«Oftmals wird direkt vor Ort entschieden. Wir reagieren, wir improvisieren!»

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Ob ich auch an den Salon Talk käme, fragte mich ein Kollege im Büro. Den Kopf unter Tage völlig woanders, finde ich nicht einmal die Zeit, mich zu informieren, wofür ich überhaupt zugesagt hatte. Und bin nun umso gespannter, als ich ein paar Stunden später das Atelier von Faust Witt Architekten betrete. Aber eigentlich passt das perfekt ins Setting der gemütlichen Runde – denn heute Abend gehts um Improvisation!

Bereits zum zweiten Mal lädt das S AM Schweizerische Architekturmuseum zum Salon Talk. Dieser findet jeweils ausserhalb des S AM in einem Atelier statt. Ungefähr fünfzig Personen haben den Weg in den Hinterhof an der Angensteinerstrasse gefunden. Wir sitzen auf Hockern rund um einen Beamer. Es gibt Bier. S AM-Kurator Yuma Shinohara begrüsst die Runde und verliert ein paar Worte über die Anwesenden der zwei Büros und des Kollektivs, die uns gleich einige ihrer Projekte vorstellen werden. Der Talk findet im Rahmen der Ausstellung «Make Do with Now: Neue Wege in der japanischen Architektur» (noch bis am 12. März im S AM) in Zusammenarbeit mit der europäischen Architekturplattform LINA statt.

Yuma Shinohara vom S AM führt durch den Abend © Architektur Basel

Yuma Shinohara vom S AM führt durch den Abend © Architektur Basel

Den Anfang macht Haus Bräutigam, ein Kollektiv aus dem Deutschen Schwarzatal. Lange stand das ehemalige Gästehaus mit Jahrgang 1907 leer, bis sich 2018 der Verein Haus Bräutigam dem Gebäude annahm und es fortan wieder instand setzt. Der Prozess aber gleicht einem üblichen Vorgehen mitnichten, er fundiert auf dem Grundsatz der aktiven Mitgestaltung aller Beteiligten.

«Über die Entscheidungen, die dafür nötig sind, wird jeweils diskutiert und abgestimmt. Manchmal aber gibt es Fragen im Bauprozess, die vor Ort gelöst werden müssen. In diesem Fall entscheidet eben, wer gerade anwesend ist.»

Das Haus profitiert vom Fachwissen der Mitglieder, die nicht nur Architekt:innen, sondern zum Teil auch Handwerker:innen sind.

Das Haus Bräutigam stand lange leer. Nun wird es vom gleichnamigen Verein instand gesetzt © Architektur Basel

Das Haus Bräutigam stand lange leer. Nun wird es vom gleichnamigen Verein instand gesetzt © Architektur Basel

Die Kollegen von Ishimura + Neichi haben den weiten Weg von Tokyo nach Basel auf sich genommen, um über ihre Arbeit zu sprechen. Beim Projekt, das die jungen Japaner heute vorstellen, handelt es sich um ein unscheinbares Gebäude.

«Wir versuchen, das Gebäude mit Vorgefundenem auszubauen. Oder mit Restmaterialien der beteiligten Bauunternehmungen»

erklären sie. Dabei sei das Verhältnis zwischen Architekt:innen und Handwerker:innen in Japan gar kein so einfaches. Es sei nicht selbstverständlich, dass man sich überhaupt austausche. Oftmals überwiege die Angst, dass sich ein architektonisches Konzept durch zu viel Mitwirkung verwässere. Aber es sei genau das, was sie interessiere. Auf Vorhandenes reagieren, Ideen stets zu überdenken und die Vorgehensweisen anzupassen, ist dabei zum Konzept geworden.

«Uns interessiert der Austausch zwischen Architekt:innen und Handwerker:innen», meinen Ishimura + Neichi © Architektur Basel

«Uns interessiert der Austausch zwischen Architekt:innen und Handwerker:innen», meinen Ishimura + Neichi © Architektur Basel

Die Hosts von Faust Witt Architekten nehmen uns mit in ein ehemaliges Schützenhäuschen. Wo früher geschossen wurde, soll es in Zukunft Platz für Pfadfinder:innen geben. «Das Haus war überhaupt nicht für einen angenehmen Aufenthalt ausgelegt: Die Architektur war bestimmt durch Schallschutzinstallationen». Nach und nach wurden die Innenräume im Eingangsgeschoss umgebaut. «Wir wollten den Wald nach drinnen holen!» – unter Mitwirkung der Eltern der Pfadfinder:innen.

«Alle paar Wochen finden deshalb gemeinsame Projektsitzungen statt.»

Faust Witt Architekten öffnen den Rahmen für ein paar weitere Projekte, stets aber mit dem Fokus auf dem Thema des heutigen Abends: Improvisation und Zusammenarbeit.

Faust Witt Architekten haben sich einem Schützenhäuschen angenommen © Architektur Basel

Faust Witt Architekten haben sich einem Schützenhäuschen angenommen © Architektur Basel

Yuma Shinohara möchte von den drei Teams wissen, inwiefern sich ihre Sicht auf die Dinge durch diese Projekte verändert hat: «Was musstet ihr verlernen, welche Vorstellungen zum Prozess musstet ihr ablegen?» Dass immer alles linear vorwärts geht, meinen die einen, es gebe immer und überall Änderungen. Gerade beim Umbau wisse man selten, was einen erwartet:

«Plötzlich gibt es da Leitungen und Rohre an Stellen, die eigentlich für anderes vorgesehen waren. Dann muss man umdenken!»

Die Diskussion öffnet sich. Jemand aus dem Publikum möchte mehr über die Motivation der Auftraggebenden hören und in diesem Zusammenhang fällt die Frage nach dem lieben Geld: «Wie finanziert ihr euch eigentlich? Die Vorstellung von Beteiligung und allem sei ja gut – aber irgendwie muss das Ganze ja auch bezahlt werden?» Die drei Teams lachen. Haus Bräutigam macht den Anfang: «Wir haben vom Freistaat Thüringen ein Startkapital erhalten. Ohne dieses wäre das Projekt in dieser Form vermutlich nicht möglich gewesen. Nun arbeiten wir uns Thema für Thema durchs Haus.» Die Finanzierung beschäftigt auch die Kollegen von Faust Witt Architekten: «Ein solches Projekt lässt sich nicht mit einem normalen Auftrag vergleichen. Damit wir dies überhaupt tun können, sind wir auf andere Aufträge angewiesen.»

«Wie finanziert ihr diese Projekte?», will jemand aus dem Publikum wissen © Architektur Basel

«Wie finanziert ihr diese Projekte?», will jemand aus dem Publikum wissen © Architektur Basel

«Durch die lokale Verankerung und die Zusammenarbeit mit Handwerksbetrieben in der Nachbarschaft, sind aber viele solche Nebenprojekte entstanden», meinen die Kollegen von Ishimura + Neichi. Die Runde ist sich einig: Durch die vielen verschiedenen Meinungen kommen die unterschiedlichsten Fachgebiete von der Architektin, über den Schreiner oder die Elektrikerin bis zum Arzt zusammen. Man lernt nie aus.

Die Zeit vergeht wie im Fluge. Es sei ja bereits neun Uhr, meint Yuma Shinohara und beendet den formellen Teil des Abends, sofern ein Salon Talk in dieser Art überhaupt formell sein kann. Tatsächlich war der Abend nämlich sehr kurzweilig. Bitte mehr davon!

Text: Simon Heiniger / Architektur Basel


Mehr Informationen zur Salon Talk-Reihe gibts hier: https://www.sam-basel.org/de/veranstaltungen/kalender

 

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