Was wäre wenn – Das S AM zeigt ungebaute Architektur in der Schweiz

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Vom 25. November 2023 bis 7. April 2024 präsentiert das S AM Schweizerische Architekturmuseum die neue Ausstellung «Was wäre wenn – Ungebaute Architektur in der Schweiz». Zusammen mit 20 Architekturinstitutionen der Schweiz wurden verlorene, verneinte, versackte oder veränderte Projekte ausgewählt. Die Auswahl zeigt eine Seite der Schweizer Architektur aus den vergangenen hundert Jahren, welche der Bevölkerung meist verborgen blieb – oder in Vergessenheit geriet.

Raum 1 «Salon des refusés» © Laurence Ziegler / Architektur Basel

Andreas Kofler, Kurator der Ausstellung, bespielt den ersten der vier Ausstellungsräume im S AM mit einer Sammlung an Projektmodellen, welche nie realisiert wurden. Dabei sind auch Abschlussprojekte von Studierenden der FHNW Muttenz. Als sogenannter «Salon der Zurückgewiesenen» erstreckt sich das Regal aufgefüllt mit eindrücklichen Entwurfsmodellen über die gesamte Länge des Raums. An dessen Ende läuft über einen Beamer der Dokumentarfilm «The Competition». Dieser fängt die angespannten und nervenzehrenden Abläufe eines Architekturwettbewerbs ein. Geprägt vom Film, der teilweise unbehagliche Erzählungen zu schier unmenschlichen Arbeitsleistungen vermittelt, sieht man danach die Modelle im Regal hinter sich auf dem Weg in die weiteren Räume, mit einer veränderten Wahrnehmung. Kurator und Architekt Andreas Kofler, der selbst Jahre in renommierten Architekturbüros tätig war, bemerkt mit einem Schmunzeln, dass der Dokfilm eigene Traumata aus vergangenen Zeiten reaktiviere.

Räume 2 bis 4 © Laurence Ziegler / Architektur Basel

Angekommen in den weiteren Räumen werden wir in die Atmosphäre eines Grossraumbüros versetzt, wo chronologisch auf Schreibtischen Entwürfe von Corbus Projekt für den «Völkerbundpalast» in Genf bis hin zum Hotelhochhaus in Vals von Morphosis aufeinandertreffen. Die Gründe der jeweiligen Nicht-Realisierung sind vielfältig. Die Ausstellung kategorisiert die Projekte in verlorene, verneinte, versackte und veränderte Projekte. Letzteres trifft auch auf den BIZ Turm zu. Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich erwarb zwischen 1966 und 1972 mehrere Grundstücke am Centralbahnplatz. Für die Bebauung legte der beauftragte Architekt Martin H. Burckhardt 1969 drei Entwürfe vor: Ein runder Turm mit 24 Stockwerken, ein 11-stöckiger horizontaler Block mit abgewickelten Ecken sowie ein rechteckiger Komplex mit mehreren Baukörpern in unterschiedlicher Höhe. Wie heute noch ersichtlich wurde der runde Turm realisiert, jedoch mit nur 20 oberirdischen Geschossen. Die Basler Sektion des Schweizer Heimatschutzes legte Einspruch ein, aufgrund der geplanten Höhe der 82 Meter welche vom rechten Rheinufer über den Münster zu sehen gewesen wäre. Die verminderte Höhe des BIZ-Turms wurde in Basel zur urbanen Legende. Im heute zunehmend vertikalen Kontext des Bahnhofs SBB nebenan könnte man dem Turm vier weitere Stockwerke zumuten, beschreibt Andreas Kofler in der Publikation zur Ausstellung.

Martin H. Burckhardt, Baustelle des neuen Hauptsitzes der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), 1972 © Bank for International Settlements Archive, Basel

Modell BIZ Turm auf Schreibtisch © Laurence Ziegler / Architektur Basel

20 Jahre nach dem Entwurf des BIZ Turm schrieb ein versacktes Projekt von Mario Botta Schlagzeilen. Auf einem weiteren Schreibtisch wird der Entwurf eines Anbaus an das Bundeshaus im Jahr 1991 (Auswahl: ArchitekturForumBern) präsentiert. Dieses gilt als versacktes Projekt, da mehrere bestehende Gebäude hätten abgerissen werden müssen. Trotzdem fand der Entwurf anfangs grossen Anklang in Bern – aufgrund städtebaulicher, denkmalpflegerischer, umwelttechnischer und geologischen Bedenken wurde das Projekt dann erst im März 1993 eingestellt.

Bundeshauserweiterung Mario Botta
Bern, 1991-1993
© Mario Botta Architetti

Den herausragenden Abschluss macht im letzten Teil der Ausstellung das U.S. Büro Morphosis mit ihrem 381 Meter hohem Turm, der im Bergdorf Vals hätte stehen sollen. Das Projekt wurde von der Bündner Architekturinstitution «Das Gelbe Haus» für die Ausstellung vorgeschlagen. Dass im abgelegenen Valsertal bald das mit 82 Stockwerken höchste Gebäude Europas stehen sollte, sorgte 2014 international für grosse Schlagzeilen. Inspiriert von den Skulpturen Giacomettis wurde drei Jahre lang am Projekt gefeilt. Schlussendlich hat sich die Jury aus unterschiedlichen Gründen davon distanziert. So konnte Remo Stoffel, Immobilienunternehmer und damaliger Besitzer des Hotel und Therme Vals das Projekt mit Morphosis zusammen nicht realisieren. 2017 machte die Gemeinde Vals von ihrem Recht Gebrauch und kaufte die Therme für einen symbolischen Franken zurück. Dieses Verfahren wurde 2022 abgeschlossen. Eine Neuaufnahme des ursprünglichen Projektes müsste nun per Abstimmung vor Volk. Es hätte wohl keine Chance.

7132 Hotel & Arrival Morphosis, Vals, 2014-2017
© Morphosis

Die Ausstellung «Was wäre wenn» ermöglicht eine ganz besondere Reise durch die Architekturgeschichte unseres Landes. Entlang von nicht realisierten Bauten aus allen Landesteilen schafft sie eine neue Erzählung, einen neuen Blick, auf unsere Architekturlandschaft. Hier gilt in Umkehrung des Leitspruchs von Hans Schmidt: Auch Nicht-Bauen ist Architektur. Ebenfalls lohnenswert ist die gleichnamige zweisprachige Publikation. Im Gegensatz zur Ausstellung ist diese chronothematisch gegliedert: verloren, verneint, versackt und verändert.

Text: Laurence Ziegler / Architektur Basel


Weitere Informationen zur Ausstellung und dem Begleitprogramm: www.sam-basel.org

 

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