Ende 2019 meldete der Basler Denkmalrat Widerspruch an. Er beantragte beim Regierungsrat die Unterschutzstellung dreier Bauten der Roche. Zwei davon würden der Neubebauung des Südareals nach Plänen von Herzog & de Meuron zum Opfer fallen. Der Denkmalrat widersprach damit offenkundig den Plänen des Pharmakonzerns. Ratspräsident Eugen Krieger sagte damals: „Nach eingehender Beratung auf Grundlage von architektonischen Gutachten und einer Besichtigung vor Ort beantragt der Denkmalrat beim Vorsteher des Bau- und Verkehrsdepartements die Einleitung von Unterschutzstellungsverfahren für drei Bauten von Otto Rudolf Salvisberg und Roland Rohn.“ Eineinhalb Jahre später hat das keine Gültigkeit mehr. Der Denkmalrat entschied auf Antrag der Denkmalpflege “auf die Unterschutzstellung der Bauten 27 und 52 zu verzichten und diese aus dem Inventar zu entlassen.” Bedeutende Baukultur wird damit zum Abbruch freigegeben. Wie kam es zu diesem unerwarteten Rückzieher? Wir nennen zwei mögliche Gründe.
1. Die Roche hat clever taktiert
Der Pharmakonzern versteht das politische Handwerk. Gekonnt skizzierte er der Denkmalpflege einen Ausweg aus der verfahrenen Situation. Als Entgegenkommen für die Inventar-Entlassung von Bau 27 und 52 wurden für das das Verwaltungsgebäude von Otto Rudolf Salvisberg (Bau 21), dessen Produktionsgebäude (Bau 29) und das „Personalhaus“ von Roland Rohn (Bau 67) Schutzverträge in Aussicht gestellt. Wobei ein Schutzvertrag nicht mit einer generellen Unterschutzstellung verwechselt werden darf, handelt es sich dabei um einen spezifischen “Denkmalschutz light”, der Spielraum für künftige Veränderungen offenlässt. “Damit konnte eine ausgewogene und umsetzbare Einigung über den Schutz von historisch und architektonisch wertvollen Bauten auf dem Roche-Areal gefunden werden und wichtige Zeugen der Industrie- und Architekturgeschichte bleiben erhalten”, schreibt der Kanton in einer Medienmitteilung. Eine einvernehmliche Lösung, ein gutschweizerischer Kompromiss, der alle Beteiligten ein Stück weit als Gewinner dastehen lässt? Verlierer sind die Basler Baukultur, die zwei wichtige Baudenkmälder verliert – und die Ökologie: Mit dem Abbruch wird eine 36 Kilometer lange Lastwagenkolonne an Baumaterial vernichtet, wie Barbara Buser in unserem Podcast vorrechnete.
2. Die Frage der Schutzfähigkeit wurde priorisiert
Nachdem der Denkmalrat im Jahre 2019 auf Grundlage der denkmalpflegerischen Beurteilung die “Schutzwürdigkeit” der Bauten mit einem klaren «Ja» beantwortet hatte, wurde seitens Roche die Frage der “Schutzfähigkeit” in den Vordergrund gerückt, womit in erster Linie die Verhältnismässigkeit der bautechnischen und ökonomischen Aspekte beurteilt wird. Was durchaus seine Richtigkeit hat, ist in einem zeitgenössischen Verständnis von Denkmalpflege jedoch ein integraler Bestandteil. Mit dem Fokus auf die “Schutzfähigkeit” geriet der kulturelle Aspekt in den Hintergrund. Dorothee Huber fasste die Problematik dieser Betrachtung vergangenen Herbst an einem Podium treffend zusammen: “Die rein technische Betrachtung ist unzulänglich. Dann ist das historische Gebäude immer auf der schlechten Seite.“ Ein ingenieurtechnisches Gutachten besagte letztlich, dass die “Schutzfähigkeit” der Bauten nicht gegeben sei. Der einjährige Prozess wurde “von einem Bundesexperten sowie weiteren Fachleuten” begleitet, schreibt der Kanton. Daniel Schneller, Leiter der Denkmalpflege, fasste das Resultat der Untersuchung folgendermassen zusammen: “Nur die Betonkerne könnten erhalten werden. Fassaden und Ausstattung müssten komplett rekonstruiert werden. Das wäre zwar machbar, aber es ist unverhältnismässig.” Wobei es gute Beispiel gäbe, wie das gemacht werden kann: Beispielsweise beim ehemaligen Felix Platter-Spital oder bei der First Church of Christ Scientist (ebenfalls von Roche-Architekt Salvisberg), wo trotz vergleichbaren Herausforderungen der Erhalt offensichtlich «verhältnismässig» war. War am Ende alles eine Frage der Verhältnismässigkeit? Das Gutachten zur Schutzfähigkeit legte den Grundstein für die Entlassung der Bauten aus dem Inventar. Der Entscheid bedeutet: Schutzfähigkeit vor Schutzwürdigkeit.
Was bleibt?
Ein fahler Beigeschmack – und die Erwartung der politischen Debatte: Denn der demokratische Prozess steht noch an. Im regierungsrätlichen Ratschlag zum Bebauungsplan, der vom Grossen Rat verabschiedet werden muss, wird die Frage des Denkmalschutzes noch einmal diskutiert und begründet werden müssen. Ob der Heimatschutz seinerseits Widerstand leisten wird, liess Obmann Christof Wamister auf Anfrage von Architektur Basel offen. Man sei am Abwägen verschiedener Optionen. Auch die Arbeitsgruppe Tabula Rasa, die sich mit einer vielbeachteten Online-Petition gegen den Abbruch der Bauten eingesetzt hat, prüft weitere Schritte. Säbelrasseln? Ob sich im Stadtkanton jemand gegen die wirtschaftlichen Interessen der Roche stellen wird, bleibt fraglich. Der Denkmalrat wird es nicht (mehr) sein.
Text: Lukas Gruntz / Architektur Basel