Es ist eines der wichtigsten Transformationsareale in Basel. Auf dem nördlichen Teil des Güterbahnhofs Wolf entsteht in den kommenden Jahren ein neues Stadtquartier. Der Städtebau stammt aus der Feder von Christ & Gantenbein und EM2N, wobei unterschiedliche Bausteine um eine langgezogenen Hof ein Ensemble bilden. Für zwei wurde nun ein Architekturwettbewerb im Auftrag der SBB durchgeführt. «Aus einer städtebaulichen Idee wird endlich Architektur!» schreibt Emanuel Christ. Parabase, Experience und M—AP architects heissen die Gewinnerteams für die beiden Baufelder MF02 und MF03.

Arealentwicklung Wolf Basel © SBB
Verbindung zur Vergangenheit und Versprechen für die Zukunft
1876 wurde das Güterbahnhofareal Wolf vor den Toren Basels eröffnet. Heute bietet es grosses Entwicklungspotenzialdurch die Verlagerung des internationalen Güterverkehrs und die zentrale Lage nahe dem Bahnhof Basel. SBB und der Kanton Basel-Stadt haben vor rund 10 Jahren ein kooperatives Planungsverfahren gestartet, um das Areal neu zu gestalten, wobei Logistiknutzungen im Nordosten erhalten bleiben. Ein genehmigter Bebauungsplan (2023) sieht ansteigende Gebäudekörper um einen lärmgeschützten Hof vor, der drei historische Eisenbahnbauten integriert. «Um diesen Hof soll ein urbanes Ensemble aus einzelnen Gebäuden entstehen – jedes individuell ausdrucksstark und doch gleichzeitig über Gebäudefluchten, Gliederung und Materialität miteinander verbunden. In der Mitte des neuen Quartiers, gleichsam als Verbindung zur Vergangenheit und Versprechen für die Zukunft sollen die denkmalgeschützten Hallen und das ehemalige Dienstgebäude für Gemeinschaftsnutzungen, Läden und Freizeiteinrichtungen umgenutzt werden», beschreibt Architekt und vorsitzendes Jurymitglied Emanuel Christ die Qualitäten des Städtebaus.

Die Bausteine im Überblick © SBB
Spuren der Eisenbahn
Für zwei Bausteine – namentlich MF02 und MF03 – fanden nun die ersten selektiven Wettbewerbsverfahren statt. Teilgenommen haben mitunter bekannte Namen wie Luca Selva, Manuel Herz, Bachelard Wagner, EMI, Lütjens Padmanabhan oder OFFICE Kersten Geers David Van Severen. «Mit den beiden ersten Projektwettbewerben wird nun konkret, was während der vergangenen zehn Jahre in unzähligen Studien und Untersuchungen sorgfältig entwickelt und vorbereitet worden ist. Aus einer städtebaulichen Idee wird endlich Architektur!» erklärt Emanuel Christ die Ausgangslage. Neben ihm sassen Lilitt Bollinger, Sarah Barth, Jeannette Kuo und Lard Ruge in der Fachjury. «Schliesslich konnten zwei exzellente Vorschläge ausgewählt werden», schreibt Christ. Beide seien «wegweisende, zeitgemässe Antworten auf die grossen und kleinen Fragen» der heutigen Stadtentwicklung. Angefangen bei den jeweils typologischen Lösungen für ein vielfältigen Wohnungsmix «im Sinne einer hochwertigen Lebensqualität und den sorgfältig ausformulierten Wohnungsgrundrissen über die schon weit entwickelten Konzepte zu ökologischen Bauweisen bis zu den detailliert und differenziert entwickelten Fassaden.» Es sei interessant zu sehen, wie beide Entwürfe in Material und Ausdruck auf das bestehende Areal reagieren. Die Präsenz der Eisenbahn und industriell gewerblicher Aktivitäten im unmittelbaren Umfeld des Areals hinterlassen in beiden ausgewählten Projekten ihre Spuren. Christ: «Bauteile, Formen und Motive des Kontexts werden in den Entwürfen reflektiert oder gar im Sinne des zirkulären Bauens wiederverwendet.»
Siegerprojekt MF02: Janus
Experience, Paris und M—AP architects, Lausanne

Das Projekt von Experience + M–AP im Modell © SBB
Der Name ist Programm: Das Projekt «Janus» betont die zwei unterschiedlichen Seiten des Orts und macht diese Zweiseitigkeit zum bestimmenden Merkmal des Entwurfs. Die horizontal gebänderte Südfassade nimmt Bezug auf die Weite und die Grossmassstäblichkeit der Bahnanlagen. Die nördliche Hoffassade ist kleinteiliger gegliedert und das Sockelgeschoss deutlicher abgesetzt. «Das Thema Lebensqualität im Sinne der Geschützten Bedürfnisse wiederum wurde in vielfältiger, origineller und dennoch alltagsnaher Weise überzeugend in das Projekt eingeschrieben», schreibt die Jury. Das Gebäude spiele gekonnt mit der Bewegung: Doppelgeschossige Felder im Sockel der Gleisfassade weisen eine «chronoplastische Abfolge» von Öffnungen auf, die aus den vorbeifahrenden Zügen wahrgenommen werden können.

© Experience + M–AP
Diese sich ändernde Grundfigur setzt sich auch in den Grundrissen fort: Die zehn Treppenhäuser sind in den unteren Geschossen jeweils um einige Grad zueinander gedreht, die Architekt:innen nennen dieses Prinzip «Chronoplan». «Die sich daraus ergebenden unterschiedlichen Raumfiguren sind plangrafisch reizvoll», schreibt die Jury. Hoffentlich sind sie es auch räumlich. «Die durch die Drehung übers Haus unterschiedlichen Grundrisse sind durchgängig gut gestaltet, was von einer soliden Grundstruktur zeugt. Das Verhältnis von Hauptnutzfläche zur oberirdischen Geschossfläche ist gut», heisst es im Jurybericht.

© Experience + M–AP
Die Jury würdigt die intensive Auseinandersetzung mit den jeweils unterschiedlichen Anforderungen der Hof- und der Gleisseite und ist von den Lösungsvorschlägen des Projekts Janus überzeugt. Das Gebäude ist äusserst kompakt und effizient und schafft es mit einer entwerferischen Leichtigkeit, eine hohe Wohnqualität zu erreichen. Die Stärke des Projekts liegt insbesondere in der spannungsvollen Erschliessungsfigur über die Geschosse und der hohen Qualität der Wohnungsgrundrisse.
Siegerprojekt MF03: Binaria
PARABASE GmbH, Basel und Confirm AG, Basel (Nachwuchs)

© Parabase
Das Projekt Binaria benennt Zirkularität und Dichte als Schlüssel für den Entwurf. Das Projekt ist geprägt von einer Auseinandersetzung mit den Themen «ReUse und Design for Disassembly» und schaffe es gemäss Jury, aus einer intelligenten Konstruktionsstrategie heraus innen wie aussen einen neuen architektonischen Ausdruck zu schaffen. Binaria zeigt sich der Stadt mit einem metallenen Kleid aus ReUse-Wellblechen. Die Erschliessungen zeichnen sich auf der Fassade als geschlossene vertikale Zonen ab, welche leicht aus der Fassadenflucht heraustreten, dazwischen liegen Bandfensterreihen mit vorgelagerten, zur Strasse gerichteten Akkustikpaneelen, die den Lärm dämpfen sollen. Unter den ebenfalls gebrauchten Paneelen bilden alte Metallschwellen der SBB als lineares Element einen Abschluss. «Die städtisch anmutende Fassade wirkt durch das schimmernde Metall auch mit ReUse-Elementen sehr elegant», lobt die Jury. Die Wirkung könnte sich mit gebrauchten, weniger glänzenden Elementen sogar noch verstärken. Die Jury möchte die Verfassenden darin bestärken, den Charakter des «geschraubten Hauses» in der Fassade sogar noch sichtbarer abzubilden.

© Parabase
Der Durchgang zum Hof ist weit und hoch und weist eine «gute Proportion» auf. Auffallend und adressbildend ist eine markante kreisförmige Öffnung in der Seitenwand, welche ebenfalls mit Schallabsorber-Paneelen versehen ist. Eine Stützenreihe in der Mitte bricht den monumentalen Charakter und verleiht dem Durchgang Massstäblichkeit.

© Parabase
Das Projekt «Binaria» bietet gemäss Jurybericht einen «aussergewöhnlichen und zukunftsweisenden» Vorschlag an, wie ein neuer architektonischer Ausdruck mit ReUse Bauten gelingen könne und sei gleichzeitig ein markanter und eleganter Stadtbaustein für den Wolf. «Die vorgeschlagene Materialisierung und Bauweise mit ReUse Bauteilen ist überzeugend und die Hoffnung ist gross, dass die Verfassenden zusammen mit der SBB als Auftraggeberin ein bahnbrechendes Projekt entwickeln, das neue Massstäbe im Bauen mit ReUse Bauteilen setzt.» Die Jury ist denn auch beeindruckt von der Selbstverständlichkeit, wie die Verfassenden dieses Thema präzise und stimmig im Entwurf einbringen.

© Parabase
«Grossmassstäblich industriell und doch feingliedrig»
Die beiden Bausteine machen den Anfang. Man darf gespannt sein, wie sich das Ensemble weiterentwickelt – wie die (noch) vorhandenen Spuren der industriellen Vergangenheit weitergesponnen werden. ReUse darf nicht zum Greenwashing werden. Emanuel Christ ist optimistisch: «Es entsteht eine neue urbane Architektur erdacht aus dem, was schon da ist: Grossmassstäblich industriell und doch feingliedrig auf den menschlichen Massstab ausgerichtet. Roh und fein. Man könnte auch sagen: Die Entwürfe suchen die Kontinuität und den Neuanfang zugleich – ein vielversprechender konkreter Schritt hin zu einem neuen lebendigen, dichten Stadtquartier an den Gleisen.»
Artikel: Lukas Gruntz / Architektur Basel
Info Wettbewerbsausstellung
Die öffentliche Wettbewerbsausstellung findet an folgender Adresse statt:
St. Jakob- Strasse 200, Basel
Halle 1 im 1. Obergeschoss
Öffnungszeiten:
Freitag, 28. März 2025, 15:00 bis 19:00 Uhr
Samstag, 29. März 2025: 12.00 bis 16.00 Uhr