse sich die zusätzliche Ausnutzung realisieren.
«Swiss Life hat alle Gebäude im Klybeck-Areal auf Schadstoffe untersuchen lassen. Den Abbruchgesuchen wurden die entsprechenden Schadstoffberichte beigelegt.»
Stellungnahme Swiss Life
Der obligate Gang an den Münsterplatz…
Als einziger valabler Grund für die vorzeitigen Abbruchgesuche bleiben die Schadstoffe der chemischen Produktion. Es ist denkbar, dass die Bauten aus Gründen der hohen Belastung mit toxischen Substanzen nicht umgenutzt werden können. Wir gehen der Sache nach – und machen uns auf den Weg an den Münsterplatz 11. Dort liegen die Abbruchgesuche öffentlich auf. «Die Rückbauarbeiten beinhalten im Grundsatz den «bodenebenen» Rückbau bis auf das Niveau der Bodenplatte», lesen wir. Den Dossiers beigelegt ist jeweils ein Rückbaukonzept der Firma Baskarad AG, worin man den detaillierten Ablauf des Vorhabens findet. Mit einer Ausnahme: Die Informationen zu den Schadstoffen sind nur sehr spärlich vorhanden. Mehr Erkenntnisse erhoffen wir uns vom wichtigen Formular «Abbruch – Aushub – Abfall». Hier wird tatsächlich auf diverse Schadstoff-Untersuchungsberichte der Firmen Carbotech AG und CSD Ingenieure AG als Beilage verwiesen. Endlich! Es gibt nur ein Problem: Die Beilagen sind im öffentlich aufgelegten Dossier nicht enthalten. Keine Spur davon.
«Wenn wesentliche Unterlagen nicht öffentlich aufgelegt sind, ist allenfalls eine zweite Publikation notwendig. Wir prüfen dies zurzeit.»
Stellungnahme Bau- und Verkehrsdepartement
Wo sind die Schadstoffberichte?
Von der Swiss Life erhalten wir folgende Antwort: «Swiss Life hat alle Gebäude im Klybeck-Areal auf Schadstoffe untersuchen lassen. Den Abbruchgesuchen wurden die entsprechenden Schadstoffberichte beigelegt.» Mysteriös. Die Untersuchungen zu den Schadstoffen – beim Formular «Abbruch – Aushub – Abfall» als Beilagen erwähnt – müssten also eigentlich aufliegen. Doch das tun sie nicht. Erneute Antwort auf unsere Rückfrage: «Swiss Life hat die Gesuche vollständig eingereicht.» Wir erkundigen uns beim zuständigen Bau- und Verkehrsdepartement (BVD), wo sich die Schadstoffberichte befinden? «Die öffentlichen Auflagedossiers umfassen jene Unterlagen, die uns auf Papier eingereicht wurden.» Wurden die Schadstoffberichte also nicht auf Papier, sondern nur digital eingereicht? Es wäre eine mögliche Antwort. Es scheint unwahrscheinlich, dass eingegebene Baugeschsunterlagen plötzlich verschwinden. Das BVD schreibt: «Wenn wesentliche Unterlagen nicht öffentlich aufgelegt sind, ist allenfalls eine zweite Publikation notwendig. Wir prüfen dies zurzeit.»
Zweite Publikation der Abbruchgesuche
Das lässt folgende Interpretation zu: Da die Schadstoffberichte zuerst nicht physisch eingegeben wurden, könnte es zu einer zweiten Publikation der Abbruchgesuche kommen. Schliesslich sind die Schadstoffberichte unbestritten ein wesentlicher Teil der Gesuche – insbesondere auf dem Klybeck-Areal. Die Geschichte hinterlässt einen eigenartigen Beigeschmack: Da werden vor Abschluss der politischen Diskussion und Behandlung der Bebauungspläne zahlreiche Bauten überhastet und ohne Not zum Abbruch freigegeben – und dann fehlen bei den Abbruchgesuchen die entscheidenden Beilagen: Die Schadstoffberichte. Vertrauensbildung – und ökologisches Bauen – gehen anders.
Artikel: Lukas Gruntz / Architektur Basel