Kurz vor Weihnachten ist klar: Steib Gmür Geschwentner Kyburz aus Zürich gewinnen auf Einladung den Projektwettbewerb zur Transformation des Lüdin-Areals in Liestal. Die Jury befindet, der Grundgedanke des Siegerprojekts, «die Geschichte des Ortes wird weitergeschrieben» trifft die Intention des vorausgegangenen Workshop-Verfahrens sehr genau. In einigen Punkten geht der Projektvorschlag «Altstadtblick» gar über die Vorgaben im Wettbewerbsprogramm hinaus und korrigiert diese zum Besseren. Wir schauen uns die Situation zwischen Bahnhof, Kantonalbank-Kreuzung und Altstadt genauer an und ordnen den Bebauungsvorschlag ein.
Scharnier zwischen Altstadt und Bahnhof
Aufgrund der optimalen Linienführung liegt der Bahnhof von Liestal historisch etwas abseits der Altstadt. Heute ist diese Distanz, zumindest in städtebaulicher Hinsicht verschwunden. Nur der wesentlich tieferliegende Orisbach trennt die beiden Zentren räumlich. Westlich des Orisbachs im ansteigenden Gelände zwischen Bahnhofsstrasse, Rheinstrasse und Schützenstrasse, stehen die Produktionsgebäude der Firma «Lüdin AG». Nun wurde das rund 6’000 Quadratmeter grosse Areal an die SIAT Immobilien aus Zug, bzw. den Credit Suisse Real Estate Fund SIAT verkauft. Wo früher die Basellandschaftliche Zeitung die Offsetpresse verliess, soll in Zukunft also gewohnt werden. Aber nicht nur, denn das Lüdin-Areal nimmt als Scharnier zwischen Altstadt und Bahnhof eine zentrale Lage ein und ist in mehrerer Hinsicht von grosser Wichtigkeit für die Stadt. Das heute zu grossen Teilen in sich geschlossene Areal soll einerseits mit neuen Durchwegungen Altstadt und Bahnhof näher zusammenführen und andererseits den Volumensprung zwischen den grossmassstäblichen Bauten an den Geleisen und der wesentlich kleinteiligeren historischen Altstadt schaffen.
Erhalten und Umbauen
Aus dem Workshop-Verfahren ins Wettbewerbsprogramm übernommen wurde der Grundsatz, wonach der Anteil an neuen Büroflächen möglichst klein gehalten werden soll. Die lobenswerte Devise: Nötig und gefordert sind insbesondere kompakte Wohnungen, aufgrund der Lage aber auch Dienstleistungen und Verkauf in den Erdgeschossen, sowie Gewerbe und Ateliers. Gerade letztere dürften dazu beitragen, das Areal lebendig zu halten, findet doch nicht selten über weite Teile genau das Gegenteil statt. Dieser Prämisse folgt auch die architektonische Anforderung, nicht den Ausdruck einer grossformatigen Überbauung zu verfolgen, sondern situationsgerechte, diverse Architekturen zu schaffen. Offengehalten wurde deshalb die Möglichkeit, verschiedene Teilprojekte – sofern möglich – zu vereinen. Letzten Endes sah das Preisgericht aber davon ab.
Hinsichtlich der Erhaltung bestehender Gebäude, empfiehlt das Wettbewerbsprogramm, den ikonischen Kopfbau des ehemaligen Verwaltungsgebäudes der Lüdin AG an der Rheinstrasse in einen neuen Vorschlag zu integrieren, ebenso das anschliessende Vorstadthaus an der Schützenstrasse.
Der im Programm vorgeschlagene Perimeter spricht unserer Meinung nach nicht ganz dieselbe Sprache, fordert der doch insbesondere zum Bahnhof hin einen U-förmigen, eher abschliessenden und nicht sehr abwechslungsreichen Blockrand.
1. Rang
«Altstadtblick»
Steib Gmür Geschwentner Kyburz Partner AG Architekten und Stadtplaner, Zürich
Beat Nipkow Landschaftsarchitektur, Zürich
Der Entwurf des Zürcher Büros geht mit unterschiedlich ausgestalteten Gebäuden und Aussenräumen ins Rennen. Dem Bahnhof zugewandt schlagen die Architektinnen und Architekten hohe, städtisch anmutende siebengeschossige Flachdachbauten vor. Gestaffelt in der Höhe und im Grundriss folgen sie dem abfallenden Terrain bis zur Kantonalbank-Kreuzung. In zweiter Ebene folgen drei niedrigere Steildachgebäude. Zum Orisbach hin schliesslich soll eine Zeile aus zweigeschossigen Atelier- und Gewerbegebäuden die Verbindung zur Altstadt schaffen. Die sehr niedrige Atelierzeile vermag es zudem, den durchaus erhaltenswerten Bestandesbau an der Schützenstrasse einzubinden. Ebenso bestehen bleibt der Kopfbau der Lüdin AG an der Rheinstrasse.
Die Architektinnen und Architekten stellen die im Perimeter geforderten Baukörper an mehreren Stellen in Frage und schaffen damit Klarheit. Dies attestiert die Jury dem Projekt gleich zu Beginn. Das Aufbrechen des Blockrandes hin zur Kantonalbank-Kreuzung, sowie der Verzicht auf einen Punktbau als Gegenüber der neuen Erweiterung des Kantonsgerichts, vereinfacht und entspannt die Situation.
«Integrative» Gasse
Das Abdrehen der Baukörper schafft zwischen den Bauten zum Bahnhof hin und den drei Steildachgebäuden halböffentliche, wenn nicht sogar etwas private Zwischenräume. Ganz öffentliche Räume hingegen platzierten die Entwerfenden am nördlichen Ende des Areals zwischen Schützenstrasse und Rheinstrasse hinter den beiden freigestellten Bestandesbauten. Davon ausgehend beginnt die Gasse zwischen den drei mittleren Wohnhäusern und den Atelierbauten. Diese bildet gleichzeitig auch die Haupterschliessung im Areal. Ihr kommt eine umso grössere Wichtigkeit zu, als dass der halböffentliche Hof gegen das Kantonsgericht abgeschlossen ist. Die Jury würdigt die zentrale Lage und den allseitigen Anschluss an das Wegnetz, aber auch an die Gebäude und schreibt der Gasse eine «wesentliche, integrative Bedeutung» zu. Aus architektonischer Sicht überzeugt vor allem die trichterförmige Enge und Weite. Camillo Sitte hätte seine wahre Freude…
In einigen Punkten verortet die Jury allerdings Verbesserungspotential. Namentlich wünscht sie eine Überarbeitung der Atelierzeile, eine gestalterisch klarere Aussage des Kopfteils zum Kantonsgericht, sowie eine Verbesserung zur Zufahrt zur Autoeinstellhalle im Norden, fügt aber auch gleich an, dass der öffentliche Platz darunter nicht leiden dürfe.
Liebe Jury… was ist mit den Wohnungen?
Der Jurybericht widmet sich den Themen Städtebau, Durchwegung, dem Verhältnis von Alt und Neu und der schwierigen Lage am Hang sehr ausführlich. Eines unterlassen die Preisrichter aber vollends: Die Wohnungen! Mit der Aussage «Insgesamt überzeugt das Projekt (…) bis zu den Wohnungsqualitäten» schliesst die Bewertung zu den Grundrissen. Mit Absicht? Wir gehen für euch durch die Grundrisse:
Im hohen Gebäude zum Bahnhof hin finden sich ausschliesslich 2.5 Zi-Wohnungen. Fünf Zweispänner erschliessen die ungefähr 65 Quadratmeter grossen Wohnungen. Insgesamt gibt es mehrere Typen, die sich im Wesentlichen durch die Lage und Anordnung der Küche unterscheiden. Kochen und Wohnen sind diagonal angeordnet. Alle Wohnungen haben sowohl Bezug zur Bahnhofsstrasse, bzw. zur Rheinstrasse, wie auch zum Hof. Bis auf die Eckwohnung orientieren sich alle Schlafzimmer zum Hof. Eingeschnittene Balkone fungieren als Aussenraum. Ein direkter Zugang zum Hof besteht nicht, auch nicht von den Erdgeschosswohnungen. Ob man die Aussenräume im Hof nun einer Wohnung zurechnen soll oder nicht, kann man im Sinne privater Aussenräume diskutieren, undefinierte Grünräume vor Hochparterrewohnungen werden in Realität aber meist nie genutzt. Für 2.5 Zimmer sind die Wohnungen sehr gross geraten, insbesondere der Wohn-/Essbereich.
Wesentlich effizienter geben sich die 2.5, 3.5 und 4.5 Zi-Wohnungen in den mittleren Gebäuden. Die Zwei- und Dreispänner bieten unterschiedliche Wohnungstypen. Die 75 Quadratmeter grosse 3.5 Zi-Wohnung kann man durchaus als effizient betrachten, ebenso die 90 Quadratmeter grosse 4.5 Zi-Wohnung. Sowohl die Zimmer, als auch die Loggien orientieren sich nach Westen und Osten. Die Kopfbauten unterscheiden sich jeweils von den restlichen Wohnungen.
Im ehemaligen Verwaltungsgebäude der Lüdin AG quartieren sich pro Geschoss drei sehr grosse Wohnungen ein. Die 85 Quadratmeter grosse 1.5 Zi-Wohnung ist geradezu frech. Da geht in einer Überarbeitung sicher noch mehr. Jedenfalls ist es dem Entwurf hoch anzurechnen, dass aus den ehemaligen Büros Wohnungen und der Bestand nicht abgerissen wurde.
Im zweistöckigen Gebäude an der Gasse finden 16 Ateliers Platz. Auf einen grossen Raum von 35 Quadratmeter folgen ein Bad, ein kleines Reduit und eine Küchenzeile. Während sich die oberen Ateliers der Gasse zuwenden, haben die unteren direkten Bezug zum Orisbach – auch wenn das die etwas irreführende Visualisierung anders aufzeigt. Das Gewerbe findet – zusätzlich zu den Ateliers – in den Erdgeschossen des Kopfbaus an der Rheinstrasse, sowie in jenen des ehemaligen Verwaltungsbaus und des Vorstadthauses Platz.
Was bringt die Zukunft?
Die architektonische Diversität kommt nicht nur im Städtebau, sondern auch in den einzelnen Wohnungen zum Tragen, allerdings wünschte man sich etwas konstantere Erschliessungssituationen. In einigen Fällen führt der Lift ins Treppenhaus, in anderen direkt in die Wohnung. Dieser Umstand ist wohl der Höhenstaffelung der Gebäude verschuldet, aber ungünstig. Wir sind uns mit der Jury einig: Die Hofsituation ist noch etwas unklar. Einerseits wird sie als «halböffentlich» oder gar «privat» bezeichnet, doch mehr als eine mäandrierende Grünfläche findet noch nicht statt. Wie auch zu den Wohnungen verliert die Jury keine grossen Worte zur vorgeschlagenen Materialisierung. Ein Bewertungskriterium ist laut Jurybericht nämlich ein «Ressourcenschonender Umgang mit Materialien und Energie». Es ist zu hoffen, dass die hinterlüftete Fassadenkonstruktion, wie sie Steib Gmür Geschwentner Kyburz vorschlagen, nicht zu einer lausigen Kompaktfassade wird…
Die sieben weiteren Projektvorschläge besprechen wir demnächst!
Text und Kritik: Simon Heiniger / Architektur Basel
Quellen:
– Fotos Bestand: © Simon Heiniger / Architektur Basel
– Modellfotografie / Planmaterial / Visualisierungen: raumplan wirz gmbh, (Dezember 2020), Jurybericht: «Lüdin Aral, Liestal / Anonymer Projektwettbewerb im Einladungsverfahren» (Die Inhalte wurden von raumplan wirz gmbh zur Verfügung gestellt. Wenn nicht anders beschriftet, liegen keine näheren Angaben zu den Verfassenden vor).