Der Wakkerpreis für die überregionale Zusammenarbeit entlang des Flussraumes Birs an den Verein Birsstadt ist wohlverdient. Zur Sicherung und Stärkung des baukulturellen Erbes müssen jedoch Einzelne der Gemeinden dringende Unterschutzstellungen vorantreiben, die sie zurzeit verzögern. Der Preis sollte daher Auszeichnung und Verpflichtung zugleich sein und den nötigen Schwung in diese Verfahren bringen.
Wakkerpreis für den Flussraum
Am 22. Juni wird auf dem Domplatz in Arlesheim der Wakkerpreis des Schweizer Heimatschutzes an den Verein Birsstadt übergeben. Der Wakkerpreis zeichnet Gemeinden oder Institutionen aus, die sich bezüglich Ortsbild- und Siedlungsentwicklung besonders vorbildlich verhalten. Er hat eine schweizweite, öffentliche Strahlkraft und ist die wichtigste Auszeichnung in diesem Bereich. Gemeinsam werden dieses Jahr die zehn Gemeinden der Birsstadt, Aesch, Arlesheim, Birsfelden, Dornach, Duggingen, Grellingen, Muttenz, Münchenstein, Pfeffingen und Reinach für ihr Engagement entlang der Birs ausgezeichnet. Sie erhalten den Preis für «die Aufwertung des Natur- und Lebensraums an der Birs, die sorgfältige Weiterentwicklung der bedeutenden Industrieareale sowie die Sicherung und Stärkung des reichen baukulturellen Erbes.»[1] Der Verein Birsstadt wurde zur Koordination der räumlichen Entwicklung im Jahr 2018 gegründet. «Diese Auszeichnung ist eine grosse Ehre, aber auch eine Wertschätzung der jahrelangen regionalen Zusammenarbeit und macht die zehn Birsstadt-Gemeinden im höchsten Mass stolz.»[2] so der Verein in seiner Stellungnahme zum Preis.
Pendenzen bei den Gemeinden
Der Preis ist eine tolle Auszeichnung für die Zusammenarbeit entlang des Flussraumes. Bei der Sicherung und Stärkung des erwähnten baukulturellen Erbes haben aber einzelne Gemeinden dringende Pendenzen zu erledigen. Sie verzögern die Unterschutzstellung von wichtigen Siedlungsbauten so Gerrit Sell der Denkmal- und Heimatschutzkomission Baselland, «der Schutzwert ist klar gegeben und alle nötigen Dokumente seitens der Denkmalpflege liegen seit längerem vor.» Der Wakkerpreis sollte daher nicht darüber hinwegtäuschen, dass das baukulturelle Erbe dieser Gemeinden durchaus noch besser geschützt und gestärkt werden kann. Wir schauen uns drei Beispiele an, die stellvertretend für andere Projekte stehen, denn gemäss Denkmalpflege gibt es in allen Birsstadtgemeinden solche unterlassenen und absichtlich verzögerten Unterschutzstellungen.
Siedlung im Lee, Arlesheim
In Arlesheim findet sich die Siedlung «Im Lee» von Hermann und Hanspeter Baur aus den Jahren 1963-1970. In einer wunderbaren, parkähnlichen Anlage platzierten die Architekten 11 viergeschossige Mehrfamilienhäuser und 15 Doppeleinfamilienhäuser, die sich durch ihre gut gesetzten Baukörper und harmonisch gestalteten Fassaden auszeichnen.
Auch die Grundrisse seien bis heute zweckmässig, so der Denkmalpfleger Walter Niederberger.[3] Die Siedlung wurde im Bauinventar Baselland als kantonal schutzwürdig aufgenommen und ist ohne Zweifel von schweitzweiter Bedeutung. Dorothee Huber würdigt die Anlage im Architekturführer Basel als «neuartiges Modell einer Villenkolonie»[4]. Das Büro Miller & Maranta hat im Auftrag und in Zusammenarbeit mit der Denkmalpflege bereits im Jahre 2010 einen Leitfaden erstellt, der den Umgang mit Materialien und Formen bei Sanierungen und Weiterentwicklungen definiert. Die Einhaltung der Empfehlungen beruht aber immer noch auf Freiwilligkeit, weil die Häuser bis heute nicht geschützt und die Handhabung seitens der Denkmalpflege für eine rechtliche Durchsetzung und somit einem adäquaten Umgang mit der Siedlung nicht gegeben sind. Für den Erhalt ist es zentral, dass die Identität und Einheitlichkeit der Siedlung auch künftig mit den klimatischen Sanierungen gewährleistet bleibt.
Hier einige aktuelle Eindrücke von der Siedlung im Lee:
Siedlung Freidorf, Muttenz
Einen noch prominenteren Vertreter des schweizerischen Siedlungsbaus finden wir in Muttenz. Das zwischen 1919-1921 vom bekannten Basler Architekten und späteren Bauhaus-Direktor Hannes Meyer erstellte Freidorf ist der wichtigste Vertreter des genossenschaftlichen Siedlungsbaus der Schweiz. Dass dieses Baudenkmal bis heute nicht kantonal geschützt ist, lässt uns verwundert zurück. Architektur Basel widmete der wichtigen genossenschaftlichen Siedlung, seiner Entstehungsgeschichte und Gestaltung einen ausführlichen Beitrag zum hundertjährigen Bestehen. Meyer adaptierte auf dem dreieckigen Grundstück die englischen Gartenstadtideen auf den genossenschaftlichen Siedlungsbau. Die rationell angeordnete Schachbrettanlage des Freidorfs wurde zum nationalen Symbol für ein besseres Leben und für ein gehobenes Selbstbewusstsein der Arbeiterklasse. Die neoklassizistische Siedlung, eine Mischung aus Kloster und Gartenstadt, galt als Symbol einer solidarischen und demokratischen Gesellschaft. Die 150 Einfamilienhäuser sind auf das gemeinschaftliche Zentrum mit Genossenschaftshaus und Spielwiese ausgerichtet und nicht wie in traditionellen Fabriksiedlungen auf die Villa des Unternehmers.
Der Architekt kommentierte seinen Beitrag in der Zeitschrift Werk wie folgt: «Seit 1920 bietet im Osten von Basel die Siedelung Freidorf dem Flieger wie dem Volksfreund ein gleicherweise rosig schimmerndes Peilziel. Dem Erdkundigen ein neuer Ort auf der Siegfriedkarte, dem Bourgeois rotes Nest, dem Sovjetstern nicht rot genug, dem Ästheten Kaserne, dem Gläubigen Stätte der Religionslosigkeit, dem Eigenbrödler Zwangserziehungsanstalt, dem Privathändler Totschlagversuch an seiner Wirtschaftsform, und dem Genossenschafter die erste schweizerische Vollgenossenschaft und eine cooperative Rarität Europas: Das ist die Siedelungsgenossenschaft Freidorf.»[5]
Die Gemeindepräsidentin von Muttenz hat sich zwar für die Anliegen der Denkmalpflege verständlich gezeigt, der Unterschutzstellungsprozess geht allerdings nicht voran. Mittlerweile wurde massiv in die Häuser eingegriffen (neue Fenster, neue Haustüren, teilweise komplette Innensanierung), ohne dass die Denkmalpflege Einfluss nehmen konnte. Diese Eingriffe geschehen, weil es sich bis heute um eine Genossenschaft handelt, immer gleichzeitig bei allen Häusern was die historischen Details besonders bedroht.
Hier einige aktuelle Eindrücke vom Freidorf:
In den Gartenhöfen, Reinach
Abschliessend wagen wir noch einen Blick nach Reinach. Auch über die Siedlung in den Gartenhöfen der Architekten Löw & Manz hat Architektur Basel bereits berichtet: «Der Traum vom Einfamilienhaus für alle – die Atriumsiedlungen von Löw & Manz» Als Antwort auf das starke Bevölkerungswachstum wurde am Fusse des Bruderholzes in einem typischen Agglomerationswohngebiet im Jahre 1959/60 eine Teppichsiedlung erstellt.
Sie zeigt ein frühes Beispiel einer verdichteten Bauweise.[6] Ende der 1950er Jahren suchten die Architekten Ulrich Löw und Theodor Manz nach Wegen, den Traum vom eigenen Haus trotz hoher Bodenpreise zu verwirklichen. Sie entwickelten die zwei mustergültigen Atriumsiedlungen „In den Gartenhöfen“ und „Im Pfeiffengarten“ und erlangten damit nationale Bekanntheit.[7]
Die Siedlung zeichnet sich durch ihre gestalterische und typologische Robustheit und Wertigkeit aus. Die einheitliche Gestalt ist dabei zentral. Die Gemeinde hat zwar einen Leitfaden zum Umgang mit den Häusern erarbeitet, aber auch diese Siedlung ist noch nicht geschützt.
Hier einige aktuelle Eindrücke von der Siedlung in den Gartenhöfen:
Eine Chance für die Birsstadt
Der Verein Birsstadt schreibt in seiner Stellungnahme zum Preis, dass die Chancen, die sich durch die Auszeichnung ergeben gross seien. Ein Projekt, das schon längere Zeit in der Pipeline stecke, soll im 2024 umgesetzt werden: «der Umgang mit der Baukultur in der Birsstadt. Wie soll das Gesicht der Birsstadt in Zukunft aussehen? Gemeinsam mit Politik und Bevölkerung will der Verein anhand der Davoser Kriterien für Baukultur eine Charta für die Birsstadt entwickeln.»[8] Dazu gehört hoffentlich auch ein Engagement für den Erhalt und die Pflege des baukulturellen Erbes der Birsstadt. Denn neben den grenzüberschreitenden Freiraumelemente sind es vor allem die «historischen Perlen» – wie der Verein Birsstadt einige der bedeutensten Baudenkmale bezeichnet –, welche die Identitätsfäden der Birsstadt schmücken.[9] Einige dieser «historische Perlen» sowie zusätzliche Inventarobjekte, die als kantonal schutzwürdig eingestuft sind, warten schon zu lange auf eine Unterschutzstellung, deren Dringlichkeit zunimmt. Dazu gehören zweifellos auch die drei vorgestellten Siedlungen, denen eine hohe architekturhistorische und kulturelle Bedeutung zukommt und die wichtige Stationen in der Entwicklung der Wohnbautätigkeit auf dem Gebiet der Birsstadt darstellen. Wir freuen uns, wenn der Wakkerpreis eine positive Ausstrahlung auf die denkmalpflegerischen Unterschutzstellungen nimmt. Denn mit der Wertschätzung einer hohen Baukultur, zu der zwingend auch ein sensibler Umgang mit dem architektonischen Erbe gehört, entstehen attraktive Lebensräume und davon profitieren alle.
Artikel. Christina Leibundgut / Architektur Basel
[1] Schweizerischer Heimatschutz, Medienmitteilung vom 9. Januar 2024
[2] Birsstadt, Medienmitteilung vom 9. Januar 2024
[3] Walter Niederberger, Einleitung in: Miller & Maranta Denkmalpflegerischer Leitfaden, 9. September 2010.
[4] Dorothee Huber, Architekturführer Basel, 2014, S.397.
[5] Meyer, Hannes: Die Siedlung Freidorf: erbaut durch Hannes Meyer, Basel. In: Das Werk: Architektur und Kunst, Band 12 (1925).
[6] Vgl. Dorothee Huber, Architekturführer Basel, 2014, S. 395.
[7] Vgl. Bauinventar Kanton Basel-Landschaft, Erstellt im Auftrag der Kantonalen Denkmalpflege durch Claudio Affolter, Mai/Juni 2002.
[8] Birsstadt, Medienmitteilung vom 9. Januar 2024.
[9] Verein Birsstadt, Baukultur https://birsstadt.swiss/baukultur/ (Zugriff 08.06.2024)
Weitere Quellen:
Atriumsiedlung «In den Gartenhöfen» in Reinach BL, in: Das Werk, Band, 48 (1961).
Architekturmuseum Basel, Hermann Baur, Architektur und Planung in Zeiten des Umbruchs, Basel 1994.