Die Überbauung in der Au in Therwil, erbaut von 1968 bis 1971, ist eine reizvolle Siedlung aus der Nachkriegszeit: in ruhiger Lage im Grünen gelegen, 66 Reiheneinfamilienhäuser im Eigentum und vier Mehrfamilienhäuser mit Miet- und Eigentumswohnungen. Die Siedlung der Architekten Robert Ehrenberg, Martin Kernen und Heinz Schwab ist mit architektonischem Anspruch entstanden und bietet Wohnraum mit hoher Lebensqualität. Seit einiger Zeit fühlen sich manche der Bewohner:innen aber nicht mehr so wohl wie früher. Sie wohnen seit langem hier, manche seit bald 50 Jahren, und sie beobachten die jüngsten baulichen und sozialen Veränderungen in ihrer Siedlung mit immer grösserer Sorge.
Bei den Reiheneinfamilienhäusern werden insbesondere nach Eigentumswechseln immer wieder Türen und Fenster durch neue Modelle ausgetauscht, die dem individuellen Geschmack der neuen Besitzer entsprechen, aber zur ursprünglichen Gestaltung der Fassaden nicht immer gut passen. Die originalen Gartenabtrennungen aus rotem Backstein werden gelegentlich durch Zäune ersetzt, die vielleicht pflegeleichter sein mögen, aber die Einheitlichkeit und Ruhe des Gesamtbildes beeinträchtigen. Ausserdem werden die einzelnen Gärten durch zusätzlich aufgestellte Trennwände immer stärker voneinander isoliert. Eines der Mehrfamilienhäuser wurde umfassend saniert und mit grösseren Balkonen ergänzt. Diese Veränderungen, die die jeweiligen Hauseigetümer:innen sicher in bester Absicht unternehmen, stören nach und nach das einheitliche Erscheinungsbild der Siedlung. Manchmal sind es bloss kleine Details, die aber entscheidende Folgen für das architektonische Gesamtbild und die Wohnqualität haben.
Auch die Gemeinschaftsorte der Siedlung haben sich sehr verändert. Die Idee der Bauzeit war es, durch die sogenannte «differenzierter Bauweise» mit unterschiedlichen Wohnhaustypen unterschiedliche Bevölkerungs- und Einkommensschichten anzusprechen und so eine sozial durchmischte Bewohnerschaft sicherzustellen. Die grosszügigen, weitgehend verkehrsfreien Grünräume, Spielwiesen und -plätze, die sich zwischen den Bauten auftun, sollten ebenso wie das in der Südostecke der Überbauung gelegene Schwimmbad als Gemeinschafts- und Begegnungsräume dienen. In der Anfangszeit schien dieses Siedlungskonzept auch gut aufzugehen, und es konnte sich – wie langjährige Bewohnerinnen und Bewohner erzählen – eine funktionierende Siedlungsgemeinschaft bilden. Heute sieht die Realität leider anders aus: So ist das Schwimmbad, in dem sich früher alle treffen konnten, inzwischen leer und verbarrikadiert. Ebenso werden die grosszügigen Gemeinschaftsflächen im Aussenraum kaum noch genutzt, lieber bleiben die Bewohner:innen in ihrem Privatgarten oder auf ihrem Balkon.
All diese Veränderungen haben einige Bewohner:innen dazu bewogen, sich zu einer kleinen Gruppe zusammenzuschliessen, um weitere problematische Entwicklungen zu verhindern und dadurch nicht nur das Lebens- und Gemeinschaftsgefühl der Siedlung zu bewahren, sondern auch für die architekturhistorische Bedeutung der Überbauung in der Au einzutreten. Mit ihrem Anliegen und der Bitte um Vermittlungshilfe kontaktierten sie im Sommer 2022 Harald R. Stühlinger. Er ist Professor für Architektur-, Bau- und Städtebaugeschichte am Institut Architektur an der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) und leitet dort ein Forschungsprojekt mit dem Titel «Baukulturen der Schweiz 1945–1975». Das Team von drei Forscher:innen – die Autor:innen des vorliegenden Artikels – untersucht in dem vom SNF geförderten Projekt die Baukultur der Nachkriegszeit, deren Qualitäten sowohl seitens der Architekturforschung als auch von der Öffentlichkeit oft noch nicht angemessen gewürdigt werden. Ziel des Forschungsprojekts ist es, ein umfassendes Verständnis der Baukultur auch der weniger bekannten Architekturschaffenden in dieser Zeit zu befördern. Somit stiessen die Bewohner:innen der Siedlung bei den Forscher:innen auf reges Interesse, denn Siedlungen wie diese stehen neben anderen Bauprojekten im Fokus ihrer Untersuchungen.
Zuvor war es den engagierten Bewohner:innen schwer gefallen, mit ihrem Anliegen Gehör zu finden. Das liegt vor allem daran, dass der Sachverhalt komplex ist und die institutionellen Zuständigkeiten von aussen nicht unmittelbar nachvollziehbar sind. Die Denkmalpflege des Kantons Basel-Land erkennt in der Siedlung architekturhistorische und sozialgeschichtliche Werte und hat sie deshalb mit dem Prädikat «kommunal zu schützen» ins kantonale Bauinventar aufgenommen. Dieses hat jedoch als Hinweisinventar nur eine begrenzte rechtliche Wirkung und überträgt die Verantwortung auf die Gemeinde Therwil. Diese führt derzeit eine Nutzungsplanrevision durch, bei der unter anderem evaluiert wird, ob die Siedlung und mit ihr weitere Bauten in der gleichen unklaren Lage in Zukunft tatsächlich kommunal geschützt werden. Da dieser Prozess noch nicht abgeschlossen ist, fehlen sowohl der kantonalen Denkmalpflege als auch der Gemeinde die rechtliche Handhabe. Aber selbst wenn die Überbauung in der Au nach der erwähnten Nutzungsplanrevision als Denkmal unter kommunalen Schutz gestellt würde, wäre das Problem nur teilweise gelöst, denn die Gemeinde könnte nur solche Eingriffe begleiten oder verhindern, die eines Baugesuchs bedürfen. Veränderungen, wie etwa der Austausch einer Wohnungstür, gehören jedoch nicht dazu. Benötigt werden also konkrete bauliche Richtlinien, an die sich alle Hauseigentümer:innen halten, oder die Einrichtung einer siedlungsinternen Kommission, die geplante Bauvorhaben prüft und die Bauherr:innen berät. Andere vergleichbare Siedlungen, wie die allbekannte Siedlung Halen in Kirchlindach (BE), die Siedlung Bleiche in Worb (BE) oder die Siedlung im Lee in Arlesheim (BL), konnten solche Initiativen bereits umsetzen. Diese sind allesamt von der Bewohnerschaft und den jeweiligen Denkmalpflegefachstellen gemeinsam erarbeitet worden. Dabei muss ein Konsens zwischen Bewohner:innen und Fachleuten gefunden und ein gemeinsames Verständnis über die architektonischen und historischen Qualitäten aufgebaut werden – Prozesse, die häufig lange dauern und konfliktgeladen sein können, sich aber am Ende lohnen. So können Zeugnisse der Baukultur der Nachkriegszeit in einem guten Zustand erhalten bleiben und an aktuelle Bedürfnisse angepasst werden – aber mehr noch, es zeigt sich auch, dass die Gemeinschaft innerhalb der Siedlung durch solche Prozesse gestärkt wird. Man lernt sich kennen, trägt Konflikte aus, löst diese und schafft ein neues Gemeinschaftsbewusstsein.
Wie geht es nun weiter in Therwil? Im Rahmen einer Lehrveranstaltung besuchten Studierende im Master Architektur der FHNW die Siedlung. Sie konnten sich mit deren Baukultur vertraut machen und mit den Bewohner:innen über mögliche Zukunftsstrategien diskutieren. Anschliessend wurde am Campus der FHNW in Muttenz ein Podiumsgespräch organisiert, bei dem die engagierte Eigentümer- und Bewohnerschaft erstmals – auf neutralen Boden und im geschützten Rahmen einer Hochschulveranstaltung – mit Vertreter:innen der Gemeinde, der Denkmalpflege und des Heimatschutzes zusammen mit den Studierenden über die Zukunft der Überbauung in der Au diskutierten. Eines wurde dabei deutlich: Alle sind überzeugt von den baulichen Qualitäten der Siedlung und wollen diese im Rahmen ihrer Möglichkeiten bewahren. Dieser offene Austausch war ein erster Schritt, um die Situation in Therwil zu verbessern. Die Bewohner:innen werden nun mit den weiteren, teils neu dazugezogenen Eigentümer:innen, in den Dialog treten müssen, um eine von allen getragene Vision der Zukunft für die Nachkriegssiedlung zu erarbeiten. Dafür brauchen sie die aktive fachliche Unterstützung von Gemeinde, kantonaler Denkmalpflege und dem Baselbieter Heimatschutz. Das ist eine schwierige Aufgabe, die mit vereinten Kräften aber durchaus gelingen kann.
Text: Anne-Catherine Schröter, Christina Haas, Torsten Korte
Dieser Text entspringt der Recherche im Rahmen des Forschungsprojekts «Baukulturen der Schweiz 1945–1975», das von Prof. Dr. Harald R. Stühlinger an der FHNW geleitet wird. Weitere Infos dazu hier > Baukulturen der Schweiz 1945–1975. Kontexte – Strategien – Perspektiven