Mobilität – Mut zur Gestaltung statt Retro-Schleife

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Verkehrsberuhigte Städte gehören in vielen Ländern längst zum Alltag. Basel-Stadt gehe hier eher zögerlich voran, befindet Isabel Borner vom Verein Countdown 2030 in ihrer neuen Kolumne auf Architektur Basel. Dabei bewirken nachhaltige Mobilitätskonzepte nicht nur eine Senkung der Treibhausgasemissionen, sondern haben auch handfeste Standortvorteile.

Um gemäss Pariser Klimaschutzabkommen einen Beitrag zur Begrenzung der weltweiten Erwärmung zu leisten, muss die Schweiz ihre Treibhausgasemissionen drastisch reduzieren. Es ergibt Sinn, im Bereich Verkehr anzusetzen, da hier laut Schweizerischer Energie-Stiftung gut ein Drittel aller inländischen Treibhausgase ausgestossen werden und sich Veränderungen aufgrund von bereits erprobten Konzepten relativ schnell umsetzen liessen: In Barcelona, Kopenhagen und London sind einzelne Stadtteile oder ganze Städte verkehrsberuhigt und für den Langsamverkehr ausgebaut worden; in Bogotà, Paris und Stockholm werden grosse Teile der Stadt an Sonn- und Feiertagen für den motorisierten Individualverkehr gesperrt.

Diese Massnahmen sind sinnvoll und gehen in die richtige Richtung, aber sie genügen nicht, um die Klimaziele zu erfüllen. Der Ersatz von Verbrennungsmotoren durch Elektromotoren ist dringend notwendig, aber er ist nicht die Lösung des Problems.

Ein Blick nach Basel zeigt, dass sich auch hier etwas tut. Ein wichtiger Schritt war 2015 die Verkehrsberuhigung der Innenstadt. Die Ablehnung der Initiative «Zämme fahre mir besser!» durch die Stimmberechtigten im Februar 2020 stellt einen weiteren Meilenstein dar. Die Initiative forderte die Entfernung der Beschränkungen für den privaten Motorfahrzeugverkehr aus dem Umweltschutzgesetz und die Streichung des Zieles, den privaten Motorfahrzeugverkehr bis 2020 um mindestens 10 Prozent zu reduzieren. Parallel dazu ist der Gegenvorschlag des Grossen Rates angenommen worden. Dieser legt fest, dass der private Motorfahrzeugverkehr auch bei Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum nicht zunehmen darf. Umweltfreundliche Verkehrsmittel sollen bevorzugt behandelt und ihr Anteil am Verkehrsaufkommen durch Fördermassnahmen deutlich erhöht werden. Bis 2050 wird angestrebt, dass der Gesamtverkehr nur noch mit emissionsarmen, klima- und ressourcenschonenden Verkehrsmitteln erfolgt. Von zentraler Bedeutung in der kantonalen Mobilitätsstrategie ist die konsequente und rasche Umstellung von Verbrennungsmotoren auf Elektroantriebe.

Autofreie Feierabendstimmung auf der Dreirosenbrücke © Stereo Architektur

Diese Massnahmen sind sinnvoll und gehen in die richtige Richtung, aber sie genügen nicht, um die Klimaziele zu erfüllen. Der Ersatz von Verbrennungsmotoren durch Elektromotoren ist dringend notwendig, aber er ist nicht die Lösung des Problems. Auch Elektromotoren benötigen Energie, die erzeugt und transportiert werden muss. Ob sie tatsächlich eine bessere Ökobilanz als Verbrennungsmotoren aufweisen, hängt davon ab, ob die Energie für Herstellung und Betrieb ganz oder nur teilweise aus erneuerbaren Quellen kommt. Die Basler Regierung strebt zwar an, dass die hiesigen Elektroautos zu 100 Prozent mit erneuerbarer Energie betrieben werden, aber solang die Versorgung noch nicht grossräumig umgestellt ist, verlagert sich der Anteil fossiler Energie in andere Sektoren oder Regionen.
Die einzige wirklich nachhaltige Strategie ist daher der grösstmögliche Ersatz des motorisierten Individualverkehrs durch öffentliche Verkehrsmittel, Velos und Zufussgehen. Besonders in den Städten, wo der Raum knapp ist, können nachhaltige Mobilitätskonzepte nicht nur eine Reduktion von Emissionen bewirken, sondern auch zur Verschönerung unserer Umgebung und zur Steigerung unserer Lebensqualität beitragen. Einige gebaute Beispiele zeigen, dass das längst keine Utopie mehr ist:
 
Die niederländische Stadt Utrecht ist in den 1970er Jahren umgebaut und an die Bedürfnisse von Velofahrern angepasst worden. Ein dichtes Netz von Fahrradwegen ermöglicht es heute, jeden Ort in der Stadt innerhalb von dreissig Minuten zu erreichen. Autos werden um die Stadt herumgeleitet, dürfen in der Stadt nur langsam fahren und müssen Fussgängern und Velos den Vortritt lassen. Die Folge ist eine Stadt, in der sich bereits Kinder sicher und unabhängig bewegen können, da sie nicht ständig der Bedrohung durch den motorisierten Individualverkehr ausgesetzt sind.
In Barcelona ist ebenfalls ein Projekt zur Verkehrsberuhigung gestartet worden, um der hohen Luftverschmutzung und dem Lärm entgegenzuwirken. Neun Wohnblocks werden zu einem «Superblock» zusammengefasst. In diesem Bereich fahren Autos im Schritttempo. Die anfänglichen Proteste der Bevölkerung haben sich aufgrund der positiven Erfahrungen schnell gelegt. Die Bedenken, dass sich Gewerbe hier nicht mehr lohnen würde, haben sich ins Gegenteil verkehrt. Gemütlich flanierende Kunden verweilen länger in den Läden als gestresste Autofahrerinnen. Im frei gewordenen öffentlichen Raum sind neue Grünflächen, Radwege oder Sitzflächen geschaffen worden. Anwohner und Anwohnerinnen berichten, dass sie ihren Nachbarn vor der Umgestaltung kaum begegnet seien; seither habe sich innerhalb des Quartiers ein lebhaftes Sozialleben entwickelt. Mit dem zur Verfügung gestellten öffentlichen Raum in unmittelbarer Umgebung der eigenen Wohnung ist die Voraussetzung für Begegnungen und einen grösseren Zusammenhalt in der Bevölkerung geschaffen worden.

Den Klimawandel einzudämmen, mit den Schäden umzugehen und uns an die veränderten Bedingungen anzupassen – das sind einige der grossen Aufgaben unserer Zeit.

Fällt ein Teil der Parkplätze und Strassen weg, kann die frei gewordene Fläche entsiegelt und begrünt werden. Das wirkt der Überhitzung der Städte im Sommer entgegen und bietet ein ästhetisch ansprechenderes Stadtbild als eine vom motorisierten Individualverkehr dominierte Umgebung. Ein angenehmes Klima fördert zudem die Aufenthaltsqualität, wodurch sich spürbare Standortvorteile ergeben. Eine intelligente Mobilitätsstrategie würde es ermöglichen, den Einsatz des motorisierten Individualverkehrs auf die Verbindung zu abgelegeneren Dörfern und Orten zu beschränken sowie auf diejenigen Bereiche von Logistik und Gewerbe, wo er noch nicht ersetzt werden kann.

Den Klimawandel einzudämmen, mit den Schäden umzugehen und uns an die veränderten Bedingungen anzupassen – das sind einige der grossen Aufgaben unserer Zeit. Wir können auf diese Entwicklung mit zaghaften Korrekturen des Status Quo reagieren; oder wir nehmen die Gestaltung unserer (nahen) Zukunft in die Hand und sorgen mit innovativen Konzepten dafür, dass unsere Städte weiterhin attraktiv und bewohnbar bleiben.

Text: Isabel Borner,
Countdown 2030, Verein für zukunftsfähige Baukultur


Quellenangaben:

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