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Dorothee Huber: «Das Hochhaus ist ein Reizthema und polarisiert» – Monatsinterview #1

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Sie ist Kunsthistorikern, war langjährige Professorin für Architekturgeschichte an der Fachhochschule in Muttenz und hat das wohl wichtigste Buch über Architektur in Basel geschrieben: den unvergleichlichen und unerreichten Basler Architekturführer. Die Rede ist von Dorothee Huber. Im ersten Teil des Monatsinterviews reden wir mit ihr über die Stadt Basel. Dabei darf das Gespräch über das höchste Gebäude der Schweiz nicht fehlen. «Es ist schon eine ziemliche Provokation, die wir meistern müssen», sagt Huber dazu.

Céline Dietziker (Architektur Basel): Was macht Basel deiner Meinung nach zu einer Architekturstadt?
Dorothee Huber: «Es gibt vermutlich verschiedene Erzählungen, die man da eröffnen könnte. Wir haben uns daran gewöhnt, dass in den 70er Jahren, mit dem Antritt einer neuen Generation, mit einem neuen Kantonsbaumeister, der mit Wettbewerben das Ganze animiert hat, so etwas wie die Geburtsstunde der gegenwärtigen «Architekturstadt Basel» anzusetzen sei. Aber für mich ist die Sache etwas grösser und greift weiter zurück. Wenn man jetzt die Stadt auf Architektur akzentuieren will, dann darf man die Architektur ganz früh als eine tragende Grösse betrachten. Dann darf es wirklich schon bei den Römern beginnen. Ich bin zum Beispiel mit den Studierenden auf den Münsterplatz gegangen und habe versucht, ein Bewusstsein für diese unglaubliche Siedlungskontinuität, die man an gewissen Orten nachvollziehen kann, und die Programmierung der Stadt mit immer neuen Themen zu schaffen. Vom Militärlager wird der Münsterhügel zu einer Fluchtburg, zu einer Kernstadt, dann zu einem Bischofsitz. Dieses wechselnde Programm finde ich etwas ganz Fantastisches. Wobei man sagen kann, das ist eigentlich in jeder europäischen Stadt so. Das ist in Basel nicht etwas Besonderes. Wir haben eine grosse, gut erhaltene mittelalterliche Altstadt. Das könnte die Stadt vor anderen europäischen Städten auszeichnen, da Basel keine Kriegszerstörung erlebt hat. Das ist zum Beispiel etwas, das sich in der denkmalpflegerischen Arbeit immer wieder zeigt. Vielen Menschen, vor allem auch den Politikerinnen und Politikern, ist gar nicht bewusst, dass wir da auch eine besondere Verantwortung haben mit dieser Substanz, die hier noch in einer unbeschädigten Form erhalten ist – von der Architektur der jüngeren Vergangenheit nicht zu reden.»

Architektur Basel im Gespräch mit Dorothee Huber © Armin Schärer / Architektur Basel

Architektur Basel im Gespräch mit Dorothee Huber © Armin Schärer / Architektur Basel

Wie hat sich der Stellenwert der Architektur in den letzten Jahrzehnten gewandelt?
«Architektur ist zu einem Thema des Mainstreams geworden. Die Architektur bekommt ihren Platz auch in den Medien. Das hat sich erst in den 70er-Jahren abzuzeichnen begonnen, dass man Architektur als einen Teil der Allgemeinbildung behandeln will. Es ist gut, dass es eine breitere Kompetenz in Architekturfragen gibt. Bis hin zu unschönen Dingen, dass man dann in der Presse auch sehr schnell Urteile fällt und sich nicht leisten kann, ein bisschen abzuwarten bis sich ein Eindruck gefestigt oder vielleicht auch verändert hat. Es kommt zu schnellen Urteilen, die dann einen Bau in der öffentlichen Meinung zu Fall bringen. Danach müssen wir wieder jahrelang Aufbauarbeit leisten, bis der Bau in seinem Wert erkannt werden kann. Das ärgert mich.»

«Man muss sich befähigen, über Architektur ein gutes Gespräch zu führen. Damit ist allen gedient.»

Wie lange sollte denn deiner Meinung nach mit einem Urteil gewartet werden?
«Ein paar Monate, ein paar Mal vorbeigehen und sich das Haus wieder anschauen, auch im Innern, und noch mit anderen sprechen, das darf man sich schon leisten. Damit sich ein Eindruck bilden, festigen und begründen lässt. Was sicher auch noch ein wichtiger Aspekt ist, Architektur wurde vermehrt zu einer Auszeichnung, wenn etwa Firmen, die ihre Häuser mit Bedacht gestalten, Aufmerksamkeit erreichen wollen. Das war schon einmal in den 50er und 60er Jahren so, wenn wir die Chemieareale anschauen. Dann ist dort Architektur nicht nur bei der Roche sondern auch bei Ciba, Geigy und Sandoz zu einem Argument des öffentlichen Wirkens geworden. Das ging wieder etwas verloren und hat sich dann in den 80er und 90er Jahren neu aufgebaut. Heute versuchen Firmen über Architektur ihre Wahrnehmung in der Öffentlichkeit zu steuern.»

Architektur Basel im Gespräch mit Dorothee Huber © Armin Schärer / Architektur Basel

Architektur Basel im Gespräch mit Dorothee Huber © Armin Schärer / Architektur Basel

Genau das wollte ich dich fragen: Hier ansässige Firmen, wie Novartis oder Vitra, nutzen Architektur geschickt als Marketinginstrument. Das stärkt den Ruf Basels als Architekturstadt. Wie siehst du diese Tendenz?
«Das ist sicher so. Wir reden jetzt von den ganz grossen. Andere tun es auch. Vielleicht gibt es dann im guten Fall einen Austausch mit dem Bauen der öffentlichen Hand, die sich dann – mit Blick auf die ganze Stadt – auch in der Pflicht sieht. Und dann ist es für alle ein Ansporn, dass man sich bemüht, nicht nur auffällig, nicht nur im Sinne des Erzeugens von grosser Aufmerksamkeit, sondern auch, dass man Architektur als Thema ernst nimmt und da eine gewisse Verantwortung verspürt, wenn man ein Bauwerk in den öffentlichen Raum setzt und das Gebäude dann auch wirklich der öffentlichen Diskussion anbietet. Ich würde das auf Anhieb nicht als etwas Negatives sehen, denn es macht in jedem Falle Architektur diskutierbar. Das erhöht die Kompetenz. Man muss sich befähigen, über Architektur ein gutes Gespräch zu führen. Damit ist allen gedient.»

«Im Umgang mit den Architekten habe ich mich immer gefragt, woher die ihr unerschütterliches Selbstvertrauen und ihren grenzenlosen Optimismus nehmen. Das ist mir ein Rätsel geblieben – und beschäftigt mich bis heute.»

Die Karrieren der grossen Basler Architektengeneration, namentlich Herzog & de Meuron und Diener & Diener, neigen sich langsam dem Ende entgegen. Was kommt danach?
«Ja, wir haben immer davon gesprochen, dass sich die nachfolgende Generation im Schatten von grossen Bäumen behaupten muss, und ich finde, die haben das sehr gut gemacht. Es liegt vielleicht auch an einer gewissen Grosszügigkeit der grossen Büros, die immer auch dafür besorgt waren, dass es dem Nachwuchs gut geht und dass er nicht nur beiseitegedrängt wird. Es gab dazu weitere Instrumente der Förderung, die man den Jüngeren in allen möglichen Formen angedeihen liess. Im Umgang mit den Architekten habe ich mich immer gefragt, woher die ihr unerschütterliches Selbstvertrauen und ihren grenzenlosen Optimismus nehmen. Das ist mir ein Rätsel geblieben – und beschäftigt mich bis heute. So dass ich beobachte, wie eine jüngere Generation mit einem guten Selbstbewusstsein antritt und die Konkurrenz nicht scheut, sondern die Auseinandersetzung aufnimmt und sich sehr gerne auch mit den ganz grossen Männern hier in der Stadt anlegt. Dazu ist ihnen nur guter Mut zu wünschen. Das sollen sie weiterhin tun! Man merkt ja auch, dass sie dadurch wirklich eine gewisse Fitness erreichen, im schweizerischen Kontext wahrgenommen werden und sich dort auch in Wettbewerben behaupten können.»

Architektur Basel im Gespräch mit Dorothee Huber © Armin Schärer / Architektur Basel

Architektur Basel im Gespräch mit Dorothee Huber © Armin Schärer / Architektur Basel

Du bist also nicht besorgt?
«Nein, ich denke die jüngeren Architektinnen und Architekten machen das ganz gut. Natürlich würden mir nicht alle zustimmen und natürlich gibt es solche, die sich an den Rand gedrängt fühlen und die das Gefühl haben, sie kommen nicht zum Zug, obwohl sie es eigentlich verdient hätten. Das gibt es sicher, aber ich glaube das gehört zum Architekturgeschäft, seit es dieses gibt.»

«Es ist unglaublich schwierig über Hochhäuser professionell, verständlich und adäquat zu sprechen.»

In Basel werden seit einigen Jahren fleissig Hochhäuser geplant und gebaut. Das Stadtbild hat sich massgeblich verändert. Das städtebauliche Verhältnis der gewachsenen, historischen Stadt mit dem Münsterhügel als Zentrum gerät dabei in ein neues Spannungsverhältnis, beispielsweise zu den räumlich sehr präsenten Hochhäuser auf dem Roche-Areal. Wie empfindest du diese Entwicklung?
«Es ist zweifelslos so, dass das eine der vermutlich tiefgreifendsten Veränderungen ist, die wir beobachten, und das in relativ kurzer Zeit. Gleichzeitig ist das Hochhaus in der Öffentlichkeit ein Reizthema und polarisiert. Ich finde es gerade bei Hochhäusern besonders schwierig, ein vernünftiges Gespräch zu führen. Dabei versagt die Diskussion bis zu einem gewissen Grad. Es ist unglaublich schwierig über Hochhäuser professionell, verständlich und adäquat zu sprechen. Sie verweigern sich vielfach dem Kontext. Sie machen sich ziemlich solitär. Auch wenn wir ein Hochhauskonzept haben, mit dem man versucht hat, gewisse Linien durch die Stadt zu legen, entlang derer sich Hochhäuser besonders günstig platzieren lassen, wo sie auch einen städtebaulichen Sinn bekommen können. Aber die wirtschaftlichen Dynamiken verlaufen einfach anders. Die Hochhäuser entstehen nicht immer dort, wo die Stadtplanung sie idealerweise gerne sehen würde. Was wir bei der Roche beobachten, das ist natürlich ein interessanter Vorgang. Wir haben jetzt Erfahrung mit dem solitären Turm, mit dem einzelnen Hochhaus und konnten zwei, drei Jahre versuchen, dazu ein Verhältnis zu finden. Jetzt kommt der zweite Turm dazu und danach die nächsten. Bald werden wir einen sogenannten Cluster haben und uns ein neues Bild machen müssen. Doch ich fürchte, wir sind ziemlich ungeübt im Beurteilen und guten Reden über Hochhäuser. Es braucht einfach Zeit, um ein verlässliches Urteilsvermögen auszubilden und über die allgemeine Meinungsmache, das launige Daumen hoch und runter, zu den ernsten Themen vorzudringen.»

Blick von der Schwarzwaldbrücke auf die Roche Hochhäuser © Architektur Basel

Blick von der Schwarzwaldbrücke auf die Roche Hochhäuser © Architektur Basel

Wieso denkst du, fällt uns die Diskussion bei Hochhäusern so schwer?
«Weil sie sich in einem gewissen Sinne aufgrund ihrer absoluten Grösse einer adäquaten städtebaulichen und architektonischen Beurteilung entziehen. Es gibt ganz viele Probleme bei Hochhäusern, zum Beispiel die unmittelbare Umgebung. Wie verbindet sich ein Hochhaus mit einem Wohnquartier nebendran? Das sind zwei derartig unvereinbare Dinge, die sich eigentlich nur abstossen können. Das spricht nicht gegen das Hochhaus, aber es spricht dafür, dass man den Nahbereich sorgfältiger beobachtet. Das andere ist das Gesamtbild der Stadt, die Vedute. Wir müssen neue Bildformen finden, wie man die Stadt künftig zeichnet. Wenn man sie in der bewährten Panoramaform betrachtet, dann machen die Hochhäuser nicht unbedingt gute Figur. Wir müssen die Stadt neu sehen lernen.»

Würdest du sagen, dass ein Hochhaus, bei uns in Basel, immer ein wenig der Elefant im Porzellanladen bleibt?
«Die, mit denen wir erste Erfahrungen machen konnten, verhalten sich zum Teil so, aber nicht alle. Der Messeturm etwa hat seinen Platz in der Stadt gefunden, das hat damit zu tun, dass er neue Gesellschaft bekommen hat. Heute präsentiert sich das ganze Umfeld in einem neuen Massstab, mit all den Problemen, die sich gegenwärtig durch den Wandel der Messe abzeichnen. Es ist eine Frage des Umgangs, den wir über längere Zeit mit den Bauten üben wollen.»

Daraus könnte man die Schlussfolgerung ziehen, dass sich die Wahrnehmung des Roche-Turms ähnlich wie beim Messeturm entwickelt?
«Ja, obwohl er in seiner Grösse schon alles schlägt, was wir bis jetzt hier erlebt haben. Es ist schon eine ziemliche Provokation, die wir meistern müssen.»

Eckgebäude am Barfüsserpaltz von  Diener & Diener Architekten © Diener & Diener Architekten

Eckgebäude am Barfüsserpaltz von
Diener & Diener Architekten © Diener & Diener Architekten

Eine persönliche Frage zum Schluss: Welches ist dein Lieblingsgebäude in Basel?
«Ich finde das Haus von Diener & Diener Architekten an der Ecke Kohlenberg / Steinenvorstadt, dieses kleine Geschäftshaus, das die beiden Nachbarn ein bisschen überragt und die gute Ecke bildet mit den übergrossen Fenstern, deren Logik der Setzung sich nicht auf den ersten Blick erschliesst, ein wunderbares Gebäude. In seiner Anonymität auf der einen Seite, und gleichzeitig ist es ein Sonderling in seiner Nachbarschaft. Damit halte ich mich sehr gerne, sehr lange auf.»

Interview: Céline Dietziker / Architektur Basel
Fotos: Armin Schärer / Architektur Basel

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