Im Herzen der Basler Geschäftswelt steht es nun seit über 60 Jahren wie ein übergrosses Schaufenster. Ein schmales hohes Haus, das mit seinen sechs Stockwerken selbstbewusst die Ecke der Strassenkreuzung Pfluggässlein und Weisse Gasse besetzt. Durch seine perfekte Schlichtheit hat das Gebäude in seinem heterogenen Umfeld eine starke Prägnanz, die sicherlich schon viele Passanten zum Anhalten und Staunen bewegt hat. Die Rede ist vom «Domus Haus». Das Domus Haus wurde 1959 von den Basler Architekten Max Rasser und Tibère Vadi entworfen. Es ist wohl der bekannteste und gleichzeitig bedeutendste Bau im beträchtlichen Werk der beiden Basler Architekten. Auch für die Schweizer Nachkriegsmoderne ist es kein unwichtiges Beispiel. Doch was ist eigentlich die Geschichte dieses Hauses und was verleiht ihm seinen bestechenden und eleganten Charakter? Eine Erklärung mit Hilfe der vitruvianischen Trias Utilitas (Nützlichkeit), Venustas (Schönheit) und Firmitas (Beständigkeit).
Utilitas – Ein Alleskönner
Im Jahre 1958 beauftragte der Bauherr Willhelm Kornfeld das Büro Rasser Vadi Architekten, sein Einrichtungshaus «Kornfeld & Co.» durch einen Neubau zu ersetzen – es war der Grundstein für eines der bedeutendsten Gebäude Basels. So kam das Domus Haus wie eine grosse Vitrine mitten in der Altstadt von Basel zu stehen. Nur ein Jahr später wurde das neue Geschäft «Domus» eröffnet. Auf den unteren drei Stockwerken bot es Platz für den Verkauf von dänischen Einrichtungsgegenständen. Im 3., 4. und 5. Obergeschoss waren Büros und Lagerflächen untergebracht, und im leicht zurückspringenden Attikageschoss befand sich eine kleine Wohnung mit Dachterrasse.
Das Gebäude diente 25 Jahre lang als Wohn- und Geschäftshaus, bis es 1984 vom Basler Architekturbüro Diener & Diener zum Architekturmuseum (AM) umgebaut wurde. Laut dem Museum war die Übernahme die Rettung des Domus Hauses. Ansonsten wäre es wohl abgerissen und den nachkommenden Generationen vorenthalten worden. Die vorhandenen Leichtbauwände im Inneren des Gebäudes wurde komplett ausgeräumt. Danach mussten lediglich die Fassade gereinigt, die Wände gestrichen und die Bodenbeläge ersetzt werden.
Im leicht zurückspringenden Erdgeschoss und im 1. Obergeschoss wurde der vom Museum unabhängige Buchladen «Archigraphy» eingerichtet, im 2. und 3. Obergeschoss waren die Museumsräumlichkeiten mit drehbaren Wänden untergebracht. Einzelne Ausstellungen, zum Beispiel die von Charles Simonds (1987) unter dem Titel «The Three Trees» oder «Architektur Denkform» von Herzog & de Meuron (1988) spielten mit den architektonischen Gegebenheiten wie der gläsernen Fassade oder den Pilotis. So eignete sich die Kunst sowohl den Innen- als auch den Aussenraum auf eine eigene Weise an. Die Aussteller nutzten das Potenzial und die Eigenschaften des übergrossen Schaufensters und dessen Wirkung im städtischen Kontext. Neu wurden die Büroräumlichkeiten in den oberen Geschossen unter anderem vom Bund Schweizer Architekten (BSA) der Sektion Basel gemietet.
2004 zog das Architekturmuseum nach fast 100 Ausstellungen aus seinen Räumlichkeiten im Domus Haus aus und liess sich am heutigen Standort in der Kunsthalle Basel nieder. Im 2. und 3. Obergeschoss mieteten sich dann wieder Firmen ein, beispielsweise das Architekturbüro von Silvia und Reto Gmür. Die Buchhandlung «Archigraphy» verkaufte ihre letzten Bücher vor 3 Jahren und schloss danach ihre Türen. Heute wird das Ladengeschoss von einem Gold- und Silberschmied genutzt.
Venustas – Meisterhafte Eleganz in schwebendem Gleichgewicht
Obschon das Gebäude in seinem Volumen der historischen Parzellierung folgt, beinhaltet es auch wesentliche Merkmale und Errungenschaften der Moderne. So folgt es in seiner Konstruktion den vom Grossmeister Pierre Jeanneret, besser bekannt als Le Corbusier, formulierten «Cinq points de l’architecture moderne». Die tragenden Wände werden durch ein Stützenraster ersetzt. Durch das Weglassen der tragenden Wände sind im Innern freie Grundrisse möglich, und es resultiert eine Art begehbares Regal. Auch der Fassade wird keine tragende Funktion mehr zugeteilt und sie kann somit frei gestaltet werden. Das Resultat ist das sogenannte «Dom-ino» Prinzip.
Rasser und Vadi haben die Fassade jedoch nicht mit Le Corbusiers Bandfenstern gestaltet und ausgeführt, sondern bedienten sich der Ideen einer weiteren Koryphäe der Moderne: Ludwig Mies van der Rohe. Dieser suchte während seines Schaffens nach einer Baukunst seiner Zeit und wurde mit dem Knochen-Haut-Prinzip der Vorhangfassade fündig.
Die Vorhangfassade des Domus Hauses aus Glas und Stahl folgt nicht einem streng geometrischen Raster, sondern einem von Stockwerk zu Stockwerk wechselnden Rhythmus. Die harmonische Komposition der verschieden grossen Felder wird durch die Differenzierung von transparenten und transluziden Gläsern gestärkt. Dieses Wechselspiel erlaubt im Innern gleichzeitig die Belichtung sowie eine Möblierung bis zur Fassade. Die feinen Metallrahmen der Fenster nehmen sich bewusst zurück und betonen so die Flächigkeit der Fassade. Durch die Überlagerung von Reflexion, Spiegelung, Flächigkeit und Einblicken wird das Thema einer dünnen Membrane untermauert und erreicht ein schwebendes Gleichgewicht. Die Grenzen beginnen zu fliessen. Das Äussere wird zum Innern und das Innere zum Äusseren, oder wie Le Corbusier sagt: «Le dehors est toujours un dedans».
Die Symbiose von Struktur, Rhythmisierung, Materialität und den tadellosen Proportionen der einzelnen Elemente verleiht dem Gebäude eine meisterhafte Eleganz. Eine Art scharf geschnittener Kristall im Strassenraum, welcher nicht durch ein auffälliges Volumen besticht, sondern durch seine zurückhaltende Perfektion.
Firmitas – Ein Vorbild für die heutige Nachhaltigkeitsdiskussion
Beton ist böse, Holz die Zukunft – ein Dogma, dass in der heutigen Diskussion über Nachhaltigkeit immer wieder zu hören ist. Betrachten wir diese Doktrin mit dem Fokus auf CO2, ist sie sicherlich richtig. Wenn es um soziale und ökonomische Nachhaltigkeit geht, jedoch nicht immer. Gerade ein Bauwerk wie das Domus Haus, das seit 60 Jahren stolz in der Basler Altstadt steht, zeigt exemplarisch, dass Ökologie nicht das einzige Kriterium für Nachhaltigkeit ist.
Die städtebauliche Setzung folgt respektvoll den Regeln der historischen Stadt. So fügt sich das Gebäude gut in seine heterogene Umgebung ein. Das Tragwerk besitzt eine einfache Betonstruktur aus Stützen und Platten. Das Haus ist daher in seiner Grundrissgestaltung sehr flexibel. In seiner Geschichte hat es mit seiner Struktur das Einrichtungshaus «Domus», das Architekturmuseum und verschiedene Firmen willkommen geheissen. Dies alles war ohne grosse bauliche Eingriffe möglich. Die Fassadenkonstruktion ist losgelöst von der primären Tragstruktur und kann jederzeit unterhalten oder gar ersetzt werden. Die äussere Gestalt des Gebäudes ist zeitlos, elegant und nicht aufdringlich. Ein prägender Ausdruck, der für das Basler Stadtbild identitätsstiftend und daher kaum mehr wegzudenken ist.
Das Domus Haus zeigt uns exemplarisch, wie wichtig eine gute städtebauliche Einbettung ist, wie eine einfache Konstruktion verschiedenste Programme aufnehmen kann, und dass eine leise und klare Gestalt manchmal klangvoller ist, als eine laute und aufdringliche – «Less is More».
Es ist die Reduktion auf das Wesentliche, auf die vitruvianische Trias, die bewirkt, dass dieses Haus sich dem Gewohnten entzieht. Es vermag uns wohl aus diesem Grund immer wieder aufs Neue zu berühren.
Autor: Noé Schwaller
Dieser Text ist in einer Schreibwerkstatt am Institut Architektur der FHNW in Muttenz entstanden.
Domus Haus
Max Rasser und Tibère Vadi – Rasser Vadi Architekten Basel
Pfluggässlein 3, 4051 Basel
Entwurf: 1958
Bezug: 1959
Textquellen:
– werk, bauen und wohnen 1960 Heft 12
– werk, bauen und wohnen 2002 Heft 7/8
– Basler Stadtbuch 1984
– S AM Schweizerisches Architekturmuseum
– Maria Conen – Die Auflösung der Mauer (Masterthesis ETH 2010)