Der vierte und letzte Teil des Monatsinterviews ist dem Rückblick gewidmet. Wir reden über die 26 Jahre, die Dorothee Huber als Professorin für Architekturgeschichte an der FHNW gelehrt und viele Studierende geprägt hat. Sie schätzte die besondere Atmosphäre in Muttenz: «An der Fachhochschule war man da immer sehr nahe dran an den Projekten. Das fand ich von Anfang an toll.» Ein Gespräch über die Lehre, Michael Alder und die Studienreform.
Céline Dietziker (Architektur Basel): Du bist in einer Familie aufgewachsen, in der Architektur eine wichtige Rolle spielte. Inwiefern hat dich das beeinflusst?
Dorothee Huber: «Architektur war tatsächlich Gesprächsstoff zu Hause. Wir sind in den mittleren 1950er-Jahren in ein neu bebautes Einfamilienhausquartier in Oberwil gezogen. Während Spaziergängen durchs Quartier haben wir darüber diskutiert, ob das jetzt gute Häuser seien – oder nicht. Ob zum Beispiel der Giebel parallel zum Hang oder senkrecht zum Hang besser positioniert sei. Über solche Dinge haben wir gesprochen.»
Und wie kam es dazu, dass du Kunsthistorikerin werden wolltest?
«Am Ende meiner Schulzeit, so um die Matur herum, hatte ich keine Ahnung, was ich studieren wollte. Ich dachte daran, Zeichnungslehrerin zu werden. Ich wäre auch gerne Biologin geworden. Ich war ziemlich offen – und dann bin ich irgendwann bei der Kunstgeschichte gelandet, kombiniert mit Altphilologie und Philosophie. Das ist aber überhaupt nicht gelungen, denn ich war komplett unvorbereitet und konnte nirgendwo anknüpfen. Am Schluss wurde es Kunstgeschichte im Hauptfach und deutsche Literaturgeschichte und Geschichte des Mittelalters. Die Kunstgeschichte hat sich im zweiten Studienjahr als mein Hauptinteresse herausgestellt und ergänzend dazu fand ich die deutsche Literaturwissenschaft für die Neuzeit und Geschichte für das Mittelalter passend.»
«Ich war schon 1962 in der Louisiana in Kopenhagen. Das hat mich zutiefst beeindruckt.»
Glaubst du, dass deine Familie, also auch dass du mit dem Thema der Architektur aufgewachsen bist, deine Studienwahl beeinflusst hat?
«Ja, ich glaube schon. Wir sind viel gereist. Wir haben die französischen Kathedralen angeschaut. Immer wenn wir unterwegs waren, haben wir historische Bauwerke und Museen besucht. Ich war schon 1962 in der Louisiana in Kopenhagen. Das hat mich zutiefst beeindruckt.»
Wir kennen uns von der Fachhochschule, wo ich das Glück hatte, deine Vorlesung besuchen zu dürfen. Was hat dich Anfang der 1990er-Jahre nach Muttenz geführt?
«Nach einer Vernissage im Architekturmuseum bin ich mit einigen Besuchern zu einem Abendessen in die Kunsthalle. Und da hat mich Michael Alder ziemlich unvermittelt gefragt, ob ich nicht Lust hätte, an die Fachhochschule zu kommen. Da war aber noch Peter Althaus Dozent – das gab dann eine gewisse Reibung. Letztlich führte es dazu, dass ich Architekturgeschichte übernommen habe, als Fach, das es so vorher nicht gegeben hatte. Das war vorher eher breit gefasst, in Form von Kulturgeschichte. So konnte ich ergänzend Architekturgeschichte anbieten.»
Michael Alder war damals eine prägende Figur in der Basler Architekturlandschaft. Was war deine erste Reaktion, als er dich angefragt hat?
«Das hat mich auf Anhieb begeistert, umso mehr als ich bei den Studierenden bald eine gute Resonanz verspürt habe. Das hat mich natürlich beflügelt. Und dann hat mir sogleich auch die Nähe zur praktischen Architektur gefallen. An der ETH wäre ich viel weiter weg von der Entwurfsarbeit gewesen. An der Fachhochschule war man da immer sehr nahe dran an den Projekten. Das fand ich von Anfang an toll.»
«Ich habe immer versucht, die Studierenden zum Schreiben zu bringen. Weil das für mich ein besonderer Vorgang der Reflexion ist.»
Du hast während 26 Jahren mehrere Generationen von Architekturstudierenden unterrichtet. Du hast dabei, vor allem zu Beginn, die Entwicklung von Hochbauzeichnern zu Architekten begleitet. Was für eine Entwicklung hast du bei den werdenden Architekten beobachtet und was wolltest du ihnen auf den Weg mitgeben?
«Das war tatsächlich so. In den Anfängen waren alle Hochbauzeichner. Das hat mir sehr gefallen, weil die unglaublich wissbegierig waren. Das waren junge Leute, die mit einer gewissen Anstrengung den Weg in das damalige Technikum gemacht haben. Das war damals nicht der übliche Weg, dass man nach der Hochbauzeichnerlehre noch ans Technikum gegangen ist, sondern wirklich etwas Besonderes. Die haben sich sehr angestrengt und waren auch ein bisschen stolz, dass sie an diese Schule gehen durften. Sie waren unglaublich neugierig, haben dankbar aufgenommen und auch gerne die Diskussion gesucht. Das war auffallend. Gewisse Studierende waren mit mir zum ersten Mal in einem Museum. Das war wunderbar. Man konnte diesen jungen Menschen wirklich Welten eröffnen. Das hat sich dann etwas verändert, als sich der Weg in die Fachhochschule normalisiert hat. In Zusammenhang mit der Berufsmatura wurde das später fast der gängige Weg. Damit ist auch eine gewisse Verschulung eingetreten. Das hat sich im ersten Studienjahr etwa in Fragen geäussert wie: «Muss ich das machen?» Da haben sicherlich einige erlebt, wie ich dann ein bisschen gereizt war. Ich sagte dann jeweils: Hier muss man eigentlich überhaupt nichts, hier darf man alles und es ist eine grosse Gunst, reine Freude und ein grosses Vergnügen, dass man das darf.»
Was wolltest du den Studierenden auf den Weg mitgeben?
«Ich wollte sie etwas offener und freier machen im Umgang mit den Werken der Architektur. Dass es ihnen gelingt, sich mit den Angeboten, die uns täglich umgeben, zu befassen und sich auch ein eigenes Urteil zu bilden. Ein begründetes, gutes Urteil. Um sich freier und gleichzeitig sicherer zu fühlen. Ich habe immer versucht, die Studierenden zum Schreiben zu bringen. Weil das für mich ein besonderer Vorgang der Reflexion ist. Das ist ein Moment, in dem man genau über die Dinge nachdenken muss. Der Moment, in dem man Gedanken präzise formuliert. Ich verfolgte dabei immer auch das Ziel, einerseits die grosse Freude an unserem Stoff zu wecken, aber auch den Studierenden zu einem sicheren Urteil zu verhelfen und sie in den Stand zu setzen, über die Dinge zu sprechen: Über Architektur zu sprechen und zu begründen, warum man etwas gut oder weniger gut findet. Im Hinterkopf das Ziel, dass man dann beim eigenen Entwerfen etwas offener und beweglicher ist in der Wahl seiner Ansätze.»
«Ich meine heute noch, dass man besser beraten wäre, eine gewisse Distanz zur ETH zu wahren und selbstbewusst aufzubauen auf dem, was die Studierenden aus ihrer eigenen berufsnahen Erfahrungswelt mitbringen.»
Inwiefern haben sich das Studium und die Fachhochschule während deiner Zeit in Muttenz verändert?
«Es war anfangs im Technikum so, dass wir zwei Mal 22 Semesterwochen pro Jahr unterrichteten. Es waren sehr lange Semester. Ich konnte ein grosses Programm entfalten. Natürlich war das Ganze noch etwas anders in dem Sinne, als dass man etwas ausführlicher sein musste bei den Studierenden, bei denen man kaum geschichtliches Vorwissen voraussetzen konnte. Es war etwas schulischer, aber es war auch eine ausführlichere Architekturgeschichte. Ich konnte weiter ausholen und mir eher Seitenblicke in die Kunstgeschichte leisten. Der Prozess im Laufe der 26 Jahre war eine zunehmende Verdichtung und Verkürzung. Man hat davon gesprochen, dass sich die Studierenden vermehrt im Selbststudium weiterentwickeln sollen und hat die Semesterdauer auf etwa 14 Wochen begrenzt. Das war natürlich einschneidend. Ich hatte den Stoff beieinander, also konnte ich bequem auswählen und die Sachen verdichten, so dass noch irgendetwas Sinnvolles übrig blieb vom grossen Kurs. Aber es war schon ein schmerzliches Reduzieren. Ich habe versucht, in anderen Formaten etwas zu kompensieren. Ich konnte in Wahlfachangeboten einzelne Spezialitäten ausbauen oder Lesegruppen anbieten, wo man theoretische Texte gelesen hat. Das war reizvoll und gab es vorher nicht. Das war vorher schulischer. Später wurde es vielleicht etwas akademischer – begleitet von einer grossen Diskussion, ob das wirklich gut ist. Soll man sich der ETH annähern? Oder doch etwas anderes versuchen? Und ich meine heute noch, dass man besser beraten wäre, eine gewisse Distanz zur ETH zu wahren und selbstbewusst aufzubauen auf dem, was die Studierenden aus ihrer eigenen berufsnahen Erfahrungswelt mitbringen.»
Vermisst du die Studierenden und das Unterrichten?
«Zum Glück treffe ich immer noch viele Studierende. Das ist immer eine grosse Freude. Den Unterricht vermisse ich nicht unmittelbar. Was ich indessen tatsächlich vermisse, sind die Studienreisen. Das fand ich immer ganz toll. Auch die Gespräche, die sich vor den Objekten ergeben haben. Was ich ausserdem vermisse, sind die Schlusskritiken. Da fand ich es immer grossartig, wenn man über irgendein Thema in eine absolute Tiefe der Diskussion hineingelangt ist, wo dann wirklich alle miteinander ganz gebannt dabei waren.»
Interview: Céline Dietziker / Architektur Basel
Fotos: Armin Schärer / Architektur Basel
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