Liebe auf den ersten Blick: Ein besonderes Stück Baukultur auf dem Dreispitz

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Herzog & de Meuron haben grosse Pläne auf dem Dreispitz. Anstelle des bestehenden Gewerbebaus der Burkhardt-Jundt AG soll ein neuer Bürobau entstehen. Die junge Architektin Janina Pasinelli hat sich mit der Geschichte des Bestandes befasst. «Als ich die Strasse entlanglief und dieses Gebäude sah, war es Liebe auf den ersten Blick.» In ihrem Gastartikel nimmt sie uns mit auf einen Rundgang durch ein besonderes Stück Baukultur auf dem Dreispitz.

Speditionsgebäude der Burkhardt-Jundt AG erbaut 1956 © Architektur Basel

Meine erste Berührung mit diesem Gebäude auf dem Dreispitz war am 22. Februar 2022. Das erste Foto schoss ich um 11:54. Wir waren im dritten Jahreskurs der FHNW Muttenz auf einem Tagesausflug für unsere Bachelorarbeiten und mussten uns für ein Gebäude auf dem Dreispitz, Volta, Klybeck oder in Allschwil entscheiden. Unser Treffpunkt war auf dem Dreispitz. Als ich die Strasse entlanglief und dieses Gebäude sah, war es Liebe auf den ersten Blick. Die filigrane, ausgemauerte Betonstruktur hatte es mir angetan. Mein Bauchgefühl applaudierte – mein Kopf war da etwas nüchterner und wollte erstmal erfahren, wie es im Innern aussieht. Dieser Tag endete mit einem platten Reifen an meiner Tigra und einer schüchternen Vision für «Eine Werkstatt für Basel», wie die Semesteraufgabe hiess.

© Janina Pasinelli

Etwas über mehr über den Bau in Erfahrung zu bringen, gestaltete sich als eine verzwickte Angelegenheit. Angefangen habe ich bei den ganz Grossen, der Christoph-Merian-Stiftung. Dieser gehört der Boden des gesamten Dreispitzes und diese gab 2010 auch den Auftrag an Herzog & de Meuron, einen neuen Entwicklungsplan zu gestalten. Die CMS stellte uns sämtliche Pläne, die sie hatten, zur Verfügung. Leider war meine Wahl nicht darunter. Also ging ich zu HdM. Diese hatten nämlich nicht nur den Plan erstellt, sondern mein auserwähltes Gebäude gehörte der JP Mailand – also den beiden Chefs (JP = Jacques und Pierre) höchstpersönlich. Auf meine Anfrage hiess es, dass sie zu viele Anfragen von Seiten Studenten hätten – und sie deshalb auf keine reagieren können. Der nächste Kontakt war Christina Volk, die im Gebäude 2018 eine Ausstellung für Kurt Volk initiiert hatte – und Susanne Attinger, die diese kuratierte. Leider hatten auch sie damals keine Pläne erhalten, boten mir aber ihre Fotografien und eine Skizze des Grundrisses an. Das war ein erster Lichtblick.

Grundriss EG © Janina Pasinelli

Bei meiner weiteren Recherche traf ich auf den Artikel mit der Geschichte des Dreispitzes, in dem der Burkhardt-Jundt AG besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird. So stiess ich auf den Namen Figini. In die Familie heiratete sich dazumals ein Italiener mit diesem Namen ein und gab das Transportunternehmen an seine Söhne weiter. Kurzerhand suchte ich den Namen im Telefonbuch. Und siehe da: Ich fand Sergio Figini. Schnell war klar, dass er es tatsächlich war, der die Firma mit seinem Bruder bis 2018 geführt hatte. Er war bereit, mir seine Geschichte zu erzählen und zu zeigen. Und so verabredeten wir uns am 24. März vor dem Gebäude.

© Janina Pasinelli

Die private Führung starteten wir in der grossen Halle, die sich an die Hauptstrasse schmiegt und zugleich spitz zuläuft, um sich dem bestehenden Gleisnetzwerk des Dreispitzes anzupassen. Zu diesem Zeitpunkt wurde das Gebäude als Lagerplatz für das nebenan liegende Unternehmen TS-Transport Service AG genutzt. Ein Auto und ein Lastwagen standen darin, alles andere waren Fässer und Kisten. Der Raum hatte dennoch einen wundervollen Ausdruck. Die Struktur ist im Innern klar ersichtlich: der Backstein ist jedoch dunkler patiniert und die grünen Bandfenster sind grau. Die unterschiedlich dimensionierten Sattelträger aus Stahl erscheinen äusserst filigran und leicht für die Spannweite von bis zu 23 m. Im hinteren Teil der Halle erblickte ich eine Betonwand und eine Stütze, auf denen der Träger für den Lastkran lag. Dieser konnte durch die Schiebetür bis nach aussen zu den Zügen gefahren werden, um bis zu 20 Tonnen schwere Ware direkt verladen zu können.

Querschnitt © Janina Pasinelli

Das Dach wies sichtbare Schäden auf. Ansonsten wirkte die Struktur intakt. Am Ende der Halle entdeckte ich einen zweiten Ausgang, ein tieferes Tor, das eine Durchfahrt durch die Halle ermöglichte. Als mein Blick in die Höhe ging, sah ich das kleine Fenster des Chefbüros. In der Halle stehend von den inneren Fassaden umgeben, die durch die langjährige Nutzung einen industriellen, ehrlichen Charme aufweisen, erinnerte mich die Rückwand an ein Fassadengesicht: Das Fenster, das kleine Türchen, die stattliche Lifttür und das ebenfalls sichtbare Tragwerk wirken wie ein Haus im Haus.

© Janina Pasinelli

Von der Halle besteht eine direkte Verbindung in den «Turm». Neben dem Liftkern wird das Erdgeschoss zum Hochparterre – auf einer Höhe von etwa 1.20 m – auf das man die Ware direkt aus den Lastwägen oder den Zügen abladen konnte. Der Unterschied in diesen Lagerhallen ist vor allem die Farbe. Das sichtbare Mauerwerk weist viel grössere Elemente auf als in der Halle und die Wände wurden weiss übermalt. Allerdings so, dass man die Struktur dahinter immer noch erkennen kann. Grosse Pilzstützen aus Beton gliedern den Raum und ermöglichen mit der dicken Betondecke eine statische Lastabtragung von bis zu 1.5 Tonnen pro Quadratmeter. Nach dem Kommentar von Herrn Figini, dass er dem Lift nicht mehr traue, betraten wir das Treppenhaus. Hier befindet sich die eigentliche Eingangstüre des Gebäudes an der Mailand-Strasse, während sich die Halle an die Frankfurt-Strasse richtet. Der Besuchereingang führt direkt zum Empfang mit seinem kleinen Fenster auf den Korridor.

Alle übereinander liegenden Räume auf der Südost-Seite des Gebäudes wurden für die Administration genutzt. Sie sind dank grossen Fensterfronten lichtdurchflutet, haben niedrigere Decken, sind weiss verputzt und mit einem Plattenboden ausgestattet. Im Untergeschoss finden sich noch einen Technikraum, daneben einen Pausenraum und eine Garderobe mit Nasszelle und Dusche. Über eine weitere Treppe gelangt man in einen unterirdischen Lagerraum. Herr Figini berichtete, dass sie nie Probleme mit eindringender Feuchtigkeit hatten, die Temperatur war immer kühl und somit optimal für die Lagerung von Nüssen und anderen Lebensmitteln. Über die hochliegenden Fenster konnten die Waren direkt vom Zug ins Lager gelangen.

© Janina Pasinelli

Über das Treppenhaus erreichten wir im Obergeschoss eine weitere Lagerhalle: Diese hatte eine ganz andere Lichtstimmung als diejenigen im Erd- und Untergeschoss. Hier entfalten die Bandfenster eine besondere Lichtstimmung. Während ich eine düstere Atmosphäre erwartet hatte, war der Raum lichtdurchflutet. Das Sonnenlicht strahlt von drei Seiten hinein und sorgt für angenehme natürliche Belichtung.

Diese Halle ist grösser als die anderen, da sie über eine offene Rampe das Splitgeschoss oberhalb der Büroräume erschliesst. Dieser Raum ist rund zwei Meter hoch und wurde in den späteren Jahren mit einer Box ausgebaut, die als Leichtbau im Raum eine Übernachtungsgelegenheit bot. Links und rechts standen unzählige leere Kartonschachteln und alte Schränke – nach wie vor voll mit alten Dokumenten und Gegenständen, die an die frühere Nutzung und den regen Betrieb im Haus erinnern. Eine letzte schmale, U-förmige Treppe führte uns bis nach ganz oben.

Hier wandelt sich die Struktur: Anstelle von Pilzstützen tragen schlanke Betonstützen mit Unterzug die Decke. Das schöne Tageslicht, der filigrane Treppenaufgang und der offenen sorgen für eine heitere Raumstimmung. Plötzlich rumpelte es. Die Lifttür öffnete sich und zwei Arbeiter traten in den Raum. Wir grüssten uns freundlich. Die Frage, ob der Lift noch funktioniert, war damit auch geklärt. Wir erhielten freundlicherweise den Masterschlüssel, und so konnten Herr Figini und ich die drei verschlossenen Büroräume im 1. Obergeschoss öffnen.

© Janina Pasinelli

Wir betraten die Büros über den mittleren Raum. Darin standen sich zwei Pulte gegenüber, auf ihnen fanden sich unzählige Dinge, wie zum Beispiel auch eine alte Schreibmaschine, in der noch immer ein Dokument auf dessen Fertigstellung wartete. Im linken Raum stand der alte Chefsessel, an der Wand befand sich das erwähnte Fenster mit Blick in die Anlieferungshalle.

Nach kurzem Herumstöbern verliessen wir das Gebäude. Draussen nahm Herr Figini eine Mappe und eine kleine Schachtel hervor und reichte mir beides mit den Worten: «Das könnte dir gefallen.» In der Schachtel befanden sich die originalen Fotos der Baustelle, von der Aufrichtung bis zur Fertigstellung des Rohbaus. Darauf sieht man die drei Geschwister Figini, die als Kinder die Baustelle erforschten. In der Mappe befanden sich zudem die lang ersehnten Pläne. Sein Bruder habe sie zuhause gefunden. Was für ein Moment! Damit lagen die Kopien der Grundrisse von 1956 in meinen Händen. Nach kurzem Überfliegen erkannten wir, dass bei der Ausführung der Treppenkern gespiegelt wurde. Alles andere schien aber gemäss den Plänen umgesetzt worden zu sein.

Bevor wir uns verabschiedeten, gestand Herr Figini, dass er sich nie gefragt hatte, ob dieses Gebäude schön oder interessant sei. Wenn man wie er unzählige Jahre hier gearbeitet habe, sei das nie ein Thema gewesen. Aber nach seiner Führung und meiner offensichtlichen Begeisterung nickte er wohlwollend und meinte, es sei wirklich ein sehr schönes Gebäude.

© Janina Pasinelli

Nach meiner Analyse, Dokumentation und Digitalisierung der Pläne schmerzt es mich sehr, dass dieses schöne Haus an der Frankfurt-Strasse bald nicht mehr richtungsweisend sein wird. Dass ein so robuster Industriebau nach nicht mal siebzig Jahren abgebrochen werden soll, ist für mich in Anbetracht der aktuellen Debatte nicht ganz nachvollziehbar. Dass das Gebäude energetisch nicht den heutigen Standards entspricht, ist logisch. Aber was spricht gegen eine Sanierung? Was spricht gegen eine Erweiterung oder eine Aufstockung? Böte sich diese Anlieferungshalle nicht als optimales Zentrum, als Lounge für einen Bürobau auf dem Dreispitz? Soll die wunderschöne Patina des Mauerwerks und die betonierte Horizontalität einfach vergessen gehen? Welche Analysen führten zum Entscheid des Abbruchs? Was war der ausschlaggebende Punkt gegen den Erhalt des Bestands? Die Fragen blieben offen. Ich bin unglaublich dankbar für die Führung von Herrn Figini. Dank ihm konnte ich in die Geschichte des Gebäudes eintauchen. Nach der Bekanntgabe des geplanten Abbruchs schätze ich mich umso glücklicher. Ich hätte mir für meine Semesterarbeit kein besseres, schöneres Gebäude wünschen können – und hoffe, ihm mit meiner Arbeit eine letzte Ehre erwiesen zu haben.

Text, Fotos und Pläne:
Janina Pasinelli, Architektin BA FHNW

 

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