«Richtung Marseille» – ein unbekanntes Le Corbusier-Spätwerk unweit von Basel

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„Voilà, votre Café allongé.“ Dazu ein Stück « Tarte aux pommes ». Ich sitze im City Grill in Kembs. Im verschlafenen Sundgauer Dorf mit seinen 1‘500 Einwohnern würde kaum jemand ein Stück Weltarchitektur erwarten. Erst recht nicht der Kellner. Ob er Le Corbusier kenne, frage ich ihn. „Corbusier? C’est qui?“ Ja, im südlichen Elsass, wenige Kilometer von Basel entfernt, hat Le Corbusier 1960-62 die Schleuse zum Rhein-Rhone-Kanal erbaut. Grund genug für eine kleine Velotour…

«Diese Schleuse vermittelt den Schiffen
die Fahrt vom Rhein zur Rhone in Richtung Marseille»
Le Corbusier

Schleuse Kembs-Niffer von Le Corbusier erbaut 1962 © Architektur Basel / Lukas Gruntz

Nach knapp eineinhalb Stunden entspannter Velofahrt von Basel aus – mehrheitlich entlang dem Canal de Huningue – erreicht man die Schleusenanlage. Zahlreiche Freizeitboote liegen im kleinen Hafen von Kembs. Sie sind es, die die Schleuse in den Rhein-Rhone-Kanal heutzutage hauptsächlich nutzen. Aufgrund der zu knappen Dimensionen hat sie für moderne Transportschiffe ausgedient. «Diese Schleuse vermittelt den Schiffen die Fahrt vom Rhein zur Rhone in Richtung Marseille», beschrieb le Corbusier die besondere Lage – und dachte dabei (wie von ihm gewohnt) im grossen Massstab. Besonders markant ist der Schleusenturm gekrönt von einem kubisch-vedrehten, dreieckigen Kontrollraum, wo die Schleusenwärter ihren Dienst tun. Oder besser gesagt: taten. Die Schleuse funktioniert heute ferngesteuert.

«Hier wird die Frage nicht mehr erörtert,
ob es sich um Architektur oder um lngenieurkunst handelt.»
Le Corbusier

Schleuse Kembs-Niffer von Le Corbusier erbaut 1962 © Architektur Basel / Lukas Gruntz

Die Schleusenanlage ist ein Spätwerk von Le Corbusier. Sie wurde drei Jahre vor seinem Tod fertiggestellt; sein einziges Bauwerk im Elsass. Die Gestalt ist entsprechend einem Infrastrukturbau funktional geprägt. «Es handelt sich um ein ‘Bauwerk’» meinte Le Corbusier trocken: «Hier wird die Frage nicht mehr erörtert, ob es sich um Architektur oder um lngenieurkunst handelt.» Tatsächlich war es der explizite Wunsch der beiden Ingenieure René Descombes und René Bouchet den damals vielbeschäftigten Architekten am Bauwerk zu beteiligen. Sie reisten dafür eigens nach Paris, um ihn in seinem Büro von der Wichtigkeit seiner Mitarbeit am Bauvorhaben zu überzeugen. Sie hatten Erfolg. «Die Verwalter und lngenieure haben mich gebeten, mich an ihrem Unternehmen zu beteiligen», schrieb Le Corbusier rückblickend.

Schleuse Kembs-Niffer von Le Corbusier erbaut 1962 © Architektur Basel / Lukas Gruntz

Neben dem Kontrollturm ist der parallel zur Schleusenkammer stehende Zollpavillon das zweite Bauwerk, das von Corbusier entworfen wurde. In dessen Untergeschoss befinden sich die Diensträume, die Garage und die Heizung. Ins Auge fällt die besondere Dachform bestehend aus einem hyperbolischen Paraboloid. Die Hauptfassade besteht aus von Betonstäben rhythmisch gegliederten Glasflächen, die an das Kloster la Tourette erinnern.

Schleuse Kembs-Niffer von Le Corbusier erbaut 1962 © Architektur Basel / Lukas Gruntz

Seit 2005 steht das Bauwerk unter Denkmalschutz. An den Bauten nagt der Zahn der Zeit. Der Beton ist an vielen Stellen abgeplatzt. Die Armierung liegt ungeschützt frei. Ab 2022 soll die Schleuse fachgerecht restauriert werden. Um die finanziellen Mittel dafür zu beschaffen, wurde ein Crowdfunding lanciert. Nach der Restaurierung sollen die Bauten öffentlich zugänglich sein. «Non, ça ne me dit rien du tout.» Der Kellner schüttelt nochmals den Kopf, bevor ich mich verabschiede.

Text: Lukas Gruntz / Architektur Basel


Corbu retten!
Hier geht’s zur Spendensammlung zum Erhalt der Schleuse Kembs >
www.fondation-patrimoine.org/les-projets/ecluse-le-corbusier-de-kembs-niffer


Literatur:
Le Corbusier, Oeuvre complète, volume 8, 1965-1969
«Vergessenes Architekturjuwel wird neu entdeckt» in: Baublatt, Nr. 13, 25. Juni 2021.

 

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