Focketyn del Rio: «Architektur ist die physischste aller politischen Disziplinen!»

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Hans Focketyn und Miquel del Rio lernten sich in Basel bei Herzog & de Meuron Architekten kennen. Der eine war als Architekt angestellt, der andere absolvierte ein Praktikum. Hans Focketyn, ursprünglich aus Belgien stammend, kam schon als Kind in die Schweiz. Miquel del Rio reiste mit 25 Jahren eigens für sein Praktikum bei Herzog & de Meuron aus Barcelona an. Das Büro Focketyn del Rio gründeten die beiden Architekten dann im Jahr 2013. Von da an arbeiteten die Partner gemeinsam an Wettbewerben, Projekten und Umbauten, in vielen Fällen auch im Kultursektor.

Architektur gestaltet zukunftsfähige Räume
«Wir sehen die Architektur als eine kulturelle Disziplin, ja eine politische. Sobald wir nur noch dem Willen des Investors folgen, verlieren wir den Fokus auf die Architektur und verbleiben als blosse Dienstleister.» Focketyn del Rio verstehen sich in ihrer Rolle als Architekten als Teil einer Gemeinschaft, die in der Verantwortung steht, die Stadtlandschaft zu verändern. Konkret bedeutet das für die beiden, dass sie sich nur für dementsprechend verankerte Projekte bewerben. Sie unterscheiden zwischen zwei Arten von Projekten: Viele der kleineren Projekte im Kultursektor nennt Miquel del Rio Guerilla-Projekte.

«Sobald wir nur noch dem Willen des Investors folgen, verlieren wir den Fokus auf die Architektur und verbleiben als blosse Dienstleister.»

Quartiertreffpunkt Kleinhüningen von Focketyn del Rio Studio © Adria Goula

Guerilla-Projekte und Top-down Projekte
Bei Guerilla-Projekten entwickelt sich ein reger Austausch mit allen Parteien. Man kann sich deren Struktur als verschiedene unabhängige Zellen vorstellen, die in wechselseitiger Kommunikation die Planung entwickeln; analog der Funktionsweise einer Guerillaorganisation. Das Ziel dieser kleinen Projekte ist es, der breiten Bevölkerung einen Zugang zu Architektur zu ermöglichen. Es handelt sich um Projekte, die das Leben der Menschen verbessern sollen, indem sie auf deren Bedürfnisse eingehen. Projekte, die auf Grund geringer Ressourcen nur als Dienstleistung bearbeitet würden, schenken Focketyn del Rio architektonische Zuwendung. Durch punktuelle Eingriffe sollen Aspekte herauskristallisiert werden, welche die beiden Architekten in ihrem Umfeld als wünschenswert empfinden: So wollen sie Visionen im kulturellen Sektor unterstützen. Ein gutes Beispiel dafür ist die Nebel Bar in Basel. Die zweite Art von Projekten beschreibt del Rio als Top-down organisierte Vorhaben. Strukturell sind sie eher konventionell gegliedert. Diese vielmals grossmassstäblichen Projekte stellen Möglichkeiten dar, das kulturelle Gewebe der Stadt Basel mitzugestalten.

Sanierung Kaserne von Focketyn del Rio © Adria Goula

Sanierung Kaserne von Focketyn del Rio © Adria Goula

Architektur steht in einer gesellschaftlichen Verantwortung
Das wohl grösste Projekt von Focketyn del Rio ist der Umbau des Kopfbaus der Kaserne Basel in ein Kulturzentrum. Das Vorhaben vereint viele Themen: Die Architektur steht momentan vor der grossen Herausforderung, eine grüne Disziplin zu werden. Ganz im Sinne des Zeitgeistes von «Reduce, Reuse, Recycle» spricht Miquel del Rio hier von «reuse», also einem Umbau im Rahmen der bestehenden Gebäudestruktur. Ausserdem ist ein verantwortungsbewusster Umgang bei einem Projekt dieser Grössenordnung von soziologisch massgebender Bedeutung: Die Architekten sind sich bewusst, dass der Eingriff im Zentrum der Stadt die Wahrnehmung des öffentlichen Raums in der Innenstadt stark verändern kann. Auch pragmatische Aspekte dürfen nicht ausser Acht gelassen werden: Es geht um viel Geld – 45 Millionen Steuerfranken. Entsprechend ist es entscheidend, mit viel Umsicht zu planen, um der eigenen Vision, aber auch den gesellschaftlichen Ansprüchen gerecht zu werden.

«Wir befinden uns auf einem irreversiblen Pfad, auf dem Fehler vermieden werden, anstatt Erfolge gefeiert. Dies führt zu einer sehr rigiden Architektursprache.»

Umbau Restaurant Parterre One Restaurant von Focketyn del Rio Studio © Adria Goula

Umbau Restaurant Parterre One Restaurant von Focketyn del Rio Studio © Adria Goula

Bürokratie nimmt immer mehr Platz ein
Dazu kommt noch ein Aspekt, den Miquel del Rio als «die Welt der Versicherungen» bezeichnet: «Ein Protokoll zu schreiben wird so wichtig wie die Gestaltung der Fassade, der G-Wert eines Fensters wird ebenso wesentlich wie seine Proportionen. Wir befinden uns auf einem irreversiblen Pfad, auf dem Fehler vermieden werden, anstatt Erfolge gefeiert. Dies führt zu einer sehr rigiden Architektursprache.» Architektur wird vermehrt als Rechtsdokument verstanden. Miquel del Rio prognostiziert gar eine stetige Zunahme des bürokratischen Aufwandes. Vor allem bei grossmassstäblichen Projekten wird es immer wichtiger, dass sich alle beteiligten Parteien rechtlich absichern. Darunter leidet leider oft die Effizienz und manchmal auch die Architektur. Zeitgenössische Architekten müssen sich diesem komplizierten Unterfangen stellen. Doch wer ist diese Architektin, dieser Architekt, der sich solch vielfältigen Vorhaben annimmt?

Umbau Restaurant Parterre One Restaurant von Focketyn del Rio Studio © Adria Goula

Umbau Restaurant Parterre One Restaurant von Focketyn del Rio Studio © Adria Goula

Das konzentrierte Wissen des Netzwerks
«Wir verstehen den Architekten als Schnittstelle in einem sehr komplexen Netzwerk, das ihm die Grundlage bietet, als Visionär oder Führungsperson zu fungieren. Nur das konzentrierte Wissen des Netzwerks ermöglicht es ihm, diese Funktion auszuüben.» Del Rio sieht die primäre Rolle der heutigen Architektinnen und Architekten als kommunikative Schnittstelle. Bis vor nicht allzu langer Zeit war das Bild des Architekten noch dasjenige eines Visionärs, der isoliert und distanziert seine Ideen ausbrütet. Der heutige Architekt kommuniziert. Die gesteigerte Komplexität des zeitgenössischen Architekturschaffens erhebt das Kommunizieren zu einer Notwendigkeit. Natürlich hat der Architekt immer noch Visionen. Die Architektin auch. Nur so können sie das Umfeld der Menschen verändern. Der Architekt ist aber nicht mehr der alleinige Autor dieser Visionen, sie sind das Produkt aus einem Diskurs vieler verschiedener Parteien. Erst das ganze Netzwerk verleiht der Architektin, dem Architekten die Kompetenz zur Führungsperson und zum Visionär.

 Text: Allen Buess und Olivier Felber

Hans Focketyn (rechts) und Miquel del Rio (links) © Adria Goula


Dieser Text entstand am Institut Architektur FHNW im Frühlingssemester 2020, im Rahmen der Lehrveranstaltung in Sozialwissenschaften zum Thema «The Image of the Architect». Auf der Suche nach neuen Berufsbildern.

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