Baukultur in aller Munde

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In der Semper Aula an der ETH Zürich fand am 10. November 2021 die erste Jahrestagung der Stiftung Baukultur Schweiz in Zusammenarbeit mit Tom Avermate (ETH Zürich, gta) unter dem Titel «Baukultur und die Stadt» statt. Vor- und Nachmittag füllten je eine Keynote sowie ein umfassender Themenblock. Vittorio Magnago Lampugnani, der erste Keynotespeaker, legte den Finger in die Wunde, als er unumwunden zugab, dass es ihm nicht klar sei, wie Baukultur definiert würde. Mit dieser Offenlegung nahm er den Grundtenor von so mancher/m Vortragenden vorweg. Planercommunity und Ämter gleichermassen hadern mit einer klaren, konkreten Begriffsdefinition zur –hohen – Baukultur. Mehr als selten geschieht es, dass Baukultur lediglich als ein Synonym für Architektur und Städtebau herangezogen wird. Als omnipräsentes Schlagwort ist dessen Status über den einer modischen Worthülse noch nicht wirklich hinausgekommen.

Der erwähnte Architekt und Städtebauhistoriker näherte sich in seiner Keynote anhand konkreter historischer Episoden des Städtebaus der Baukultur und exemplifizierte an unterschiedlichen Massstäben robuste städtebauliche Arbeiten der letzten 500 Jahre. Im darauffolgenden Themenblock (Baukultur und die Produktion der Stadt) referierten Marianne Burkhalter (Burkhalter-Sumi Architekten), Werner Binotto (ehem. Kantonsbaumeister St. Gallen), Marcel Smets (ehem. Baumeister von Flandern) und Katrin Gügler (Direktorin Amt für Städtebau Zürich) über ihre jeweilige Rolle als Gestaltungsbeiräte oder Verantwortliche für Städtebau und Raumplanung. Den Nachmittag läutete die – digital übertragene – Keynote von Grafton Architects ein, in der die beiden Architektinnen aus Dublin anhand einiger Projekte ihre Herangehensweise im Rahmen des Entwurfsprozesses in unterschiedlichen Kontexten vorstellten. Der zweite Themenblock (Baukultur und die Transformation der Stadt) versammelte die Beiträge von Susanne Eliasson (GRAU), Kees Christiaanse (KCAP), Salvador Rueda (IAAC Barcelona) sowie Paola Viganò (EPFL), die ihre praktische wie theoretische Auseinandersetzung mit Stadt in Bezug zu baukulturellem Handeln stellten.

Die zahlreich besuchte Tagung gab trotz der unterschiedlichen Präsentationen einen Einblick in die Diskussionen über die Baukultur, blieb aber konkrete Antworten auf die Frage, was denn nun «Baukultur» sei, schuldig. Es mag zwar schwierig sein, eine scharf abgegrenzte Definition zu liefern, aber gerade dieser inflationär verwendete Begriff, der bereits in die Titelei einer Sektion des Bundesamtes für Kultur Einzug gehalten hat und in Zukunft Thema eines nationalen Forschungsprogramms sein soll, müsste des besseren Verständnisses wegen klarere Konturen aufweisen. Vielleicht wird man auf der nächsten Jahrestagung, die im November 2022 an der EPF in Lausanne stattfinden wird, diesem Ziel schon nähergekommen sein.

An der FHNW in Muttenz arbeitet derzeit ein vierköpfiges Forscher*innen-Team am vom Schweizerischen Nationalfonds finanzierten Projekt «Baukulturen der Schweiz, 1945-1975», in dem die Arbeiten von drei Planungsbüros (Suter + Suter, Giovanni Lombardi, AAA) aus den drei grossen Sprachregionen der Schweiz auf die historische baukulturelle Dimension hin befragt werden.

Text: Prof. Dr. Harald Stühlinger

 

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