Die B-Seite von Diener & Diener

0

Oft sind es die Songs auf der B-Seite, die einen nachhaltigeren Eindruck hinterlassen. Abseits des radiotauglichen Mainstreams findet man dort die eindringlicheren, mutigeren, vielleicht radikaleren Musikstücke. Man denke an «Inner City Blues» von Marvin Gaye oder «God only knows» von den Beach Boys. Es gäbe unzählige weitere Beispiele. In der Architektur von einer B-Seite zu sprechen, mag gewagt sein. Dennoch gibt es Projekte, die nicht oder kaum publiziert sind. Bis hin zu den Bauten, die auf der Werkliste bewusst nicht auftauchen. Man könnte von verschwiegenen Projekten sprechen. Unser Redaktor Lukas Gruntz widmet sich in seinem Artikel der besonderen Basler B-Seite von Diener & Diener Architekten.

Landskronstrasse
Sie tauchen weder in der grossen Monografie aus dem Jahre 2011 noch auf der Webseite des Architekturbüros auf. Ebenso wenig findet man sie in Architekturzeitschriften. Die Projekte der B-Seite. Das erste treffe ich an der Elsässerstrasse im St. Johann an. Ich stehe an der Ecke zur Landskronstrasse. Der rot eingefärbte Beton springt sofort ins Auge. Das Haus verhandelt die Frage der Ecke des gründerzeitlichen Blockrands.

© Architektur Basel

Es ist die kleine Schwester des vielfach publizierten Eckhauses am Barfüsserplatz – dort in gelbem Beton. Im Erdgeschoss befindet sich heute eine etwas schmuddelige Bar, das «Bistro Munarts». Darüber befinden sich vier Obergeschosse, die als Dreispänner organisiert sind. Die Fassaden sind mit liegenden, geteilten Fenstern rational gegliedert. Die langen Fenster im Erdgeschoss markieren den Sockel. «Auf diese Weise formuliert die Architektur mit einfachen Mitteln den städtischen Charakter dieses Wohn- und Geschäftshauses», lese ich im Buch «Wohnungsbau», das 2020 erschien. Tatsächlich fügt sich das Haus selbstverständlich in den Kontext. Es verfügt über eine unaufgeregte Präsenz.

© Architektur Basel

Hochbergerstrasse
Wir fahren ins Kleinbasel. Direkt neben dem Stücki Einkaufszentrum, das ebenfalls aus der Feder von Diener & Diener stammt, befindet sich ein Mehrfamilienhaus, dass durch seine banale Architektur besticht – und gleichzeitig irritiert. Wie maximal spröde kann ein Haus sein? Fertiggestellt 2002 erinnert seine absolute Rationalität samt ihrer hermetisch geschlossenen Stirnfassade an die 1960er-Jahre. Typologisch handelt es sich um die Addition dreier Zweispänner, die beidseitig über eine durchlaufende Balkonschicht verfügen.

© Architektur Basel

«Die architektonische Sprache ist gleichsam minimal und wirksam, nahe einem degré zéro der Architektur», beschrieb Martin Steinmann in «Wohnungsbau» das Mehrfamilienhaus. Dass man 2002 ein derart nüchternes Haus bauen konnte, erstaunt – und fordert heraus. Die besondere Qualität findet sich im Grundriss: Die Wohnungen organisieren sich rund um eine zentrale Wohnhalle. Quadratmeter wird keiner verschwendet. Die Typologie ist die pure Stringenz.

© Architektur Basel

Schönaustrasse
Südlich der Wiese stehen wir an der Schönaustrasse. Hier befinden sich beidseits B-Bauten von Diener & Diener, das 2002 fertiggestellte «Apartmenthaus» und das Hotel Dorint, erbaut 2004. Man sieht eine schlichte Lochfassade, wenige, stehende Fensterformate, weisser Aussenputz. Der Sockel ist mit Platten aus Beton verkleidet. Dreissig Wohnungen finden darin Platz. «Da die Schönaustrasse etwas abfällt, zeichnen sich seine Teile durch eine geringe vertikale Versetzung der Fenster ab.» Die einflügligen Kippfenster verfügen nur über eine minimale Leibung, was die flächige Wirkung der Fassade unterstützt. Der Dachrand besteht aus einem ganz leicht vorstehenden Betongesims.

© Architektur Basel

Für die Entwicklung der Grundrisse war der Lärmschutz massgebend: Die Schönaustrasse ist vielbefahren, darum haben die Architekten die Treppen, die Bäder und die Wohnküchen auf dieser Seite angeordnet. Die Wohnküchen sind zu den Wohnzimmern hin offen, sodass die 2,5- und 3,5-Zimmer­ Wohnungen Sonne erhalten, obschon sie sich hauptsächlich nach Norden auf den Hof richten. An der Schönaustrasse folgen sich gleiche Fenster und geben dem Apartmenthaus einen recht verschlossenen Ausdruck. «Damit antwortet seine Fassade auf das gegenüberliegende Hotel, das ebenfalls von Diener & Diener entworfen wurde.» Dort sind die Fensterformate jedoch liegend. Die Horizontale wird dadurch akzentuiert. Ebenso sind die Leibungen etwas tiefer; die Fensterbank ist aus Beton. Der Diener’sche Dialog über die Strasse ist einzigartig.

© Architektur Basel

Isteinerstrasse
Weiter geht es im Hinterhof. Durch einen schmalen Durchgang an der Isteinerstrasse gelangt man in den Hinterhof, der sich südlich des Hotels befindet. Hier haben Diener & Diener zwischen 1997 und 2003 eine Zeile mit dreigeschossigen Reihenhäusern realisiert. Die einfachen Fassaden mit leicht versetzten Fenstern erinnert an das Grossprojekt in Den Haag. Hier ist die Fassade jedoch in Sichtbeton und nicht in Backstein ausformuliert.

© Architektur Basel

Interessant ist der Übergang von der öffentlichen Strasse im Hof zu den privaten Hauszugängen. Zwei Stufen nach unten versetzt befindet sich ein schlichter Vorbereich. Dazwischen wachsen Bäume und Hecken. Dieser entspannte Umgang mit dem Übergang vom Öffentlichen ins Private ist bemerkenswert – und hat ebenfalls etwas Holländisches an sich. Funktionieren tut die Lösung auch nach zwanzig Jahren bestens, wie der Augenschein vor Ort beweist. Ebenso gelungen ist der von Künzel Landschaftsarchitekten bewusst naturnah gestaltete Garten zum Hotel hin. Eine grüne Oase im tiefsten Kleinbasel.

© Architektur Basel

Allschwilerstrasse
Das letzte Projekt auf der B-Seite ist längst ein heimlicher Klassiker. Der Bau reiht sich in die «Basler Lieblingshäuser» ein. Er befindet sich an der Allschwilerstrasse. Das Haus zeichnet sich durch seine gestapelten Typologie und die ikonografische, seitliche Treppenanlage aus. Das Wohnhaus steht am Einschnitt der Bahnlinie, die ins Elsass führt. Die Typologie ist einzigartig: Es handelt sich um eine Montage aus zwei sehr verschiedenen Wohntypen. Die unteren drei Geschosse über dem Sockel weisen beidseits der Treppe, die an der Fassade liegt, je eine Wohnung auf.

© Architektur Basel

Die Balkone nehmen ihre ganze Breite ein. «Die Verglasungen hinter den Balkonen verlaufen entsprechend der westlichen Grundstücksgrenze leicht schräg zur Fassade, was von aussen einen schwankenden Eindruck hervorruft.» Darüber aufgereiht befinden sich die zweigeschossigen Maisonettewohnungen. Die typologische Montage zeichnet sich im Ausdruck ab: Die zwei Typologien bilden sich in der Fassade durch unterschiedliche architektonische Register ab, die das Wohnhaus als Stapelung von zwei Körpern erscheinen lassen. Dabei schaffen die horizontalen Löcher der Balkone unten einen spannungsvollen Kontrast zu den darüberliegenden, vertikalen, zweigeschossigen Fenster. Eine gekonnte Komposition.

Alltagsbauten
«Es ist eine Architektur, die aussieht, als sei sie schon immer da gewesen, so sehr ist sie Teil unseres Alltags. Der gewöhnliche und mit Absicht banale Ausdruck von manchen der Wohnbauten der 1980er- und 1990er-Jahre muss nicht mehr nachgewiesen werden», beschreibt Bruno Marchand die Qualitäten der B-Seite. Alles banal? Im Architekturdiskurs wird die Banalität allgemein negativ konnotiert. In Zeiten, wo Bauten laut schreiend «instagramable» sein wollen, ist es vielleicht gerade diese banale Stummheit, die der Diener’schen Haltung nach wie vor Relevanz verleiht. “If you should ever leave me. Though life would still go on believe me”, singen die Beach Boys. Es sind die unscheinbaren, leisen Beiträge zur Basler Baukultur, die das Schaffen von Diener & Diener bis heute wertvoll machen. Alltagsbauten im besten Sinne. Das Leben geht weiter. Die Bauten bleiben.

Text und Fotos: Lukas Gruntz / Architektur Basel


Auswahl der Bauten von Diener & Diener

  • Wohnhaus Allschwilerstrasse, 1984-1986
  • Wohnhaus Hochbergerstrasse, 1993-2002
  • Wohn- und Geschäftshaus Elsässerstrasse, 1996-1997
  • Apartmenthaus Schönaustrasse, 1996-2002
  • Reihenhäuser, Isteinerstrasse, 1997-2003
  • Dorint Hotel, Schönaustrasse, 2000-2004

Literatur

  • Diener & Diener Architekten – Wohnungsbau, Alexandre Aviolat, Bruno Marchand, Martin Steinmann, Park Books, Zürich, 2020.

 

 

 

Comments are closed.