Buchtipp | Städtebau als politische Kultur: Auf den Spuren von Architekt Hans Bernoulli

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Um dem Schaffen eines architektonischen, theoretischen sowie politischen Schwergewichts, wie Hans Bernoulli eines war, gerecht zu werden, ist ein ebenso gewichtiges, wie umfangreiches Buch wohl die einzig richtige Wahl. Die beiden Herausgeber Sylvia Claus und Lukas Zurfluh nahmen sich der Herausforderung an, das in allen Belangen reiche Werk Bernoullis auf rund 350 Seiten zu dokumentieren. Damit wird dem nicht unumstrittenen Bernoulli „einen angemessenen Platz in der Geschichte der Schweizer Moderne, aber auch der ETH eingräumt“, wie im Vorwort steht. Die Autoren beziehen sich an dieser Stelle auf den unrühmlichen Verweis des unliebsamen Professors Bernoulli von der ETH im politisch angespannten Klima der 1930er Jahre.

Das Buch gliedert sich in neun theoretische Beiträge, einen Katalog mit ausgewählten Bauten und Projekten sowie das umfangreiche Verzeichnis des Gesamtwerks. Visuell aufgelockert werden die Teile durch zwei Bildessays von Eisenring / Koller und Ewa Maria Wolanska, die sich Bernoullis Werk fotografisch angenähert haben.

Bernoullis Beitrag zum Wettbewerb für das Areal „Alter Badischer Bahnhof“ in Basel, 1914/15 © gta Archiv ETH Zürich

Bernoullis Beitrag zum Wettbewerb für das Areal „Alter Badischer Bahnhof“ in Basel, 1914/15 © gta Archiv ETH Zürich

Aus Basler Sicht von besonderem Interesse ist der Beitrag über „Die organische Erneuerung der Basler Altstadt“, verfasst von Dorothee Huber. Hier wird dargelegt, wie Bernoulli sich während rund fünfzig Jahren intensiv mit der Basler Stadtentwicklung auseinandergesetzt hatte. Von besonderer Wichtigkeit war für ihn der Umgang mit der Altstadt, diesem „merkwürdigen und staunenswerten Überbleibsel vergangener Jahrhunderte“, wie sie von Bernoulli beschrieben wurde. Besonders sehenswert sind seine – nicht realisierten – städtebaulichen Entwürfe für das Areal des alten Badischen Bahnhofs (1914), wo sich heute das Messegelände befindet. Hier schlug Bernoulli (der zwei Projektvarianten einreichte) einen Marktplatz mit einem Kranz aus eingeschossigen Bauten vor. Die Perspektive des Entwurfs lässt die Grosszügigkeit dieser Lösung erahnen.

Interessant sind zudem die Pläne Bernoullis für ein städtisches Hallenschwimmbad am Claraplatz: „An der grossen Achse, gegenüber der Clarakirche, soll das Hallenbad im Kern einer grossen Überbauung des Areals zwischen Rebgasse, Teichgässlein und Claragraben neben einem Verwaltungsbau und Geschäftshäusern Platz finden.“ Huber geht ausserdem auf die bei Bernoulli einzigartige „Vermengung von Interessen und Rollen“ ein. Er schrieb beispielsweise in Tageszeitungen Artikel über Wettbewerbe, an denen er selbst teilgenommen hatte. Offensichtlich gestanden Fachwelt und Öffentlichkeit Bernoulli diesen Freiraum zu: „Vielleicht liegt es daran, dass er sich in der jeweiligen Rolle, sei es derjenigen des Berichterstatters, des Kritikers, des Standesvertreters, des spottlustigen Bürgers, des nachdenklichen Kunstfreunds oder des politisch aufgebrachten Polemikers jederzeit bewusst war und dass er dabei die Stilmittel entschieden und sicher zu unterscheiden verstand.“

Hans Bernoullis Entwicklung des Kleinhaustypus, 1919 - 1929 © gta Archiv ETH Zürich

Hans Bernoullis Entwicklung des Kleinhaustypus, 1919 – 1929 © gta Archiv ETH Zürich

Hervorzuheben ist ausserdem der Beitrag „Vom Prototyp zur Serie. Hans Bernoulli als Pionier des Schweizer Kleinhausbaus der 1920er Jahre“ verfasst von Lukas Zurfluh. Hier wird mitunter die Zeit als Chefarchitekt der Basler Baugesellschaft (BBG) von 1912 bis 1918 beleuchtet. Bernoulli realisierte dabei diverse Kleinhaus-Zeilen an der Schlettstadterstrasse (1913) oder Sierenzerstrasse (1914) in Basel. Als selbständiger Architekt entwickelte er 1919 Musterpläne für Kleinhaustypen, die für eine Gebühr von 20 Franken als Plansammlung inklusive Baubeschrieb und Ausschreibungsunterlagen erworben werden konnten. Daraus resultierte unter anderen der Bau der Genossenschaftssiedlung „Im Langen Loh“ zwischen 1920 und 1923. „Eine entschiedene Weiterentwicklung stellten dann die Häuser für die beiden Wohngenossenschaften Im Vogelsang und Hirzbrunnenpark dar. Dort verlegte Hans Bernoulli sämtliche Wohn- und Schlafräume ins Erdgeschoss.“ Die beiden Siedlungen im von Bernoulli massgeblich geprägten Hirzbrunnenquartier zeichneten sich ausserdem durch tiefgezogene, steile Satteldächer und unverputztes Backsteinmauerwerk aus.

Entwurf von Hans Bernoulli für den Chicago Tribune Tower 1922 © gta Archiv ETH Zürich

Bernoullis Entwurf für den Chicago Tribune Tower © gta Archiv ETH Zürich

Der Katalog mit 52 ausgewählten Bauten bildet vor dem umfassenden Werkverzeichnis das Kernstück des Buchs. Beginnend bei seinen Bauten in und um Berlin, bürgerlichen Villen, repräsentativen Geschäftshäuser bis zum Hotel Baltic in der Invalidenstrasse, wird der Leser in die Schweiz geführt, wo Bernoulli mit Schwerpunkt in Basel von der Frauenarbeitsschule über den Getreidespeicher am Basler Hafen bis zum Geschäftshaus Kornfeld-Mayr am Pfluggässlein ein beachtliches Werk hinterliess.

Im Katalog finden sich auch einige Trouvaillen: Beispielsweise die schlossähnlichen „Wohlfahrtsbauten der chemischen Fabrik Griesheim-Elektron“ (1908-1910) bei Frankfurt oder Bernoullis Beitrag zum legendären Wettbewerb für den Chicago Tribune Tower (1922): „Ein schlichtes scharfkantiges Volumen folgt in seiner ganzen Höhe den quadratischen Grundriss.“ Bemerkenswert sind ausserdem seine Entwürfe und Bauten mit dem modularen NILBO-Holzbausystem während des 2. Weltkriegs –beispielsweise in der Siedlung Landauer in Basel (1943-1947). Die Wohnbauten wurden „bestimmt durch die serielle Bauweise und die radikale Reduktion der Elemente auf das Notwendigste.“

Montage eines NILBO-Hauses aus der Publikation der Nielsen-Bohny & Cie. AG: "Wohnbauten aus Holz nach dem Montage System NILBO", Basl, 1944

Montage eines NILBO-Hauses aus der Publikation der Nielsen-Bohny & Cie. AG: «Wohnbauten aus Holz nach dem Montage System NILBO», 1944

Das Buch hält, was man sich von einer umfassenden Bernoulli-Monografie erhoffen durfte. Der Zugang zu seinem praktischen und theoretischen Werk gelingt auf verschiedenen Ebenen. So ist die Lektüre nicht nur Fachpersonen zu empfehlen. Beispielsweise ist das Kapitel „Zwischen Kredit und Hypothek“ über die Freiwirtschaftsbewegung von allgemeinem Interesse. Abzüge gibt es aus Basler Sicht für das Titelbild. Ob die zugeparkten Bernoulli-Häuser in Zürich das treffende Hauptmotiv für Bernoullis Werk sind, sei dahingestellt. Allgemein sind Grafik und Layout schlicht und unaufdringlich, jedoch wenig überraschend oder gar innovativ. In diesem Sinne sind Form und Inhalt kohärent. Es ist zu hoffen, dass Bernoulli damit seinen „angemessenen Platz“ in der Schweizer Architekturgeschichte tatsächlich einnehmen wird – und das für einmal nicht nur aus Basler Sicht.

Text: Lukas Gruntz / Architektur Basel

HINWEIS: Bernoulli goes open source
Die im Rahmen der Forschung zusammengetragenen Schriften Bernoullis sind als komplette Textanthologie des Buches digital einsehbar und stehen gratis zum Download bereit. Link hier > Online Textanthologie Hans Bernoulli


Städtebau als politische Kultur
Der Architekt und Theoretiker Hans Bernoulli

Sylvia Claus, Lukas Zurfluh (Hg.)

22,5 x 30 cm, Hardcover mit Fadenheftung
384 Seiten, 356 Abbildungen
ISBN 978-3-85676-353-4
89.00 CHF / 78.00 EUR
gta Verlag, Zürich, 2018

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