Basel, Dessau, Moskau, Mexico-Stadt: Das bewegte Leben des Basler Architekten Hannes Meyer

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Eine gibt wohl kaum eine faszinierendere Basler Architektenbiografie: Von der Kindheit im Kleinbasler Waisenhaus über die Bauhaus-Direktion in Dessau zum Professor in Mexico. Das wechselvolle Leben von Hannes Meyer (1889-1954) steckt voller Wendungen, die oftmals in Zusammenhang mit den grossen Linien und Brüchen der Weltgeschichte stehen. In seinem Gastbeitrag zeichnet Ernst Spycher das Leben von Meyer nach. Es ist für die Basler Bakultur bis heute von grosser Bedeutung. Spycher fordert, dass man in Basel einen Platz zu Ehren von Hannes Meyer benennen soll. Dieser Forderung schliesst sich «Architektur Basel» gerne an. Es wäre an der Zeit, sein Schaffen in Basel entsprechend zu würdigen.

Hans Emil Meyer (Hannes) wurde am 18. November 1889 in Basel geboren. Sein Vater, Johann Emil Meyer war Baumeister und Besitzer eines kleinen Bauunternehmens in Basel. Nach Freitod seines Vaters im Frühjahr 1899, sowie die Erkrankung seiner Mutter verbrachte er die folgenden sechs Jahre zusammen mit seinen beiden Brüdern in der «Bürgerlichen Waisenanstalt» in Basel. Die widersprüchlichen Erfahrungen, vor allem der Gegensatz von Geborgenheit und Freiheit, das fremde Milieu und die harten Erziehungsmethoden sind prägend für den Schüler Hannes.

Während seiner Berufsausbildung als Maurer, die danach folgte, hatte er die Gelegenheit auch im Architekturbüro des Baugeschäftes zu arbeiten. Bereits in dieser Zeit kommt er, durch Streiks auf Baustellen, in Kontakt mit der aufkommenden Arbeiterbewegung. Bürgerliche Reformbewegungen, wie die Schweizerische Freilandbewegung, dabei geht es vor allem um eine Verbesserung der gesellschaftlichen Verhältnisse, weckten schon früh sein Interesse.

Paul Camenisch, Bildnis Hannes Meyer, 1952/53. © Paul Camenisch/Kunstmuseum Olten

Im Herbst 1909 reiste Hannes Meyer nach Berlin, nach knapp drei Jahren Berufstätigkeit in zwei Architekturbüros und beruflicher Weiterbildung. Ende 1912 verlässt er Berlin und fährt für einen fast einjährigen Studienaufenthalt nach England, wo er sich intensiv mit der modernen Siedlungs- und der aktuellen Gartenstadtbewegung auseinandersetzt. Im Herbst 1913 kehrt er, als ausgebildeter Architekt, in die Schweiz zurück und gründet ein Architekturbüro.

Ab Dezember 1916 folgt eine zweijährige Tätigkeit als Ressortchef in der Bauverwaltung der Firma Krupp in Essen. In der Essener Siedlung für Angehörige der Krupp-Werke wurden von 1910-1917 etwa 700 Wohnungen gebaut. Am Ende des 1. Weltkrieges, nach etwa zehnjähriger beruflicher Tätigkeit und Weiterbildung im Ausland, kehrt Hannes Meyer zurück in die Schweiz und eröffnet 1919 zum zweiten Mal ein eigenes Architekturbüro in Basel. Er sucht in den folgenden Jahren Anschluss an die internationale künstlerische Avantgarde. Zu den wichtigsten Kontaktpersonen gehörten Mitglieder der holländischen De-Stijl-Gruppe, die von Theo van Doesburg geleitet wurde.

Die Siedlung Freidorf in Muttenz

Luftbild "Freidorf bei Basel" © Siedlungsgenossenschaft Freidorf

Luftbild «Freidorf bei Basel» © Siedlungsgenossenschaft Freidorf

Die Siedlung Freidorf am Dorfrand der Gemeinde Muttenz/BL wurde als genossenschaftliches Musterdorf in den Jahren 1919-1924, in mehreren Bauabschnitten realisiert. Sie war die erste «Vollgenossenschaft», eine Kombination von Konsum- und Wohngenossenschaft, in der Schweiz. Er hatte mit seinem ersten grösseren Planungsauftrag die Möglichkeit erhalten, seine vielfältigen Erfahrungen mit fortschrittlichen Formen des gesellschaftlichen Zusammenlebens, als neue Siedlungsform, baulich umzusetzen.

Die Petersschule in Basel
Im Frühjahr 1926 gründete Hannes Meyer eine Arbeitsgemeinschaft mit Hans Wittwer (1894-1952). In dieser entstanden 1926/27 die beiden Wettbewerbsentwürfe für die Petersschule in Basel und den Völkerbundpalast in Genf. Die Teilnahme am Wettbewerb zur Peterschule blieb erfolglos. Mit dem Beitrag zum internationalen Wettbewerb für den Völkerbundpalast erreichten sie einen 3.Rang, und damit internationale Beachtung.

Wettbewerbsentwurf Petersschule, 1926, Basel © Stiftung Bauhaus Dessau (Meyer) / Hans-Jakob Wittwer (Wittwer)

Die ungewöhnliche Form des Schulhausentwurfs und seine innere Organisation stellt mit architektonischen Mitteln die anbrechende, neue Zeit dar. Der Entwurf zeugt von einer Gestaltungsauffassung, die auch vom sowjetischen Konstruktivismus beeinflusst war. Die Architekten suchten eine gestalterische Lösung, die als Erziehungsideal für eine allseitig gebildete Jugend, die in einer gesunden Umwelt aufwächst, dienen sollte. Später überarbeiteten sie den Entwurf, der danach in der Zeitschrift «Bauhaus» Nr. 2, 1927 in Dessau veröffentlicht wurde. Durch diese Publikation wird die neue Fassung des Entwurfs der Petersschule und Ihre Verfasser in internationalen Fachkreisen bekannt.

Hannes Meyer als Meister und Direktor am Bauhaus Dessau
Das Bauhaus in Dessau wurde am 4. Dezember 1926 eröffnet. Das Schulgebäude und die vier gleichzeitig errichteten Meisterhäuser wurden nach Entwürfen von Walter Gropius, dem ehemaligen Gründer und Direktor des Staatlichen Bauhauses in Weimar, in einer sehr kurzen Bauzeit erstellt. Die Gebäude symbolisieren einen Neubeginn der bisherigen Bauhausarbeit. Hannes Meyer hat an den Eröffnungsfeierlichkeiten teilgenommen und führte Gespräche mit Walter Gropius und einigen Meistern des Bauhauses. Bereits im April 1927 wird er seine Arbeit als Meister zum Aufbau der Architektenausbildung am Bauhaus Dessau aufnehmen. Ein Jahr später wird er zum Direktor, als Nachfolger von Walter Gropius, berufen. Ein wichtiger Ansatz beim Aufbau der neuen Bauabteilung am Bauhaus Dessau war die Zusage der Stadt, in direkter Zusammenarbeit mit dem Bauhaus einige Versuchsbauten, in einer Siedlung deren Planung auf früheren Entwürfen von Walter Gropius aufbaute, zu errichten. Daraus entstand das grösste Bauvorhaben des Bauhauses, die Laubenganghäuser in Dessau-Törten.

© Klaus-Jürgen Winkler: Der Architekt Hannes Meyer – Anschauungen und Werk, Berlin 1989

Von den ursprünglich zehn geplanten Bauten, für die Dessauer Wohnbaugenossenschaft, wurden fünf, in Zusammenarbeit mit den Studenten, realisiert. Im Frühjahr 1928 gewann Hannes Meyer in Zusammenarbeit mit Hans Wittwer, der ab 1927 auch als Meister am Bauhaus Dessau lehrte, den Wettbewerb für eine Gewerkschaftsschule in Bernau, in der Nähe von Berlin. Laut der Wettbewerbsausschreibung sollte die Gewerkschaftsschule ein „Musterbeispiel moderner Baukultur“ werden. Für Hannes Meyer und das Bauhaus in Dessau wurde der Auftrag zur Realisierung der Bundesschule, neben den Laubenganghäusern in Dessau-Törten, zur wichtigsten Bauaufgabe der nächsten beiden Jahre. Die ADGB-Bundessschule Bernau wurde 2017 als Baudenkmal in die UNESCO-Welterbeliste aufgenommen, genauso wie die Laubenganghäuser in Dessau-Törten.

Fristlose Entlassung und Zeit in der Sowjetunion
Am 1. August 1930 ist Hannes Meyer als Direktor des Bauhauses Dessau fristlos entlassen worden, nachdem ihm vom Arbeitgeber, und auch von einigen Kollegen, eine zu grosse politische Nähe zur Kommunistischen Partei Deutschlands vorgeworfen wurde. Die folgenden sechs Jahr arbeitet Hannes Meyer in der Sowjetunion, wie auch der Architekt Hans Schmidt (1893-1972) aus Basel, sowie tausende europäische und amerikanische Fachleute, sie sich dadurch am sozialistischen Aufbau der Sowjetunion beteiligen. Als Architekt und als Professor an der Staatlichen Hochschule für Architektur und Bauwesen in Moskau, arbeitete er mit der «Brigade Meyer», unter anderem, an der Planung und am Aufbau grosser neuer Städte. Hannes Meyer steht im Sommer 1936 durch die ungeplante Rückkehr aus der Sowjetunion vor dem Problem ein neues Wirkungsfeld zu finden. Anfänglich wohnt er mit seiner Familie in Genf.

Genossenschaftliches Kinderheim in Mümliswil/SO
Im Herbst 1937 erhält er die Möglichkeit ein Projekt für ein Genossenschaftliches Kinderheim in Mümliswil/SO auszuarbeiten. Auftraggeber war eine Stiftung, gegründet von Bernhard Jäggi, Leiter des Verbandes Schweizerischer Konsumvereine (VSK), der mit ihm seit dem Bau der Siedlung Freidorf in Muttenz/BL, freundschaftlich verbunden war. Aus dem Projekt sollte das erste Konsumgenossenschaftliche Kinderheim in der Schweiz entstehen. Mit dem Bau des Kinderheims in Mümliswil wurde bereits im Frühjahr 1938 begonnen, der Neubau war nach einem Jahr fertiggestellt. Es war vorgesehen, dass im Kinderheim jeweils 24 Kinder im Alter von 6-18 Jahren für drei Monate leben. Das Kinderheim wurde 1973 geschlossen und zu einem Bildungs- und Ferienheim umgewandelt.

© Klaus-Jürgen Winkler: Der Architekt Hannes Meyer – Anschauungen und Werk, Berlin 1989

Im Jahr 2011 ist das ehemalige Kinderheim von einer privaten Stiftung übernommen worden und beherbergt seit 2013 die erste nationale Gedenkstätte für Heim- und Verdingkinder. Da Hannes Meyer in der Folgezeit in der Schweiz keine weiteren Aufträge erhielt, siedelt er von 1939-1948 nach Mexiko-Stadt über. Wo er am Anfang als Professor am Instituto de Urbanismo arbeitete und später, neben vielen anderen, öffentlichen und privaten Aktivitäten, am Aufbau des staatlichen Schulbauprogramms mitwirkte. Nach seiner Rückkehr in die Schweiz lebt er bis 1954 in der Nähe von Lugano, und arbeitete an wissenschaftlichen Studien und theoretischen Schriften. Seine Bestrebungen in Europa wieder als Architekt, Städtebauer oder Professor zu arbeiten blieben ohne Erfolg. Hannes Meyer starb am 19. Juli 1954.

Ein Platz zur Ehren von Meyer
Eine vom Autor in Basel geplante Ausstellung zum Thema «Hannes Meyer – Petersschule Basel – Bauhaus Dessau», die im Frühjahr 2019 hätte stattfinden sollen, kam leider nicht zu Stande. Vier kontaktierte Basler Institutionen waren damals aus unerklärlichen Gründen nicht bereit zu einer Zusammenarbeit. Die Ausstellung könnte allerdings 2026 nachgeholt werden, hundert Jahre nach dem Entwurf der international bekannten Petersschule. Für die Erarbeitung wäre noch genug Zeit vorhanden. Aus heutiger Sicht wäre es an der Zeit, dass in Basel, der Heimatstadt von Hannes Meyer ein Platz nach ihm benannt würde. Einen entsprechenden Vorschlag machte der Autor der zuständigen Kommission bereits vor einigen Jahren.

Text: Dr. Ernst Spycher, Architekt, Basel

 

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