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Baukultur versus Solaroffensive – ein Widerspruch?

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Basler Dächer sollen mehr Strom produzieren. Unter dem Namen «Solaroffensive» plant der Regierungsrat ein Gesetz zur Forcierung der Photovoltaik-Pflicht im ganzen Kanton – auch in Schutzzonen und in der Altstadt. Dafür hagelt es Kritik aus Architektur- und Heimatschutzkreisen. «Eine Solarstrom-Anbauschlacht lässt sich auch gewinnen, ohne unsere Schutzzonen nachhaltig zu verschandeln!», schreibt beispielsweise der Verein Domus Antiqua Helvetica in einer öffentlichen Stellungnahme. Ebenso kritisch sieht der Bund Schweizer Architektinnen und Architekten (BSA) den Vorstoss. Die Frage steht im Raum: Steht die Solaroffensive im Widerspruch zur Basler Baukultur? Ein Kommentar unseres Redaktors Lukas Gruntz.

Kleinteiliger Flickenteppich auf dem Bruderholz © Google Maps / Architektur Basel

Es ist kein schönes Bild. Als ich kürzlich durch das Bruderholzquartier spazierte, offenbarte sich mir auf den zahlreichen Giebeldächern ein ziemlicher Flickenteppich. Hier hat die Solaroffensive bereits ihre Spuren hinterlassen. Die ansässigen Eigentümerschaften sind der Installation einer eigenen Photovoltaik-Anlage vorbildlich nachgekommen. Der ästhetische Schaden am Stadtbild ist unübersehbar. Die Solarmodule kleben lieblos platziert auf den Ziegeldächern. Gestalterisch gut integrierte Indach-Solarpaneele gehören der verschwindend kleinen Minderheit an. Gemäss Regierung soll der Flickenteppich in allen Quartieren – also auch in der Altstadt – zur neuen Normalität werden. «Neu sollen alle Bauten im Kanton Basel-Stadt, welche für die PV-Nutzung gut bis sehr gut geeignete Dachflächen, Fassaden oder andere Oberflächen aufweisen, Energie lokal und erneuerbar selbst produzieren», fordert die Regierung. Was bedeutet «gut bis sehr gut geeignet»? Ich werfe einen Blick auf das kantonale Solarkataster. Mit Erstaunen stelle ich fest: Fast alle Bauten in Basel wären betroffen. Man kann also von einer flächendeckenden Solarpflicht für Dächer und Fassaden sprechen.

Der Basler Solarkataster beweist: Die ganze Innenstadt weist eine «gute» (hellblau) bis «beste» (dunkelblau) Eignung auf.

Was hiesse eine Pflicht in der gebauten Realität? Die Installation von PV-Modulen bedingt die Erstellung eines Gerüsts, punktuelle Anpassungen am Dach und an den hausinternen Strominstallationen. Eine Zuleitung samt Wechselrichter, separatem Zähler und allenfalls einem neuen Hausanschluss müssen erstellt werden. Das ist alles machbar – und technisch keine besondere Herausforderung. Die Frage lautet: Macht es im Einzelfall auch Sinn? Dabei ist die Gesamtbetrachtung einer Liegenschaft entscheidend. Wenn beispielsweise der Dachstuhl noch nicht ausgebaut ist, sollte die Installation unbedingt mit der Dämmung der Gebäudehülle einhergehen. Falls eine Ausnützungsreserve besteht, verbindet man die Installation idealerweise mit einer Aufstockung. All das braucht genügend Zeit zur sorgfältigen Planung – und zur Finanzierung. Flickwerk und Bastelei sind zu vermeiden. Zudem sollen weiterhin C02-arme Low Tech-Ansätze möglich sein – und keine einseitig technische Antwort auf die Herausforderung des ökologischen Bauens erfolgen.

«Hier muss befürchtet werden, dass ohne ein qualitatives Regelwerk ein individuelles Flickwerk entsteht, das zudem ineffiziente Solaranlagen nach sich zieht.»

Kürzlich war ich im neuen B1 Rooftop Bistro, dem Café auf dem kürzlich umgebauten Helvetia-Turm. Mein Blick wanderte über die umliegenden Häuser des St. Alban-Quartiers. Ich entdeckte viele grosse Flachdächer von Bürobauten und Mehrfamilienhäusern, die für Photovoltaik (noch) zur Verfügung stünden. Ein Beispiel: Die Bauten der Swisslos Landeslotterie an der Langen Gasse. Auch der BSA sieht das Potenzial vor allem auf Flachdächern, wie er in seiner Stellungnahme zum Ratschlag schreibt: «Hier besteht kein Zweifel, dass das noch nicht erschlossene Potential bei Neu- und Umbauten konsequent genutzt werden sollte.» Kritischer sieht der Verband Solaranlagen auf Steildächern: «Hier muss befürchtet werden, dass ohne ein qualitatives Regelwerk ein individuelles Flickwerk entsteht, das zudem ineffiziente Solaranlagen nach sich zieht.»

Künftig theoretisch möglich: Das «solarisierte» Basler Münster © Silvio Schubiger

Widerstand regt sich gegen den folgenden Vorschlag der Regierung: «Neu sind Dach-Solaranlagen auch auf Bauten und Anlagen in der Stadt- und Dorfbild Schutzzone nicht mehr bau-, sondern nur noch meldepflichtig.» Domus Antiqua Helvetica weist auf «mehrere Verletzungen der Bundesgesetzgebung hin», wonach der Denk- und Ortsbildschutz ein besonders hohes Gut darstelle. Die Sektion beider Basel fordert deshalb ein Moratorium der Photovoltaik-Pflicht an schützenswerten Bauten bis mindestens 2030 und die Beibehaltung der bewährten bisherigen Bewilligungspraxis der Denkmalpflege: «Gleichzeitig ist bei Gebäuden in der Schutz- und Schonzone auf jegliche Ersatzabgabe zu verzichten, falls keine PV-Anlage erstellt werden kann.» Ähnlich kritisch sieht dies der BSA: «Angesichts der Tatsache, dass selbst kleine Veränderungen an Bestandsbauten genehmigungspflichtig sind, erscheint es inkonsequent und nicht nachvollziehbar, dass die Errichtung von PV-Anlagen genehmigungsfrei sein soll.» Der neue Grundsatz sollte lauten: Optisch gut angepasste und integrierte Solaranlagen auf Dächern und an Fassaden sind im ganzen Kantonsgebiet – unter Einbezug der Denkmalpflege und Stadtbildkommission – grundsätzlich bewilligungsfähig.

«Die Einführung eines rein technischen Regelwerks ohne Rücksicht auf die architektonische und kulturelle Bedeutung der bestehenden Bausubstanz führt zu einer gravierenden ästhetischen und funktionalen Beeinträchtigung des Stadtbilds.»

Es braucht einen gutbaslerischen Kompromiss – und zwar mit Augenmass. Ich wage ihn zu skizzieren: Die PV-Pflicht gilt ab einer Mindestdachfläche von 100 Quadratmetern, die die «beste Eignung» gemäss Solarkataster aufweisen. Bei Fassaden entfällt die Pflicht. Damit könnten vor allem die vielen Low Hanging Fruits zeitnah gepflückt – und ein kleinteiliger Flickenteppich verhindert werden. Das wäre ein effektiver Hebel, der in den nächsten Jahren eine immense zusätzliche Solarstrom-Produktion ermöglichen würde. Aus architektonischer Sicht nicht verhandelbar ist die Bewilligungspflicht in Schutz- und Ortskernzonen, sowie bei Baudenkmälern. Sie muss zwingend beibehalten bleiben. Dies sind wir unserer Baukultur und unserem Stadtbild schuldig. Hier braucht unbedingt gestalterisch überzeugende Lösungen – die von klugen Architekt:innen in Absprache mit der Denkmalpflege und Stadtbildkommission erarbeitet werden. Meine Lösung: Der finanzielle Mehraufwand soll durch die zusätzlichen Subventionen der Planungshonorare gedeckt werden. Zudem müssen von der Regierung technische Fragen angegangen werden: Der Kanton soll dringend Lösungen für die Stromspeicherung – zum Beispiel lokale Salzbatterie-Konglomerate – finanzieren und erstellen. Ausserdem muss der Zusammenschluss zum Eigenverbrauch (ZEV) auch über mehrere Liegenschaften möglich sein, indem der Solarstrom virtuell transferiert wird.

Blick auf den Solarkataster: Das Potenzial ist flächendeckend

Es ist Wahljahr in Basel. Die «Dringlichkeit des Ausbaus erneuerbarer Energien» ist in allen politischen Lagern unbestritten. Die Frage lautet: zu welchem Preis? – und: in welchem Sinn? Eins ist klar: Die «Solaroffensive» soll zum Torerfolg führen. Dazu braucht es eine intelligente Taktik und präzises Augenmass. Mit dem aktuellen, überbordenden Vorschlag wird es schwierig: Der Schuss zielt in hohem Bogen übers Tor hinaus – oder mit den Worten des BSA: «Die Einführung eines rein technischen Regelwerks ohne Rücksicht auf die architektonische und kulturelle Bedeutung der bestehenden Bausubstanz führt zu einer gravierenden ästhetischen und funktionalen Beeinträchtigung des Stadtbilds.»

Artikel: Lukas Gruntz / Architektur Basel

 

 

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