Dorothee Huber: «Ein unglaubliches Machtgefälle, das sich hier abbildet» – Monatsinterview #3

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Im dritten Teil des Monatsinterviews reden wir mit Dorothee Huber mitunter über die Aufgaben der Denkmalpflege und des Denkmalrats, wo Huber selbst Mitglied ist. Sie sagt: «Die Regierung dürfte sich darauf verlassen, dass das durch den Denkmalrat geprüfte Anliegen ein gewisses Gewicht hat.» Ein Gespräch über gefährdete Baudenkmälder der Roche, den anspruchsvollen Dialog zwischen Architekten und Denkmalpflege und die Rolle der Medien.

Céline Dietziker (Architektur Basel): In Basel wurden in den letzten Jahren immer wieder Gebäude aus dem Inventar schützenswerter Bauten gestrichen. Ich denke beispielsweise an das Bürohochhaus von Hermann Baur am Aeschengraben. Zurzeit stehen Bauten auf dem Voellmy Areal und das Infektionskrankenhaus von Hans Schmidt zur Debatte und werden höchstwahrscheinlich aus dem Inventar entlassen. Sind diese Bauten nicht schützenswert genug?
Dorothee Huber: «Doch, die Bauten sind auf jeden Fall schützenswert! Das reicht ihnen aber nicht, dass sie auch geschützt werden. Die Fachorgane können nur Empfehlungen abgeben oder eine Unterschutzstellung beantragen, aber letztendlich wird diese vom Regierungsrat verfügt. Der Regierungsrat muss mit Blick auf die grösseren Zusammenhänge und die übergeordneten Interessen abwägen und abschliessend die Entscheidungen treffen. Ich würde es begrüssen, wenn es gelingen würde, die einzelnen Themen und Fragen schon vor der politischen Entscheidung in einen guten Ausgleich zu bringen, wobei das Gespräch zwischen Eigentümer, Denkmalpflege, Architekt und der Planungsbehörde besser funktionieren sollte. Wir müssen immer wieder erleben, wie diese Interessensgegensätze, vor allem die hohen Erwartungen auf Seiten der Eigentümer, die mitunter gesteuert sind durch die finanziellen Erwartungen, schlecht mit den Schutzansprüchen eines Bauwerks in Einklang zu bringen sind.»

 «Die Architekten sind für mich die grossen Optimisten, die mit Freude in die Zukunft blicken und auch darauf warten, dass sie die Zukunft mitgestalten dürfen. Bei den Denkmalpflegern erlebe ich eher einen gewissen melancholischen Zug und ein gewisses Bedauern, dass einem täglich Dinge verloren gehen.»

Und wie nimmst du die Zusammenarbeit zwischen Denkmalpflege und Architekten wahr?
«Das Gespräch zwischen den Fachleuten der Denkmalpflege und den Architekten ist kein einfaches. Ich habe mich immer gerne, obwohl es schwierig ist, in diesem Zwischenreich bewegt. Mit grösstem Verständnis für die Anliegen der Denkmalpflege auf der einen Seite und der Anliegen der Architekten auf der anderen Seite. Ich würde mir wünschen, dass das ein gutes Fachgespräch gäbe. Immer wieder erlebe ich, wie diese Gespräche unglaublich harzig verlaufen. Wie man von Seiten der Denkmalpflege den Architekten unterstellt, dass sie, zugespitzt formuliert, nur Selbstverwirklichung betreiben – was ich jedoch nicht so sehe. Ich sehe bei den Architekten ein ernsthaftes Bemühen um die gute Lösung. Auf Seiten der Architekten höre ich das Urteil: Denkmalpfleger versehen nichts von Architektur und sie haben keine Ahnung davon, was die Architekten auch noch alles bedenken müssen, die ganzen baugesetzlichen Auflagen und Normen, die sie zu beachten haben. Darauf nehme die Denkmalpflege keine Rücksicht und stelle Maximalforderungen, die ideale Forderungen sind und die nichts mit der Realität des Bauens zu tun haben. So klingt das auf beiden Seiten – und sie finden nicht zueinander, was unglaublich schade ist. Denn das hat zur Folge, dass wir am Schluss die abschliessende Antwort der Politik zuschieben.»

Architektur Basel im Gespräch mit Dorothee Huber © Armin Schärer / Architektur Basel

Architektur Basel im Gespräch mit Dorothee Huber © Armin Schärer / Architektur Basel

Wo liegen deiner Meinung nach die Gründe für das fehlende Verständnis füreinander?
«Es liegt an der Eigenart der beiden Disziplinen. Es sind zwei Metiers, zwei unterschiedliche Temperamente, die da aufeinanderstossen. Die Architekten sind für mich die grossen Optimisten, die mit Freude in die Zukunft blicken und auch darauf warten, dass sie die Zukunft mitgestalten dürfen. Bei den Denkmalpflegern erlebe ich eher einen gewissen melancholischen Zug und ein gewisses Bedauern, dass einem täglich Dinge verloren gehen. Das hat etwas Lähmendes.»

Insbesondere der Erhalt von Bauten aus der Nachkriegsmoderne ist oft aus bautechnischen Gründen nicht einfach. Fehlt hierbei auf gesellschaftlicher und politischer Ebene die Sensibilität für die baukulturelle Bedeutung?
«Das ist das eine. Wir meinen die Bauten seien gestern gebaut worden, dabei sind sie schon zwei Generationen alt. Es muss uns gelingen, zu definieren, welches die wirklich aussagekräftigen Bauten sind, die es uns wert sind, sie noch weiter mitzunehmen in der Geschichte. Zum Teil gelingt uns dies schlechter bei diesen nüchternen, funktionalen Bauten, deren baukulturellen Wert wir noch nicht erkennen können. Obwohl es höchste Zeit ist, denn diese Bauten stehen unter erheblichem Druck. Das ist die kulturelle Seite. Das andere sind die bautechnischen Fragen, die genauso gravierend sind, obwohl sich mittlerweile schon eine gewisse Expertise herausgebildet hat.»

Du bist Mitglied des Denkmalrats. Welche Funktion hat der Rat? Und wie wird er besetzt?
«Auch der Denkmalrat wurde in den letzten Jahren beschnitten. Es gibt dort Personen, die aufgrund ihrer amtlichen Funktion Einsitz haben, die aber nicht stimmberechtigt sind. Dazu gehören zum Beispiel der Kantonsbaumeister und der Kantonsarchäologe. Der Rest setzt sich aus Fachleuten zusammen: Es gibt einen Juristen, einen Gymnasilallehrer, zwei Architekten, den Münsterbaumeister, eine auswärtige Denkmalpflegerin, zwei Vertreter der Landgemeinden und ich als Historikerin. Man versucht, eine gewisse Breite des Geschehens abzubilden. Vom gesetzlichen Auftrag her ist der Denkmalrat das Aufsichtsorgan der Denkmalpflege. Er stellt beim Regierungsrat die Anträge auf Unterschutzstellung. Die Regierung dürfte sich darauf verlassen, dass das durch den Denkmalrat geprüfte Anliegen ein gewisses Gewicht hat. Das wäre der Dienst, den wir zuhanden der Regierung leisten. Die Regierung könnte uns auch beratend beiziehen, wenn sie grundlegende Fragen zu beraten hat. Das tut sie aber so gut wie nie.»

Architektur Basel im Gespräch mit Dorothee Huber © Armin Schärer / Architektur Basel

Architektur Basel im Gespräch mit Dorothee Huber © Armin Schärer / Architektur Basel

Wieso, denkst du, nutzt die Regierung dieses Angebot nicht?
«Wir sind mittlerweile so klein und schwach, da würde ich uns auch nicht mehr fragen. Früher war das eine potente Kommission. Es ist ja nicht nur unser Gremium, das geschwächt wurde. Man sagt, mittlerweile wären die Behörden fachlich derart gut ausgerüstet, dass es die Kommissionen gar nicht mehr braucht. Das ist eine mögliche Betrachtung, die man zur Begründung der Schwächung der Kommissionen anbringen kann. Auf der anderen Seite steht es einer Stadt gut an, wenn sie sich von Fachleuten beraten lässt, die sich zur Verfügung stellen und die aus Verantwortung und Liebe zur Sache mitdiskutieren. Das müsste doch als ein gutes Angebot wahrgenommen werden.»

 «Ich glaube, Roche weiss sehr genau, was sie hat. Sie ist einfach ein wachsender Weltkonzern und hat entsprechende räumliche Bedürfnisse – und auch ein Bedürfnis, sich architektonisch zu manifestieren. Dass sie jetzt diese Konzentration in diesem vergleichsweise kleinen Firmenareal hier in Basel vornehmen will, schafft natürlich Probleme.»

Der Denkmalrat hat betreffend den Abbruchplänen der Roche auf dem Südareal Widerspruch eingelegt. Dort sollen inventarisierte Bauten von Roland Rohn und Otto Rudolf Salvisberg abgebrochen werden. Fehlt der Roche das baukulturelle Bewusstsein oder wie kam es zu diesem Entscheid?
«Ich gehe nicht davon aus, dass der Roche das baukulturelle Bewusstsein fehlt. Ich glaube, Roche weiss sehr genau, was sie hat. Sie ist einfach ein wachsender Weltkonzern und hat entsprechende räumliche Bedürfnisse – und auch ein Bedürfnis, sich architektonisch zu manifestieren. Dass sie jetzt diese Konzentration in diesem vergleichsweise kleinen Firmenareal hier in Basel vornehmen will, schafft natürlich Probleme. Auf der anderen Seite muss man sagen, dass Roche ihre baukulturelle Verpflichtung gegenüber der Stadt kennt und diese auch mit einem eigenen Archiv pflegt. Sie kennt auch die Einträge im Inventar der schützenswerten Bauten, die schon auf das Allerwenigste, das Allernotwendigste beschränkt sind. Die Roche verfügt noch über einige Bauten mehr, die auch schützenswert wären. Vorausschauend wurde da bereits sehr zurückhaltend inventarisiert. Wenn der Denkmalrat hartnäckig bleibt, wenn nun diese wenigen Bauten bedroht sind, so ist das einfach seine Pflicht. Sonst würde er vollends unglaubwürdig.»

«Auch Fussballfans erwarten, dass Laien gewisse Kenntnisse über Fussball haben, bevor sie sich ein Urteil erlauben. In keinem Bereich sollte man sich auf schnelle und oberflächliche Art zu wichtigen Themen äussern. Ich kann solche Urteile nicht ernst nehmen.»

Architektur Basel im Gespräch mit Dorothee Huber © Armin Schärer / Architektur Basel

Architektur Basel im Gespräch mit Dorothee Huber © Armin Schärer / Architektur Basel

Wie hoch schätzt du die Chancen ein, dass die Gebäude nicht abgerissen werden?
«Wenn man das wirtschaftliche Gewicht der Roche nimmt, möchte ich den Politiker sehen, der da aufrecht die Konfrontation sucht. Ich befürchte, dass wir Einbussen hinnehmen müssen. Ich glaube, Roche ist sich sehr bewusst, dass sie in dieser Stadt auf eine Öffentlichkeit angewiesen ist, die ihr im grossen Ganzen wohlgesinnt ist. Natürlich ist es ein unglaubliches Machtgefälle, das sich hier abbildet. Auch die politischen Behörden stehen unter erheblichem Druck, was niemand gerne von sich selbst sagen mag, was aber völlig klar ist, angesichts dieser Wirtschaftsmacht. Früher waren die Gewichte noch etwas anders verteilt, als es vier grosse Pharmafirmen gab. Jetzt haben wir zwei grosse Player. Nenn mir eine kleine Stadt, die mit einer derartigen Konstellation von Machtverhältnissen fertig werden muss. Das ist eine schwierige Aufgabe für alle Beteiligten. Niemand sucht diese Konfrontation.»

Auf unseren Social Media-Kanälen erleben wir, dass viele Menschen moderner und zeitgenössischer Architektur mit wenig Verständnis begegnen. So nach dem Motto: Wieso immer diese Betonkisten, wenn man vor 150 Jahren doch so wunderschön verzierte Häuser bauen konnte. Was kann man dem entgegenhalten?
«Auch Fussballfans erwarten, dass Laien gewisse Kenntnisse über Fussball haben, bevor sie sich ein Urteil erlauben. In keinem Bereich sollte man sich auf schnelle und oberflächliche Art zu wichtigen Themen äussern. Ich kann solche Urteile nicht ernst nehmen. Ein schneller Blick reicht und ein Hochhaus ist erledigt. Uns bleibt nichts anderes als gegen diese schnellen Urteile anzureden. Natürlich würde ich versuchen, den voreiligen Kritiker auf einen Spaziergang mitzunehmen, aber das würde dann schon ein paar Stunden dauern. Ich denke, es sind die Medien, welche schnelle negative Urteile auch provozieren und mit denen dann wuchern. Es ist ärgerlich, dass viele Medien nur das schnelle Tagesgeschäft und die schnelle Meinungsmache bedienen, und ihren Bildungsauftrag vernachlässigen.»

Interview: Céline Dietziker / Architektur Basel
Fotos: Armin Schärer / Architektur Basel


Teil 1 > Dorothee Huber: „Das Hochhaus ist ein Reizthema und polarisiert.“

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