Der Ofen ist aus! Offener Brief an Luca Selva

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Lieber Luca, der Ofen ist aus!

Am Abend des Gründonnerstages gab es bei «Da Gianni» die letzte Pizza. Was vor acht Jahren noch unvorstellbar schien, ist nun eingetreten, mit einer Symbolkraft, die mich umwirft. Nach einem vorgängigen abgelehnten und deinem erfolgreichen Baugesuch und trotz grossen Widerstands, ist es nun so weit: Luca, du kannst bauen! Aber erst musst du abreissen.

Das «Da Gianni» durch den Torbogen des Johannitertors… © Norma Tollmann

Mich treibt schon länger die Frage um: «Darfst du das?»
Mein Kollege sagt: «Ja, sonst baut es jemand anders.» Ich widerspreche. Er entschuldigt dich: «Norma, das ist eine andere Generation.» Ich frage mich, entschuldigt dich das? Die Architekturstudent:innen der Schule in Muttenz fragen, ob Architektur politisch ist. Ich sage ihnen, dass Architektur immer auch politisch ist. Du warst auch mal Schüler. Was haben deine Lehrer dir gesagt? Du warst in Muttenz Lehrer. Was hast du deinen Schülern erzählt? Du hast ihnen später in einem Interview geraten: «Kümmert euch ums Ganze!». Wie meinst du das?

Im Netz suche ich nach Informationen zu deinem Abbruch- und Neubauprojekt eines Wohn- und Geschäftshauses an der Elsässerstrasse 1-3. Ein fünfgeschossiges Eckhaus mit Attikageschoss und Dachterrasse hast du geplant, gelegen am St. Johanns-Platz, gegenüber des St. Johanns-Parks mit Blick auf Rhein und Johannitertor. Deine Bauherr:in ist eine Zürcher Immobilienfirma, SF Urban Properties AG. Sie nennt dein Projekt «Maison Johann – Alles was das Leben ausmacht». Das verstehe ich nicht. Was macht das Leben aus?

«Langfristig geschlossen» © Norma Tollmann

Sie schreibt: «Schön wohnen im Maison Johann in Basel? In diesem augenfälligen, von Luca Selva Architekten entworfenen Eckhaus mit prominentem Erker an der Elsässerstrasse lässt es sich gut leben. Hier entstehen 14 Eigentumswohnungen (…)» Auf deiner Webseite heisst es: «Das neue Eckgebäude mit einem öffentlichen Erdgeschoss (…) an einer gründerzeitlichen Ecksituation im St. Johann-Quartier an der Ecke zum St.-Johanns-Platz thematisiert mit seiner harten mineralischen Fassade und vertikalen Fassadenöffnung die Fassadentypologie des Quartiers. Die subtil entwickelte Volumetrie mit den präzis gesetzten Reliefs der Fassaden trägt die Identität des Ortes weiter.» Auch das verstehe ich nicht. Was heisst Identität für dich?

Ich verstehe; Eine Zürcher Immobilienfirma beauftragt einen anerkannten Basler Architekten direkt mit dem Abbruch eines gründerzeitlichen Eckgebäudes, dessen einziger Makel ist, dass es die Parzelle an schöner Lage nicht ausreichend ausnutzt – nur zwei Voll- und ein Dachgeschoss. Sie beauftragt ihn mit der Fällung dreier alter Kastanienbäume auf dem Grundstück und mit der Planung eines Ersatzneubaus, der unter Inanspruchnahme aller baugesetzlich erlaubten Zusatzvolumen vor der Baulinien, die Parzelle maximal ausnutzt, um mit der maximal möglichen Bruttogeschossfläche die maximal möglichen finanziellen Gewinne abzuschöpfen.

Der Anfang vom Ende: Das Gerüst umarmt das «Da Gianni» unheilvoll © Architektur Basel

Dass der Bestand, wenn überhaupt sanierungsbedürftig, aber auf keinen Fall eines Abbruchs bedurfte, war nicht ausschlaggebend. Dass die Mieter:in, das im Quartier und über dessen Grenzen hinaus, beliebte Restaurant «Da Gianni» war, eine italienische Beiz für die Menschen aus dem St.-Johann und den umliegenden Quartieren und Gemeinden, die Wohlhabende, die Normalverdienende, für Familien, Paare, Einzelne, Freundeskreise, das Messepublikum und viele Mittagstischgäste, im Winter, im Sommer, war nicht von Interesse.

Nach 27 Jahren Schluss, aus, basta, Ofen aus! Der Mietertrag zu gering, um damit Geld zu verdienen. Dem Widerstand des Mieterverbands und des Quartiervereins wurde zwar Gehör geschenkt, er blieb jedoch seitens der Regierung und ihrer Behörden, sowie des Grundeigentümers ohne Konsequenz. Die Bedenken wurden einfach übergangen. Stattdessen kommen nun 14 Eigentumswohnungen, die günstigeren kosten 1.4 Millionen Franken. 14 Wohnungen, die den Bedarf an preisgünstigem Wohnraum in Basel nicht verringern, sondern 14 privilegierten Mieter:innen ein zu Hause sein werden oder ihnen nur als Immobilie dienen.

Mineralischer Neubau: Das «maison johann» von Luca Selva Architekten © smeyers AG

Lieber Luca, ich frage mich, ob du als ehemaliger Lehrer der Architekturschule in Muttenz nicht eine Vorbildfunktion innehast. Ich frage dich, ob wir als Architekten nicht immer auch eine politische Verantwortung haben. In deinem Gespräch mit Patrick Gmür, dass du in deinem Buch «Über Raum und Räume» publiziert hast, hältst du fest, dass man die grundsätzlichen Fragen nicht vergessen dürfe und fragst: «Was ist die übergeordnete Qualität? Was ist der Beitrag an die Stadt? (…) Was machen wir für die Gesellschaft?» Nun würde ich gern dir diese drei Fragen stellen. Die «subtil entwickelte Volumetrie mit den präzis gesetzten Reliefs der Fassaden», die «die Identität des Ortes» weitertragen, ist es wohl nicht, die 14 hochpreisigen Eigentumswohnungen auch nicht. Was ist denn dein Beitrag für die Gesellschaft, was ist die übergeordnete Qualität des «Maison Johann»? Und warum?

Ich glaube, es entschuldigt dich nicht, dass du «einer anderen Generation» angehörst. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass du dieser angehören möchtest. «Meine Generation» und die heranwachsenden jungen Architekt:innen, machen für dich die gleichen hohen Ansprüche geltend und messen dich mit gleichen Mass, wie sich selbst. Salvatore, Guiseppe, Piero, Luciano, das ganze Team und die anwesenden Gäste, waren am Gründonnerstag, am letzten Abend vor der Schliessung des legendären «Da Gianni» im St.-Johann, vereint in festlicher Traurigkeit. Architektur ist nicht nur immer politisch, sondern auch immer persönlich!

Ich würde mich freuen von dir zu lesen,

mit freundlichem Gruss,
Norma


Text: Norma Tollmann, Architektin, Basel

> HIER geht’s zur Antwort von Luca Selva

Terrasse mit Blick aufs Johannitertor im «maison johann» © smeyers AG

weitere Infos zum Neubauprojekt unter > www.maison-johann.ch

 

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