Tschüss Autobahn – Hallo Stadtboulevard!

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Basel ist wahrlich keine riesige Stadt – und dennoch wird das Siedlungsgebiet von mehreren grossen Schneisen durchtrennt. Da wäre einmal der Rhein als natürlicher Bruch und die Autobahn als künstlicher. Der Rhein ist Verkehrsweg und Wohnzimmer der Stadt zugleich. Der Fluss bietet die unterschiedlichsten Möglichkeiten der Freizeitbeschäftigungen vom angenehmen Spaziergang am Ufer oder einem Schwumm im kühlen Nass. Die Autobahn als Umfahrung und Abkürzung entlastet die innerstädtischen Strassen in den Stosszeiten und hält diese für den Öffentlichen Verkehr frei. Die Nordtangente zwischen Erlenmatt und Grenzübergang St. Louis verläuft unterirdisch. Die Osttangente als oberirdische Nationalstrasse zwischen Hagnau und Wiese stellt für den Stadtraum aber eine Zäsur dar. Herzstück der Nord-Süd Transitroute ist die zehnspurige Schwarzwaldbrücke. Um die achtzigtausend Fahrzeuge queren die Brücke täglich und verursachen eine Menge Stau. Das soll sich nun ändern. Im November sprach sich der Bundesrat für den Rheintunnel aus. Dieser führt dereinst von Birsfelden bis nördlich des Badischen Bahnhofs und soll die bestehenden Strassen empfindlich entlasten. Mit diesen Aussichten hat sich der Masterstudiengang des Instituts Architektur der Fachhochschule Nordwestschweiz im vergangenen Semester beschäftigt und verschiedene Entwicklungs- und Umnutzungs-Hotspots ausfindig gemacht. Die Studienarbeiten wurden für zwei Tage im Gare du Nord am Badischen Bahnhof ausgestellt. Architektur Basel war vor Ort und hat sich die Projekte angeschaut:

Der Betrachtungsperimeter vom Rhein bis zur Wiese, Grundlagen: © Bundesamt für Landestopografie swisstopo

Der Betrachtungsperimeter vom Rhein bis zur Wiese, Grundlagen: © Bundesamt für Landestopografie swisstopo

Die Autobahn soll nun also unter die Erde. Soweit so gut. Aber was bedeutet das für die Stadt darüber? Ist die Strasse in der jetzigen Dimension überhaupt noch nötig in Zukunft? Könnte dieser Stadtraum nicht anders genutzt werden? Welche Entwicklungen gehen mit dieser Veränderung einher? Was passiert mit der Schwarzwaldbrücke? Mit ungefähr diesen Fragestellungen haben sich die Studierenden der drei Mastermodule «Haus», «Siedlung» und «Landschaft» nun fünfzehn Wochen beschäftigt und einen bunten Strauss Antworten abgeliefert.

Mehrere Einsatzmodelle des gesamten Betrachtungsperimeters. So macht Architektur Spass!

Mehrere Einsatzmodelle des gesamten Betrachtungsperimeters. So macht Architektur Spass!

Das Modul «Landschaft» betrachtet den gesamten Perimeter vom Rhein bis zur Wiese und probiert, den neu entstehenden Stadtraum umzudeuten. Tschüss Autobahn – hallo Stadt! scheint die Devise. Die Schneise soll im Wesentlichen bleiben was sie war: ein Schnitt durch die Stadt, allerdings kein trennender sondern eher im Sinne eines Reisverschlusses; ein Stadtboulevard wird propagiert. Ein mehrere Meter langes Modell illustriert verschiedene Ansatzmöglichkeiten. Da wäre etwa der Vorschlag, den gesamten Bereich am Badischen Bahnhof – in der Vision nun vom Verkehr befreit – zu entspannen, den Raum der ehemaligen Autobahn als Grünstreifen zu nutzen. Das Gleisfeld des Badischen Bahnhofs bestünde zwar noch immer, doch fristete das Bahnhofsgebäude nicht mehr länger ein Leben als Insel in einem Meer aus Strassen. Damit würde nicht nur der Bahnhof fussläufiger, sondern auch das Erlenmattquartier wieder mehr in die Stadt eingebunden, liegt es derzeit doch etwas zwischen Tisch und Bank am Rande der Stadt zwischen Strasse, Schiene, Fluss und Brücken.

Das Gleisfeld beim Badischen Bahnhof bleibt wohl bestehen...

Das Gleisfeld beim Badischen Bahnhof bleibt wohl bestehen…

Es bleibt die Frage nach dem Hirzbrunnenquartier. Die Autobahn ist weg, deren Platz sinnvoll besetzt, das erwähnte Gleisfeld aber noch immer sehr präsent und trennend. Aller Liebe zur Bahn zum Trotz. Wenn schon umgebaut wird, dann richtig. Die Bahn ist zwar umweltfreundlich, doch trennt sie die Stadt letzten Endes in gleicher Weise wie die Autobahn. Da reicht eine Brücke für FussgängerInnen alleine nicht. Was der Bahnhof SBB am anderen Ende der Stadt alles an Funktionen aufnehmen muss, sehen wir bereits heute. Die Passarelle ist inzwischen weit mehr als eine simpler Bahnhof. Sie ist die Haustür zum Gundeli und platzt aus allen Nähten. Diesem Umstand waren sich die Studierenden durchaus bewusst. «Die Möglichkeiten zur besseren Anbindung des Hirzbrunnenquartiers standen immer wieder zur Diskussion», sagte etwa Andreas Bründler, neben Susanne Vécsey und Dominique Salathé einer der drei Dozierenden in diesem Semester im Rahmen der Ausstellungseröffnung.

Riesenrand, Wochenmarkt und Herbstmesse – den Ideen sind keine Grenzen gesetzt

Riesenrand, Wochenmarkt und Herbstmesse – den Ideen sind keine Grenzen gesetzt

Ein anderes Projekt möchte den freiwerdenden Raum konkreten Nutzungen zur Verfügung stellen. Ein Riesenrad zwischen Bahnhof und Rhein, ein Wochenmarkt und die Herbstmesse auf dem Bahnhofsplatz. Das bestehende längliche Parkhaus mit den geschwungenen Auffahrten bräuchte man nicht mehr und müsste umgenutzt werden. Zum Openairkino oder Hotel, Veloparking inklusive.

Nicht nur die Stadt erneuert sich ständig, auch die Busflotte der Basler Verkehrsbetriebe BVB wird bis 2027 umgebaut. Die heutigen Dieselbusse weichen dereinst Elektrofahrzeugen. Der Bushof der BVB zwischen Rankhof und Tinguely-Museum liegt heute eher am Rande der Stadt in guter Gesellschaft mit vielen anderen Infrastrukturbauwerken. Die Entwicklung rund um die Osttangente rückt das Busdepot allerdings wieder ins Zentrum des Geschehens. Wie also könnte der neue E-Bushof aussehen? Welche Rolle übernimmt er im Quartier und vorallem: Was bedeutet dies für die Wohnungsnot? Die Frage scheint, noch vor konkreten Wohnungsgrundrissen, wiederum eine städtebauliche – genau richtig für den Massstab des Moduls «Siedlung».

Das Busdepot der BVB zwischen Geleisen und Rhein, Grundlagen: © Bundesamt für Landestopografie swisstopo

Das Busdepot der BVB zwischen Geleisen und Rhein, Grundlagen: © Bundesamt für Landestopografie swisstopo

Wie könnte der Raum zwischen den Geleisen über den Rhein und nach Riehen und Grenzach dereinst aussehen? Die Studierenden interpretieren die Situation unterschiedlich. Während das eine Projekt den Gleisbogen flussaufwärts als Rücken für eine Bebauung mit Aussicht auf den Rhein nutzt, bedienen sich andere Vorschläge am klassischen Blockrand. Aber auch Zeilenbebauungen stehen an. Ein weiteres Projekt schlägt ein grosses Megagebäude vor, das alle Funktionen aufnimmt. Inklusive begehbarem Dachgarten für alle.

Verschiedene Projektvorschläge für die Situation rund um das Busdepot der BVB

Verschiedene Projektvorschläge für die Situation rund um das Busdepot der BVB

Bis ins Detail gehen die Studienprojekte des Moduls «Haus». Die Studierenden haben sich mit der Situation rund um den Kleinbasler Kopf der Schwarzwaldbrücke beschäftigt. Mit an Bord: Die neue S-Bahnstation. Sie soll nicht nur Ausgangspunkt für den öffentlichen Nahverkehr sein, sondern viel mehr Dreh- und Angelpunkt der Stadt, programmiert mit allen denkbaren Nutzungen. «Die Vorschläge sind sehr unterschiedlich», meint Dozent Dominique Salathé, «während das eine Projekt die S-Bahnstation über dem Rhein platziert, verschwindet die alte Autobahnbrücke in anderen Vorschlägen oder wird grosszügig begrünt. Der neue Rheintunnel muss es richten!» Tatsächlich scheinen den Ideen zur Umgestaltung des Bereichs um das Museum Tinguely keine Grenzen gesetzt. Und genau dies wirft auch wichtige Fragen auf: Gerade eben das Museum Tinguely stünde vor total neuen Voraussetzungen. Lag es vorher mit dem Rücken zur Strasse und öffnete sich zum Rhein, findet es sich neu inmitten des Kuchens wieder.

Der Kleinbasler Kopf der Schwarzwaldbrücke, Grundlagen: © Bundesamt für Landestopografie swisstopo

Der Kleinbasler Kopf der Schwarzwaldbrücke, Grundlagen: © Bundesamt für Landestopografie swisstopo

Ein Projektvorschlag sieht die neue S-Bahnstation als Gegengewicht zum Badischen Bahnhof auf der Achse Rhein-Wiese und setzt sie als «Haus am Boulevardkopf» direkt an den Fluss. Während die einen Projekte einen Flachbau vorschlagen, geht ein anderes mit einer kurzen, aber hohen Scheibe ins Rennen. Aber auch eine aufgeständerte Bahnstation mit angrenzendem Turm ist möglich. Der Boulevard mit Skatepark und Terrasse läuft unten durch, oben drüber öffentliche Nutzungen wie Bibliotheken oder Restaurants. Der Betrachtungsperimeter erstreckt sich hier nicht mehr über den gesamten Boulevardbereich, umso intensiver haben sich alle mit den jeweiligen Gebäuden auseinandergesetzt. Neben tollen Plänen und grafisch ansprechenden Visualisierungen ziehen vorallem die grossen Strukturmodelle die Aufmerksamkeit auf sich.

Unten Skatepark und Terrasse, oben Bibliothek und Restaurant – eine S-Bahnstation mit Hochhaus.

Unten Skatepark und Terrasse, oben Bibliothek und Restaurant – eine S-Bahnstation mit Hochhaus.

Visualisierungen getreu dem Titel der Ausstellung: Beyond Infrastructure...

Visualisierungen getreu dem Titel der Ausstellung: Beyond Infrastructure…

Ein eindrückliches Modell eines Projektvorschlags an der Schwarzwaldbrücke!

Ein eindrückliches Modell eines Projektvorschlags an der Schwarzwaldbrücke!

Leider gastierte die Ausstellung nur zwei Tage im Gare du Nord. Nicht etwa wegen Corona, sondern weil die Bar vorher und tags darauf zwecks EM wieder den Fussballbegeisterten gehört. «Wir sind trotzdem glücklich, konnten wir die Arbeiten hier ausstellen, wenn auch nur für kurze Zeit…», bedankt sich Dominique Salathé und Andreas Bründler fügt an: «Umso wichtiger wäre es, davon dereinst eine Publikation zu haben!» Wir sind gespannt und freuen uns drauf!

Text: Simon Heiniger / Architektur Basel


Quellen:
– Fotos: Simon Heiniger/ Architektur Basel
Luftbild:
– Bundesamt für Landestopografie swisstopo

 

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