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Grossrätin Salome Bessenich: «Abriss muss per se hinterfragt werden»

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Es gibt kein Transformationsareal in Basel, das derart polarisiert, wie das Klybeck. Letzte Woche wurde das städtebauliche Leitbild publiziert. Darin werden die Leitlinien für die künftige Planung definiert. Wir haben mit der SP-Grossrätin und Fachredaktorin für Umwelt und Ressourcen, Salome Bessenich, über den aktuellen Planungsstand auf dem Klybeck gesprochen. Als Mitglied der grossrätlichen Bau- und Raumplanungskommission wird sie sich in Zukunft intensiv mit den Bebauungsplänen für das Areal befassen. Sie sieht darin viel Potenzial für eine ökologische Stadtentwicklung – bleibt aber auch kritisch, was den Umgang mit dem Bestand und den Grünraum anbelangt.

© Architektur Basel

Architektur Basel: Das Klybeck-Areal ist das grösste Transformationsgebiet unserer Stadt. Hier soll ein neuer, durchmischter Stadtteil entstehen. Was sind deine persönlichen Erwartungen an die Entwicklung klybeckplus?

Salome Bessenich: «Dass ein lebendiger Ort entsteht, an dem sich alle Menschen gerne aufhalten. Dass es grosszügige Grün- und Freiräume, tolle Architektur und bezahlbaren Wohnraum gibt. Für die Menschen, die dort wohnen und arbeiten, aber auch für alle Menschen im umliegenden Quartier.»

Das tönt gut. Und was braucht es, dass die Transformation auch nach ökologischen Gesichtspunkten erfolgreich sein?

«Klimaschutz und Klimaanpassung muss auf allen Ebenen eine hohe Priorität haben: Vom Städtebau bis zum Detail. Von erneuerbarer Energieversorgung bis zu klimaschonenden Dämmmaterialien, von Durchlüftungskorridoren bis zu Nischen für die Artenvielfalt.»

© Kanton Basel-Stadt, Rhystadt AG, Swiss Life AG

Im Leitbild steht zum Thema Umwelt folgender Satz: “Im Bereich der Innovation sollen neuste Technologien genutzt und miteinander intelligent gekoppelt werden, um dadurch höchste Energieeffizienz bei maximaler Ökologie zu erreichen.” Was wollen uns solche Floskeln sagen?

«Das steht exemplarisch für den Glauben, dass Technologie unsere Probleme lösen wird. Klar kann es helfen, wenn die Heizung «smart» ist und von alleine runterdreht, wenn eine Warmluftfront kommt. Aber der wichtigere Faktor für die «höchste Energieeffizienz» wäre total banal: Weniger Wohn- und Arbeitsfläche pro Person verbrauchen. Mit mehr geteilten Räumen und Infrastrukturen wäre das auch ohne Komfort-Verlust möglich.»

«Das würde ich gerne andersrum denken: Dass der Abriss per se hinterfragt, geprüft und gut begründet sein muss, und nicht der Erhalt.»

Eine Mehrheit der Bestandesbauten auf dem Klybeck soll abgerissen werden. Damit ginge viel graue Energie verloren; ausserdem lassen sich die rationellen Strukturen von Industriebauten oftmals hervorragend umnutzen. Wie liest du das Leitbild diesbezüglich?

«Der Bestand wird im Leitbild auf der Ebene von Schutzwürdigkeit und Identitätsstiftung gewürdigt. Das ist wichtig und wertvoll, aber es verkennt eine weitere Dimension, nämlich die Materielle, wobei erst weiter hinten im Leitbild das Stichwort ‹Baustoffkreislauf› zu finden ist. Aber heute ist es halt einfach so, dass der Erhalt eines Gebäudes ein Verfahren auslöst und nicht der Abriss. Das würde ich gerne andersrum denken: Dass der Abriss per se hinterfragt, geprüft und gut begründet sein muss, und nicht der Erhalt.»

Gelb = Abbruch

Glaubst Du, dass es möglich wäre, mehr Bestandesbauten zu erhalten?

«Das kann ich nicht einschätzen, dafür kenne ich die einzelnen Bauten zu wenig gut. Ich bin auch nicht partout gegen jeden Abriss und kann gut nachvollziehen, dass bei einer Umnutzung von Industrie zu Wohnen nicht alle Gebäude erhalten oder umgenutzt werden können. «

Das stimmt. Wenn der Abbruch also tatsächlich unumgänglich ist, wie soll man dann sinnvollerweise mir der bestehenden Bausubstanz umgehen? Was könnte mit den Abriss-Gebäuden denn sonst noch passieren?

«Die Grundeigentümerinnen verfügen über eine riesige Fläche mit unglaublich viel Bausubstanz und haben mit 2040 auch einen langfristigen Entwicklungshorizont. Was Re-Use so komplex und auch teilweise teuer macht, ist die Planung und Lagerung von Bauteilen. Rhystadt und Swisslife könnten ihr Areal und die 60% der Gebäude, die abgerissen werden sollen, als urbane Miene denken und nutzen. Bauteile aus dem Areal und von anderen Rückbauobjekten der Region könnten zusammengeführt werden. Ein Katalog informiert darüber, was wann zur Verfügung steht und alle Bauprojekte der Nordwestschweiz können sich die nächsten 18 Jahre dran bedienen. Und auch die eigenen Wettbewerbe werden gezielt darauf ausgerichtet, möglichst viel der vorhandenen Bausubstanz wiederzuverwenden. Das wäre richtig innovativ, und das nötige Know-How hätten wir ja in Basel auch schon vor Ort.»

«Ein Abriss auf Vorrat scheint mir kaum je sinnvoll – schon nur weil es damit verhindert, dass mit der Substanz etwas sinnvolleres passiert als «thermische Verwertung» und der Rest kommt auf die Deponie.»

Die Bagger sind da: Bild von der Mauerstrasse © Architektur Basel

An der Mauerstrasse wird aktuell bereits ein erster Bau – eine schöner Stahlrahmen-Backsteinbau – abgerissen. Von ReUse war dabei gar nichts zu sehen. Ist ein solcher Abbruch auf Vorrat klug? Oder sollte man erst noch den politischen Prozess abwarten?

«Ein Abriss auf Vorrat scheint mir kaum je sinnvoll – schon nur weil es damit verhindert, dass mit der Substanz etwas sinnvolleres passiert als «thermische Verwertung» und der Rest kommt auf die Deponie. Sei dies eine Zwischennutzung, Umnutzung oder eben auch ein Weiterleben von Bauteilen an anderen Orten.»

Die Initiative «Basel baut Zukunft» fordert, dass die Entwicklung Co2-neutral geschieht. Ist das eine realistische Forderung?

«Das ist eine Frage der Definition und Berechnungsweise, heute würde man wohl eher von Netto-Null sprechen. Unabhängig von den Berechnungs-Details aber gilt: Wenn man will, dann ist schon heute sehr viel möglich. Das Bauprojekt Hortus in Allschwil beispielsweise will innert 30 Jahren mehr erneuerbare Energie produzieren, als durch den Bau verursacht wird. Manche plädieren auch dafür, dass man die Emissionen, die in einem Bau zwischengespeichert werden, positiv verbuchen kann. Allenfalls müsste man bei einem Abriss noch die dadurch verschwendete graue Energie zum «Verbrauch» dazurechnen.»

© Kanton Basel-Stadt, Rhystadt AG, Swiss Life AG

Kannst Du die Herangehensweise etwas konkreter erläutern?

«Eine Herangehensweise an eine CO2-neutrale Entwicklung ginge in etwa so: Alles, was schon da ist, verursacht in der Erstellung keine neue Treibhausgase, darum nutzt man so viel wie möglich weiter – sei es ganze Gebäude, Tragstrukturen oder Bauteile. Alles, was neu dazu kommt, muss möglichst leicht, kompakt und aus Materialien, die wenig Treibhausgase verursachen, gebaut werden. Der Betrieb läuft komplett erneuerbar und verursacht keine zusätzlichen Emissionen. Die durch den Bau angefallenen Emissionen werden vor Ort kompensiert, andernorts in Senken gespeichert und durch Überproduktion von erneuerbarer Energie, die ans umliegende Quartier gegeben wird, kann allenfalls auch noch etwas ausgeglichen werden.»

«Ich mache zudem noch ein raumplanerisches Fragezeichen zum Nutzungsmix: Es soll Raum für 7’500 Arbeitsplätze und 8’500 Bewohnende entstehen, also fast ein Verhältnis von 1:1. Auf einen Arbeitsplatz kommen aber statistisch zwei Einwohnende, das heisst die Entwicklung schafft mit diesem Mix bereits in der Planungsphase eine Wohnraumknappheit.»

Wie schätzt Du als Grossrätin die politische Stimmung in Sachen klybeckplus ein? Welche Punkte werden zu Diskussionen führen?

«Ich tippe auf Grünraum und den Anteil an bezahlbarem Wohnen. Wobei wir ja mit der Initiative «Basel Baut Zukunft» über den Prozentsatz bezahlbaren Wohnens auf Transformationsareal unabhängig vom Klybeck abstimmen werden, diese Frage sollte dann also vorab schon geklärt sein. Hinsichtlich Grünraum ist im Leitbild nun mehr Grünanteil geplant, als noch im ersten Entwurf, was schon mal gut ist. Ob diese Grünflächen für die Menschen, die neu im Klybeck wohnen und arbeiten werden, ausreichen wird, das bezweifle ich. Hinzu kommt, dass das umliegende Quartier bezüglich Grünflächen ja schon heute drastisch unterversorgt ist.»

Ein politischer Kompromiss scheint also möglich. Ist das Leitbild auch raumplanerisch überzeugend?

«Ich mache ein raumplanerisches Fragezeichen zum Nutzungsmix: Es soll Raum für 7’500 Arbeitsplätze und 8’500 Bewohnende entstehen, also fast ein Verhältnis von 1:1. Auf einen Arbeitsplatz kommen aber statistisch zwei Einwohnende, das heisst, die Entwicklung schafft mit diesem Mix bereits in der Planungsphase eine Wohnraumknappheit. Basel hat schon seit Jahren ein intensives Arbeitsplatz-Wachstum ohne das zugehörige Wohnraum-Wachstum. Das verursacht Pendelverkehr und noch mehr Druck auf den bestehenden Wohnraum und das umliegende Quartier – was wir dann wieder mit anderen politischen Massnahmen versuchen müssen, unter Kontrolle zu kriegen.»


Zur Person


Salome Bessenich ist Grossrätin der SP und Mitglied der Bau- und Raumplanungskommission. Sie studierte Kunstgeschichte mit Schwerpunkt Architektur und Städtebau in Basel und Wien und hat mehrere Jahre als Projektleiterin Stadt- und Regionalentwicklung gearbeitet. Sie ist Mitglied beim Verein Countdown2030, der sich für eine zukunftsfähige Baukultur einsetzt und zurzeit mit einer Ausstellung im S AM „Die Schweiz: Ein Abriss“ und einer nationalen Petition die Abbruchmentalität der Schweizerischen Baukultur kritisch hinterfragt.

weiterführende Links:
Countdown2030 https://countdown2030.ch/
Ausstellung S AM https://www.sam-basel.org/de/ausstellungen/die-schweiz-ein-abriss
Petition https://act.campax.org/petitions/fertig-mit-dem-abrisswahn

 

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