PETITION GAV ARCHITEKTUR

Pragmatisch weiterbauen mit Herzog & de Meuron

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Stoisch steht der Siloturm zwischen den beiden Backsteinbauten. Das Ensemble wirkt vertraut, stimmig, analog. Im Hintergrund rauscht die A59 unaufhörlich. Hier am Niederrhein befand sich einst der grösste Binnenhafen Europas. Die grossen Zeiten sind vorbei, könnte man meinen. Wir sind in Duisburg, wo Herzog & de Meuron letztes Jahr das Museum Küppersmühle erweitert haben. Grund genug für einen Besuch 600 Kilometer rheinabwärts.

© Architektur Basel

Ein Tropfen fällt in Basel in den Rhein. Rund hundert Stunden später erreicht er Duisburg. «Hier bei der Küppersmühle ergab es Sinn, dass der Neubau sich in einer Addition anfügt und das, was schon da ist, in verwandter Art ergänzt: eben beinahe so, also ob es schon immer hier gewesen wäre», beschreibt Jacques Herzog in der NZZ die architektonische Haltung. Der Grundstein wurde 1999 gelegt. Damals transformierten Herzog & de Meuron den Industriebau zum Kunsthaus. Und jetzt die Erweiterung: Die schräge Fassade des Neubaus ergibt sich aus der minimalen Abstandslinie von vierzig Metern zur Autobahn. «KUPPERSMÜHLE» steht auf grossen Lettern ins Mauerwerk eingewoben. Der gestaffelt gefügte Verband entwickelt eine nahezu textile Haptik. Zumindest von weitem. Bei der Annäherung erkennt man, dass die Backsteine mittig gebrochen sind. Die inneren Löcher werden nach aussen gekehrt. Eine konstruktive Lösung, die wir in ähnlicher Form vom Vitra Schaudepot in Weil am Rhein kennen.

© Architektur Basel

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Über den Umgang mit den ikonografischen Silotürmen kann man geteilter Meinung sein. Im Museum hängt die grandiose Schwarzweissaufnahme von Bernd und Hilla Becher. Die markante Stirnfassade – früher das Gesicht der Küppersmühle – ist verschwunden. Herzog & de Meuron haben diesbezüglich ihre Haltung geändert: Das gescheiterte Projekt 301, das einen Wolkenbügel über den Türmen vorsah, hätte als spektakuläre Überhöhung den Silos zusätzliche Präsenz verleiht. Mit dem neuen Projekt werden die 45 Meter hohen Silos vor allem im Innenraum inszeniert. Über Brücken gelangen die BesucherInnen auf allen Geschossen durch die geöffneten und ausgehöhlten Silos, die mit viel Kunstlicht räumlich dramatisiert werden – jedoch eigenartig leblos bleiben. Vielleicht liegt es daran, dass sie bei unserem Besuch nicht als Ausstellungsraum genutzt werden. Eine Bespielung würde Raum guttun.

© Architektur Basel

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Die schlichten Ausstellungsräume ordnen sich der Kunst unter. Einige wenige Fensterschlitze ermöglichen den Ausblick und Bezug zum Kontext. Besonders eindrücklich ist die Installation «Klingsors Garten» (2018) im obersten Geschoss des Erweiterungsbaus. Anselm Kiefer erarbeitete sie eigens für den neu geschaffenen Raum in der Küppersmühle. Die grossen Kohlestücke nehmen Bezug auf den Steinkohleabbau, der die Kulturlandschaft des Ruhrpotts massgebend geprägt hat. Man erreicht den Raum über das neue Treppenhaus, das eine Neuauflage des Erstlings ist: Die imposante Treppenskulptur aus mit Ziegelstaub rot eingefärbtem Beton erschliesst den Erweiterungsbau. Die optische Wärme und organische Raumform stehen im wohltuenden Kontrast zu den cleanen Ausstellungsräumen. Dass sich das erste Treppenhaus von 1999 besorgniserregende Zentimeter vom Bestand weg neigt, ist dabei nur eine Randnotiz unseres Besuchs.

«Klingsors Garten» (2018) von Anselm Kiefer © Architektur Basel

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Von einem «Manifest gegen die Oberflächlichkeit» schrieb Sabine von Fischer in der NZZ. Es stellt sich die Frage, ob das Museum überhaupt als Manifest verstanden werden kann. Sicherlich entwickelt die Architektur ihre Qualitäten in der Tiefe – und widerspricht damit jeglicher Form der Oberflächlichkeit. Sie tut dies jedoch in einem entspannten Pragmatismus; zurückhaltend und dennoch selbstverständlich. Extravaganz findet man in Duisburg keine. Ebenso wenig ein Manifest. Oder wie es Jacques Herzog im Interview mit uns benannte: «Manchmal ist es gar nicht die teuerste oder luxuriöseste Lösung, die erkämpft werden muss. Das ist oft gar nicht notwendig.» Steter Tropfen höhlt den Stein.

Text: Lukas Gruntz / Architektur Basel


Quellen:
– Sabine von Fischer: Das Ende des Spektakels: Herzog & de Meurons Museumsbau im Ruhrgebiet ist ein Manifest gegen die Oberflächlichkeit, in: NZZ, 23.10.2021
– Uta Winterhager: Duisburger Rolle rückwärts – Erweiterung des Museum Küppersmühle von Herzog & de Meuron, in: Baunetz, 27.09.2021

 

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