PETITION GAV ARCHITEKTUR

Architecture Club: «Die Baumgartnerhäuser sind immer noch die begehrtesten. Warum ist das so?»

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Karolina Slawecka und Pawel Krzeminski sind das Basler Architekturduo der Stunde. Die beiden Newcomer setzten sich mit ihrem Entwurf für den neuen Campus der Musik-Akademie gegen grosse Namen durch – beispielsweise Diener & Diener oder Christ & Gantenbein. Wobei Newcomer eigentlich das falsche Wort ist; die beiden arbeiten schon seit vielen Jahren in der Schweiz. Der Gewinn des Wettbewerbs bedeutet ihr grosser Durchbruch. «Das Beste kommt noch!» sagen die beiden ganz unbescheiden. Architecture Club sollte man ab sofort auf der Rechnung haben. Wir haben im Interview mit ihnen über die Architekturstadt Basel, die hiesige Wettbewerbskultur und ihren Beitrag für die Musik-Akademie gesprochen.

© Architecture Club

Beginnen wir mit eurem eindrücklichen Werdegang. Ihr habt schon an vielen Orten studiert, gearbeitet und gelehrt. Wie seid ihr letztlich nach Basel gekommen?

Pawel Krzeminski: «Danke, aber ich finde es nicht beeindruckend. Das Beste kommt noch! Wir sind uns erst am Aufwärmen …» (lacht)

Karolina Slawecka: «Eigentlich haben wir den grössten Teil unserer Berufserfahrung in der Schweiz gesammelt. Wir sind 2004 zum ersten Mal als Studenten hierher gekommen und 2007 wieder zurückgekehrt. Seitdem ist Pawel in Basel geblieben. Ich habe drei Jahre in Graubünden verbracht, was für mich eine weitere wichtige Erfahrung war. Aber hier, am Rheinknie, fühlten wir uns schon immer zuhause.»

Das freut uns. Schön seid ihr hier. Basel ist tatsächlich eine tolle Stadt. Was macht in euren Augen ihre besondere Qualität aus?

Karolina: «Ich mag den Massstab der Stadt, wo man alles mit dem Fahrrad erreichen kann. Basel ist klein, aber international, gut vernetzt, kulturell reich, mit vielen guten und fleissigen Menschen.»

Pawel: «Ich liebe diese Stadt und möchte mit unserer Arbeit dazu beitragen.»

Eine Stadt ist immer ein grosses Gemeinschaftswerk. Es gibt viele Autorinnen und Autoren die daran arbeiten und die Geschichte weiterschreiben. Was macht Basel zur Architekturstadt?

Karolina: «Vielleicht, weil es fast an jeder Ecke Architekturbüros gibt? (lacht) Manchmal fühlt es sich wie die Stadt der Architekten an. Es gibt viele gute Gebäude, einen ständigen architektonischen Austausch, eine starke Bau- und Wettbewerbskultur.»

Wettbewerbskultur ist ein gutes Stichwort: Ihr habt bereits mit eurem Projekt beim Wettbewerb für den Kuppel Neubau für Aufsehen gesorgt. Danach habt ihr an der Burgfelderstrasse einen Rang geholt. Wie wichtig ist in euren Augen die Wettbewerbskultur in der Schweiz?

Karolina: «Unglaublich wichtig. Die Wettbewerbe ermöglichen es jungen Büros, sich zu etablieren. Allerdings führt die Tatsache, dass es so viele Büros gibt, dazu, dass es an den offenen Wettbewerben zu viele Teilnehmer gibt. Das meiste an zeitaufwändiger, intensiver Arbeit geht in den Papierkorb. Apropos Nachhaltigkeit! Vielleicht brauchen wir mehr zweistufige Ideenwettbewerbe oder doch ein anderes Format? Wir freuen uns, dass wir für die Teilnahme an einem Verfahren im Dialog von der Jury und dem Bauherrn, der Musik-Akademie, ausgewählt wurden. Das kommt unserer Arbeitsweise näher und führt meiner Meinung nach zu durchdachten, angemessenen Projekten.»

Pawel: «Wir schauen uns viele Architekturwettbewerbe genau an. Wir beobachten eine gewisse Tendenz, insbesondere bei Wohnprojekten. Bieten sie neben der grossen Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum auch hochwertigen Lebens- und öffentlichen Raum? Am begehrtesten auf dem Markt sind nach wie vor die Baumgartnerhäuser. Warum ist das so? Die Aufgabe ist heutzutage mit wachsender Bevölkerung, begrenztem Platz und der Notwendigkeit, sowohl Materialien als auch die Bausubstanz wiederzuverwenden, schwieriger, aber noch dringlicher. Sicherlich ist ein Wohnprojekt etwas, was wir gerne machen würden.»

© Architecture Club

Beim Wettbewerb für den neuen Campus der Musik-Akademie habt ihr euch gegen eine starke Konkurrenz mit klingenden Namen, Christ & Gantenbein, Diener & Diener oder Luca Selva mit Harry Gugger, durchgesetzt. Was ist die wichtigste Idee eures Projekts, die den Unterschied gemacht hat?

Pawel: «Das muss unsere Liebe zur Musik gewesen sein! (lacht) Der Kernpunkt unseres Projekts war, den Nordhof freizusetzen. Wir haben einen offenen Freiraum geschaffen, indem wir das heute unzugängliche Dach der Vera Oeri Bibliothek in einen öffentlichen Raum verwandelt haben – eine neue begehbare Topografie umgeben von Rampen und Treppen. Dieser ergänzende Raum wird als Aussenfoyer und Aufführungsraum fungieren, offen für die Kreativität von Musiker. Die darunter liegende Bibliothek bleibt erhalten und der Neubau mit der Salle Modulable liegt darüber.»

Besonders stark ist euer Entwurf für die «Salle modulable» im Zentrum. Welche architektonischen Themen waren euch dabei wichtig?

Pawel: «Der Saal Modulable ist das „Herz“ des Neubaus. Dieser dunkle Aufführungsraum ist dem verstärkten experimentellen Klang gewidmet, der eine zeitgemässe Richtung der musikalischen Ausbildung zeigt. Wir haben ihn „Nichtraum“ genannt, da dort der Direktschall die wichtigste Rolle spielt und die Architektur daher in den Hintergrund tritt. Ebenso wichtig war uns die Sequenz der zum Saal hinführenden Räume mit ihren unterschiedlichen Charakteren, die abwechslungsreiche Atmosphären und Klangverhältnisse bieten.»

Karolina: «Insgesamt gab es so viele Aspekte. Angefangen bei Städtebau und Denkmalpflege, da sich der Campus in der sensiblen Schutz- und Schonzone befindet. Es war uns wichtig, die richtigen Proportionen zwischen Strassenbebauung und Neubau im Hof zu finden. Das letztere wird nicht von der Strasse aus gesehen, sondern im Innenhof entdeckt oder in längeren Perspektiven wahrgenommen.»

© Architecture Club

Was heisst das konkret?

Pawel: «Wir wollten die Stimmung des historisches Hofes stärken. Wir werden ihn vergrössern und neue Bäume pflanzen. Obwohl im Programm nicht gefordert, schlugen wir vor, die Cafeteria an den sonnigen Innenhof zu verlegen, um ihr mehr Präsenz zu verleihen.»

Karolina: «Ein weiterer wichtiger Punkt war die Verbindung des gesamten Campus. Der nördliche Teil ist abgetrennt. Das ändern wir durch eine Reihe trompetenförmiger Einschnitte in die Bestandsgebäude und eine barrierefreie Erschliessung auf dem gesamten Campus. Und natürlich die Nachhaltigkeit – das bedeutet für uns, die meisten bestehenden Gebäude zu erhalten, die Unterbauung zu beschränken, das Gelände so weit wie möglich zu entsiegeln, Gärten zu vergrössern und soziale Räume zu schaffen.»

Wie geht es mit dem Projekt nun weiter? Was sind die nächsten Planungsschritte?

Pawel: «Das Projekt befindet sich in der Vorbereitungsphase.»

© Architecture Club

Ok. Wir sind gespannt. Zum Schluss möchte ich euch eine allgemeine Frage stellen. Ein grosses Thema in der Architektur ist die Ökologie. Wir wissen: Bauen ist per se nicht besonders ökologisch. Inwiefern spielt das in eurer Praxis eine Rolle?

Karolina: „Construction is pollution“, aber können wir aufhören zu bauen? Ökologie ist von grosser Bedeutung, besonders für unsere Generation, die die Fehler der Vergangenheit erlebt. Wir alle müssen unseren Lebensstil radikal ändern.»

Pawel: «Wir sind die einzige Spezies auf der Erde, die ihre eigene Umwelt ausbeutet – und für mich ist das alarmierend und deprimierend zugleich, denn egal, wie wir es versuchen, wir werden niemals vollständig nachhaltig sein. Wir sprechen über Nachhaltigkeit in der Schweiz – vielleicht schon jetzt eines der nachhaltigsten Länder der Welt… aber das Problem ist global. Es wird aufgrund des schnellen Bevölkerungswachstums und der menschlichen Tendenz zu einem komfortablen Lebensstil sehr schwierig zu lösen sein. Die heute von uns erwarteten Antworten hätten vor 30-50 Jahren gefunden werden müssen. Wir suchen hauptsächlich nach Post-factum-Lösungen. Es muss mehr Bewusstsein und Ausbildung auf vielen Ebenen geben.»

Und welchen Einfluss hat die Problematik auf eure tagtägliche Arbeit im Büro?

Karolina: «Wenn es um unsere Arbeit geht, versuchen wir immer, standortspezifische Lösungen zu finden, indem wir Abriss und Wiederverwendung sorgfältig prüfen, die Nutzung erneuerbarer Energiequellen vorschlagen und so weiter. Aber vor allem versuchen wir Räume mit Qualität und starker Stimmung zu schaffen, die die Menschen hoffentlich lieben und eine Weile behalten wollen… Das ist immer das Ziel.»

Herzlichen Dank für das Interview! Wir wünschen euch alles Gute für euer weiteres Schaffen.

Interview: Lukas Gruntz / Architektur Basel

Karolina Slawecka und Pawel Krzeminski sind Architecture Club.
www.architectureclub.ch

 

 

 

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