Dorothee Huber: «Es geht nicht nur um Architektur, auch wenn diese die wichtigste Sache der Welt ist» – Monatsinterview #2

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Architektur ist eine politische Disziplin. Verschiedene Interessen müssen bei einem Bauvorhaben gegeneinander abgewogen werden. Im zweiten Teil des Monatsinterviews reden wir mit Dorothee Huber über die Tüken und Eigenheiten des Zusammenspiels zwischen Architektur und Politik. Wieso bringt sich der Architektenverband BSA nicht stärker in die Politik ein? Und wieso hat die Stadtbildkomission so einen schwierigen Stand? Das und mehr wollen wir von Huber wissen.

Céline Dietziker (Architektur Basel): Hast du dir jemals überlegt, für ein politisches Amt zu kandidieren?
Dorothee Huber: «Nein, das habe ich immer ausgeschlossen, obwohl ich natürlich eine politische Meinung habe. Aber ich glaube, ich wäre zu ungeduldig. Ich habe allergrössten Respekt vor der Kunst der Politik und ich bewundere Leute, die das mit Ernsthaftigkeit und Ausdauer betreiben und die die Begabung haben, mit Leuten unterschiedlichster Auffassungen und Interessen ein gemeinsames Besseres zu entwickeln. Es gibt Leute, die können Leute gewinnen und solche Prozesse moderieren. Das kann ich nicht.»

Weshalb sind Architekten in der Politik heute kaum mehr vertreten?
«Das ist eine gute Frage. Sie waren schon immer ein bisschen die Ausnahme. Ein Hans Bernoulli ist eine Ausnahmefigur und Max Frisch ist auch nicht besonders typisch. Vielleicht gelingt es den Architekten manchmal nicht so gut, die eigenen professionellen und persönlichen Belange von den allgemeinen, öffentlichen Belangen zu unterscheiden – und diese Unterscheidung mit der nötigen Sorgfalt zu pflegen. Ihre eigenen Interessen stehen im Vordergrund, so dass sie diese in Relation zu den öffentlichen Belangen nicht ins Gleichgewicht bringen können. Ich nehme das den Architekten nicht übel. Sie geben alles für ihr Werk und das ist ihr gutes Recht, aber das bringt sie dann bisweilen in Bedrängnis, wenn sie mit anderen Ansprüchen der Gesellschaft konfrontiert werden, die ebenso berechtigt sind. Es geht nicht nur um Architektur, auch wenn diese die wichtigste Sache der Welt ist.»

«Vielfach stehen die individuellen Interessen gegeneinander und es gelingt den Architekten nicht, eine politische Diskussion zu führen – mit dem offeneren, breiteren Blick. Vielleicht ist es auch eine Ängstlichkeit, sich in der Öffentlichkeit zu äussern. Vielleicht befürchten sie, dass sie dadurch Nachteile erleiden.»

Architektur Basel im Gespräch mit Dorothee Huber © Armin Schärer / Architektur Basel

Architektur Basel-Redaktorin Céline Dietziker im Gespräch mit Dorothee Huber © Armin Schärer / Architektur Basel

Du bist assoziiertes Mitglied im BSA. In meiner Wahrnehmung bringt sich dieser nur wenig und oft spät in die politische Debatte ein. Woran liegt das?
«Das liegt mitunter daran, dass man sich im BSA selten in der gebotenen kurzen Zeit auf eine gemeinsame Stossrichtung einigen kann. Vielfach stehen die individuellen Interessen gegeneinander und es gelingt den Architekten nicht, eine politische Diskussion zu führen – mit dem offeneren, breiteren Blick. Vielleicht ist es auch eine Ängstlichkeit, sich in der Öffentlichkeit zu äussern. Vielleicht befürchten sie, dass sie dadurch Nachteile erleiden. Ich versuche dem entgegenzuhalten, dass es genau der Sinn eines Verbandes ist, eine kollektiv gewonnene Einschätzung zu äussern, so dass  sich die Mitglieder nicht als Individuen exponieren müssen. Es ist bedauerlich, wenn der BSA nur ungenügend in der Lage ist, schnell und pointiert zu reagieren.»

«Die Stadtbildkommission war nie das liebe Kind der Politiker und auch nicht der breiten Öffentlichkeit.»

War das früher auch schon so?
«Als historisches Beispiel liesse sich Hermann Baur als Obmann des BSA anführen, der sich im Namen des Verbandes in der Öffentlichkeit geäussert hat. Jetzt kann man einwenden, dass Baur eine gesetzte Figur war und kein persönliches Risiko eingehen musste. Es gab die Zeiten des Baubooms der 1960er Jahre, als sich der BSA als oppositionelle, kritische Kraft eingemischt hat in die Verkehrs- und Stadtplanung – und vielfach auch mit Gegenprojekten angetreten ist, um zu zeigen, wie man ein Thema auch behandeln könnte. Dazu fehlt den Architekten heute vielfach die Zeit. Wir erleben gegenwärtig eine heillose Überbeschäftigung. Alle haben keine Zeit. Der Bauboom der 1960ern ist teilweise vergleichbar mit der gegenwärtigen Situation – mit dem Unterschied, dass sich die Architekten vielfach ausgeschlossen fühlten, weil vor allem die grossen Büros gebaut haben. Man hat von Bauwirtschaftsfunktionalismus geredet und sich aufgerufen gesehen, die wahren Tugenden der Moderne zu verteidigen.»

Architektur Basel im Gespräch mit Dorothee Huber © Armin Schärer / Architektur Basel

Architektur Basel im Gespräch mit Dorothee Huber © Armin Schärer / Architektur Basel

Der Grosse Rat hat kürzlich die Stadtbildkommission in wesentlichen Teilen entmachtet. Wie konnte das geschehen? Hat Architektur in Basel-Stadt eine derart schlechte Lobby?
«Es ist ein längerer Vorgang. Die Stadtbildkommission war nie das liebe Kind der Politiker und auch nicht der breiten Öffentlichkeit. Jeder hat irgendwann eine schlechte Erfahrung gemacht mit der Stadtbildkommission, die über ein Dachflächenfenster nicht entzückt war. Da gibt es viel Unmut in der Öffentlichkeit mitunter aus vereinzelter persönlicher Betroffenheit. Auf Seiten der Politik habe ich bisweilen den Eindruck gewonnen, dass ihnen dieses Gremium lästig ist, weil es diskutiert. Es diskutiert kontrovers und es lässt sich Zeit. Dieses lange Diskutieren, das nervt die Politiker. Die wollen schnelle Entscheide. Dass die Stadt eben diese Sorgfalt verdient und verlangt, lässt man dabei nicht gelten. Natürlich sind es auch politische Versprechen etwa der Beschleunigung und Vereinfachung von Verfahren, die sie eingegangen sind. Es ist ein Verlust, wenn dieses Organ massiv geschwächt wurde. Es ist auch für die Bauherren und die Architekten, die vielleicht nicht so viel Erfahrung haben, eine gute Gelegenheit, ein Fachgespräch zu führen. Auf der ersten Stufe ist das ein Gespräch mit einem unbeteiligten, aber engagierten Architekten auf Seiten der Stadtbildkommission und den Gesuchstellern. Das ist ein Gespräch auf Augenhöhe unter Fachleuten – da kann man eigentlich nur gewinnen. Dass dies nicht so aufgefasst wird, ist sehr bedauerlich.»

«Wir bauen leichter Umfahrungsstrassen in der Agglomeration als dass wir ein taugliches S-Bahnsystem umsetzen können.»

Wie sieht die Zukunft der Stadtbildkommission aus?
«Ich weiss es nicht. Ich würde mir natürlich wünschen, dass man zu einem Einsehen kommt. Meiner Meinung nach gehört es zu jeder Stadt, dass sie sich eine solche Fachkommission leistet. Dass Basel als sogenannte Architekturstadt sich jetzt ausgerechnet dafürhält, die Stadtbildkommission derart klein und schwach zu machen, das ist ein Armutszeugnis.»

Architektur Basel im Gespräch mit Dorothee Huber © Armin Schärer / Architektur Basel

Architektur Basel im Gespräch mit Dorothee Huber © Armin Schärer / Architektur Basel

Basel hat enge politische Grenzen. Die Zusammenarbeit mit dem Nachbarkanton Baselland und den Nachbarländern ist nicht einfach. Dies zeigt sich mitunter auch in städtebaulichen Fragen, geschweige denn bei der Diskussion um eine Kantonsfusion. Weshalb ist die Zusammenarbeit über die Grenzen hinweg derart schwierig?
«Wir alle kennen die unendlich langwierigen Anstrengungen und Bemühungen, dieses Gespräch über die Grenzen hinweg zu verbessern – immer mit begrenztem Erfolg. Wir erinnern uns alle auch an die grossen Studien über den trinationalen Raum und die grösser gedachte Stadt. Dass es uns endlich gelingt, den Grossraum Basel über seine politischen Grenzen hinweg zu denken, das wünschten wir uns alle. Aber eben, im Alltag ist das denkbar mühselig. Die politischen Behörden sind an ihre Grenzen gebunden und stossen an. Planung ist ein übergeordnetes Thema und müsste grenzübergreifend funktionieren. Zürich hat sich die S-Bahn in relativ kurzer Zeit aufbauen können. Uns gelingt es mit äusserster Anstrengung nur zögernd. Das wäre ein solches Projekt, mit dem man verdeutlichen könnte, wie dieser Grossraum überhaupt gelebt wird. Wir bauen leichter Umfahrungsstrassen in der Agglomeration als dass wir ein taugliches S-Bahnsystem umsetzen können. Obwohl eigentlich schon vieles da wäre, was wir sinnvoll verknüpfen müssten, aber es hapert an allen Ecken und Enden.»

Interview: Céline Dietziker / Architektur Basel
Fotos: Armin Schärer / Architektur Basel


Teil 1 > Dorothee Huber: „Das Hochhaus ist ein Reizthema und polarisiert.“

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