Architekturtheorie und Firmenmonografie in einem – geht das? Eine kritische Buchbesprechung.

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Die Geschichte beginnt 1891. Der Urgrossvater war Müllermeister und für seine Tätigkeit auf Wasserkraft angewiesen. Das kleine Wasserkraftwerk reichte damals für die Belange der ganzen Gemeinde. Der Vater schliesslich konzentrierte sich seit den 50er-jahren aber ganz auf den Sägerei- und Zimmereibetrieb. Heute existiert die Firma schaerholzbau bereits in der fünften Generation. Im Christoph Merian Verlag ist mit «Zeitraum – eine Reise durch drei Jahrzehnte Schweizer Holzbau» nun ein Rückblick erschienen. Eine kritische Buchbesprechung.

 

Der Fotoessay nimmt einen grossen Teil des Publikation ein. Fotografie im Buch: Karin Hofer © Architektur Basel

Der Fotoessay nimmt einen grossen Teil des Publikation ein. Fotografie im Buch: Karin Hofer © Architektur Basel

Vom Pfahlhaus zum Ingenieurholzbau
Das überformatige Buch umfasst vier Teile. Zu Beginn nimmt uns Kunst- und Architekturhistoriker Hubertus Adam, seines Zeichens ehemaliger Direktor des Schweizerischen Architekturmuseums SAM, mit auf eine Reise zu den Anfängen des Holzbaus in der Schweiz. Auf dreizehn Seiten fasst Adam in seiner kulturgeschichtlichen Einordnung die Entwicklung vom Pfahlbau über den Block- und Rahmenbau bis hin zum heutigen Ingenieurholzbau zusammen. Die inhaltlich sehr dichte Abhandlung mündet immer wieder in Praxisbeispielen, etwa den chaletartigen Stationsbauten der Rhätischen Bahn.

Interessant und kurzweilig auf sepiafarbenem Papier: dreizehn Seiten Geschichtsabriss.

Interessant und kurzweilig auf sepiafarbenem Papier: dreizehn Seiten Geschichtsabriss.

Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung nach dem Zweiten Weltkrieg und der Wiederverfügbarkeit von Beton und Stahl ebbte das Interesse am Holzbau ab. Heute erlebt das Bauen mit Holz schweizweit eine regelrechte Renaissance. Sogar in den Städten treffen wir immer öfters auf Holzbauten. Hubertus Adam nennt etwa die Wohnüberbauung Maiengasse in Basel von Esch Sintzel aus dem Jahr 2018 oder das Wohn- und Geschäftshaus Badenerstrasse in Zürich von Pool Architekten aus dem Jahr 2010. Die computergesteuerte Produktion und die stetigen Entwicklungen im Ingenieurholzbau machen Gebäude möglich, deren Bau bis vor einigen Jahren anderen Konstruktionsarten vorbehalten blieb, etwa das Tamedia-Gebäude in Zürich von Architekt Shigeru Ban aus dem Jahr 2013. Mit der Feststellung, Holz habe das Ghetto des Ruralen verlassen, es sei in der Stadt angekommen, beendet Hubertus Adam diesen ersten Teil des Buches und schliesst fast etwas trotzig, aber mit einem zwinkernden Auge mit Gottfried Sempers Diktum, Holz, aus der «dekorativen Behandlung der Zimmerkonstruktion entwickelt», könne «niemals Vorbild einer monumentalen Kunst» sein. Wir zwinkern mit!

Doppelseitige Abbildungen zeigen das Schaffen von schaerholzbau. Fotografie im Buch: Karin Hofer © Architektur Basel

Doppelseitige Abbildungen zeigen das Schaffen von schaerholzbau. Fotografie im Buch: Karin Hofer © Architektur Basel

Stets am Experimentieren
Es folgt ein Gespräch zwischen Hubertus Adam und Inhaber Walter Schär. Die im vorangegangenen Geschichtsteil thematisierten Hochs und Tiefs des Schweizer Holzbaus zeichnen sich eins zu eins in der Historie seiner Holzbaufirma ab. War es noch sein Vater, der als Generalunternehmer aufgetreten ist, vom Rohbau des Hauses bis zum fertigen Möbel alles hergestellt hat, so erlebte man später eine Rezession, in der das Holz als Baustoff nur noch zum Hilfsmaterial wurde.
Walter Schär erinnert sich: «Eine merkwürdige Gegenbewegung ereignete sich in den 80ern. Wegen Bauschäden, die verursacht wurden durch Kunststofffolien der ersten Generation, verbreitete sich das Vorurteil, dass Flachdächer meist nicht dicht sind. So begann man, auf viele Flachdächer ein Steildach zu setzen, und alle Leute meinten, es sei jetzt viel schöner. Und so hat man eigentlich ästhetisch ansprechende Bauten aus dem 60er-Jahren in Chalets verwandelt.»
Sowohl die Flachdachabdichtungen als auch der Holzbau haben sich seither entwickelt. Die Holzbautechnik ist stets am Experimentieren, sagt Schär, man müsse sich ständig beweisen. Offenbar mit Erfolg.

Was diese Fotografie aussagen soll, ist nicht klar. Schade. Fotografie im Buch: Karin Hofer © Architektur Basel

Was diese Fotografie aussagen soll, ist nicht klar. Schade. Fotografie im Buch: Karin Hofer © Architektur Basel

Fotoessay – ja aber…
Im anschliessenden Fotoessay führt uns Karin Hofer, seit 2002 Fotografin der Neuen Zürcher Zeitung, durch das gebaute Portfolio von schaerholzbau. Das Werk umfasst tatsächlich sehr viele Gebäude, weshalb eine Abbildung pro Werk genügen muss. Die Fotografien sind aus architektonischer Sicht von sehr unterschiedlicher Qualität. Viele Fotografien setzen das gebaute Objekt ins Bild, bei einigen Abbildungen ist allerdings unklar, was sie zeigen. Mal steht ein angeschnittenes Haus Kopf, dann versteckt sich das Gebäude hinter einem riesigen Pferdekopf im Vordergrund. Essay hin oder her – eine andere Form der Darstellung wäre unserer Meinung hier angebrachter gewesen. Die Fotografien beschränken sich vermutlich aus organisatorischen Gründen auf Abbildungen von aussen; innenräumliche Fotos suchen wir leider vergebens. Das ist schade.

Kurzbeschriebe werden durch Fotografien und Pläne ergänzt. © Architektur Basel

Kurzbeschriebe werden durch Fotografien und Pläne ergänzt. © Architektur Basel

Doch noch Pläne!
Im letzten Teil finden wir dann aber doch noch genauere Informationen zu einigen der abgebildeten Holzbauten. Walter Schär beschreibt einige interessante Projekte textlich und ergänzt diese um weitere Fotografien, Pläne und dreidimensionale Visualisierungen der Konstruktion. Auf die zehn detailliert beschriebenen Bauten folgen doppelseitige konstruktive Axonometrien weiterer Projekte. Da geht der interessierten Architektin und dem geneigten Leser doch noch das Herz auf.

Axonometrien – da geht der interessierten Architektin und dem geneigten Leser das Herz auf! © Architektur Basel

Axonometrien – da geht der interessierten Architektin und dem geneigten Leser das Herz auf! © Architektur Basel

Architekturtheorie oder Firmenmonografie?
«Zeitraum – eine Reise durch drei Jahrzehnte Schweizer Holzbau» hinterlässt gemischte Gefühle. Die kulturgeschichtliche Einordnung von Hubertus Adam liest sich äusserst kurzweilig. Das anschliessende Gespräch mit Walter Schär zeigt diese Entwicklung eindrücklich an der Geschichte von schaerholzbau auf. Der Fotoessay überzeugt am wenigsten und fällt inhaltlich etwas ab – nimmt aber weitaus am meisten Platz im Buch ein. Die anschliessenden detaillierten Projektbeschriebe sind umso erfreulicher. Als Druckgrundlage dienen unterschiedliche Papiere in verschiedenen Stärken und Farben. Der einfach verklebte Umschlag vermag die dreihundertfünfzig Seiten kaum zu halten. Ohnehin beschleicht einen das Gefühl, es hier eher mit zwei Publikationen zu tun zu haben; einer kurzen Architekturtheorie über die Geschichte des Holzbaus und einer Firmenmonografie. Trotz thematischem Dach finden diese etwas schwierig zusammen. Wer Inspiration für den eigenen Holzbau sucht, ist aber gut bedient.

Text: Simon Heiniger / Architektur Basel


Walter Schär (Hg.)
Zeitraum
Eine Reise durch drei Jahrzehnte Schweizer Holzbau

2020
352 Seiten, 284 meist farbige Abbildungen und Pläne, broschiert, 24 × 32 cm
ISBN: 978-3-85616-918-3
Christoph Merian Verlag, Basel
CHF 49 / EUR 48

 

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