Der Bläsiring im Kleinbasel ist eine gute Adresse. Zumindest, was Architektur anbelangt. Seit kurzem ist die Strasse um einen bemerkenswerten Neubau reicher. Das junge Basler Architekturbüro Wallimann Reichen hat mit klugen typologischen Kniffen auf knapper Grundfläche ein bemerkenswertes Wohnhaus entwickelt. Radikal im besten Wortsinn.
4057, wo das Kleinbasel pulsiert. Ich biege von der Klybeckstrasse in den Bläsiring ein. Schon nach wenigen Metern fallen auf der rechten Seite halbrunde Betonbalkone ins Auge. Das 1963 erbaute, brutalistische Haus von Courvoisier Müller Storck Zurbuchen ist ein geheimer Liebling vieler Basler ArchitektInnen. Hundert Meter weiter erreichen ich die Nummer 124. Hier haben Buchner Bründler 2012 ein raffiniertes Zweifamilienhaus, ein betonierter Wohnturm, errichtet. Fünfzig Meter weiter macht die Strasse einen Schlenker nach Links. Geradeaus erhebt sich die nächste Architekturikone: Die Überbauung «Hammer 1» von Diener & Diener, die Anfang der 1980er-Jahre errichtet wurde. Der Bläsiring endet mit der Einmündung in die Efringerstrasse. Aber halt! War da etwas? Bei Nummer 159 blickt mir ein neues Gesicht entgegen. Horizontale Eternitbänder und feine, aussenbündige Alufenster gliedern die Fassade.
Nicole Maria Wallimann und Christoph Estrada Reichen heisst das junge Architektenduo hinter dem Neubau. Ihr Entwurf entspringt einer tiefschürfenden Recherche: Die enge Parzelle und der massgebende Sonneneinfallswinkel von 45 Grad schränkten das Gebäudevolumen stark ein. Es ging um des Pudels Kern. Im übertragenen Sinn: Optimierung und Anordnung des Kerns lautete die entscheidende typologische Auseinandersetzung. Aufgrund der geringen Anzahl Wohnungen durfte ausnahmsweise auf einen Lift verzichtet werden. Die Abrundung der Treppen erlaubte es, die Steigzonen in die Ecken zu integrieren – und referenziert gleichzeitig das runde Treppenhaus des brutalistischen Vorbilds die Strasse abwärts.
Eine andere Basler Architekturikone kommt mir in den Sinn: Das Lofthaus von Buchner Bründler. Der offene Grundriss mit zentralem Kern, die Reduktion aller Elemente auf alles wirklich wesentliche, die robuste Materialisierung – sie sprechen eine ähnliche Sprache. Wallimann Reichen entwickelten eine Art Lofthaus im Miniformat. Jeder Zentimeter zählt! Die knappe Grundfläche von rund sieben mal zehn Metern zwang sie zur Optimierung. Der Regelgrundriss funktioniert als Rundlauf um den zentralen Kern. Die Küchenzeile an der östlichen Brandwand geht fliessend in das Bad über. Balkon gibt es keinen. Südseitig verwandeln die grossen Hebeschiebefenster den Ess- und Wohnbereich jedoch in eine lichtdurchflutete Loggia. Der Raum wurde maximal ausgereizt. Alles sitzt passgenau. Ein massgeschneidertes Haus.
Es ist die Liebe für Details und konstruktive Lösungen, die gute Architektur ausmacht. Das gilt auch am Bläsiring. Das Fensterblech wurde entsprechend der Sinuskurve des Welleternits lasergefräst. Dank einer Umlenkrolle verschwinden die Stoffmarkisen im Sturz. Die innere Fensterbank des Mauerwerks besteht aus einer simplen Mörtelschicht, die weiss gestrichen wurde. Im Treppenhaus wurden die Stufen mit einem Teppich aus Kugelgarn belegt, wobei seitlich jeweils eine einige Zentimeter Abstand zur Wand belassen wurde – und die Betontreppe nebst der verbesserten Akustik und Rutschfestigkeit überraschend nobel erscheinen lässt. Ansonsten ist die Materialisierung schlicht und robust: Der Materialkanon besteht aus weiss gestrichenem Mauerwerk, Sichtbetondecken, einem Zementboden, MDF für die Einbauten und Seekiefer als Verkleidung unter dem Dach.
Der Wohnraum ist geprägt vom unmittelbaren visuellen Bezug zum gegenüberliegenden «Hammer 1». Die weiss gestrichenen Backsteinwände und die altrosafarbenen Stoffmarkisen sorgen für einen angeregten Dialog. Ebenso der Verzicht auf Balkone. Zurück im Strassenraum angelangt, steht der grosse Bruder stoisch in der warmen Abendsonne. Wo Diener & Diener vor über 40 Jahren ihre Karriere lanciert haben, setzten Wallimann Reichen mit ihrer kleinen Schwester ein architektonisches Ausrufezeichen – das sich intuitiv in die Basler Architekturgeschichte einreiht. Der Bläsiring scheint ein gutes Pflaster zu sein.
Text: Lukas Gruntz / Architektur Basel
Wohnhaus Bläsi, Basel, 2019-2021
Architektur: Wallimann Reichen / www.wallimannreichen.ch/
Tragwerksplaner: Caprez Ingenieure, Zürich
Bausumme (BKP 1-9): 1.8 Mio CHF
Fläche / Volumen: 350 m2 / 1‘408 m3
Christoph Estrada Reichen (*1984, MSc ETH Arch SIA) ist in Mexico City und Basel aufgewachsen. Sein Diplom absolvierte er 2012 an der ETH Zürich. Seither ist er selbstständiger Architekt und arbeitet unter Wallimann Reichen.
Nicole Maria Wallimann (*1990, MSc ETH Arch SIA) ist im Kanton Luzern geboren und aufgewachsen. Ihr Architekturstudium schloss sie 2016 an der ETH Zürich ab. Seit 2018 ist sie selbstständige Architektin, war 2020 als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei / BUK ETHZ tätig und arbeitet unter Wallimann Reichen.