Wie lebt es sich im Weinlager? Ein zweiter Einblick!

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Im ersten Einblick hat Viktoria über das Leben im umgenutzten Weinlager von Esch Sintzel Architekten berichtet. Sie schilderte, wie sich das Wohnen in einer preisgekrönten Architektur gestaltet, was sie an ihrer Wohnung schätzt und wie sie die Durchmischung im Gebäude und dem gesamten Lysbüchel-Quartier empfindet. Um ein möglichst objektives Bild des Lebens im Weinlager zu projizieren, haben wir eine zweite Bewohnerin besucht und möchten uns auch bei Miriam herzlich für ihre Zeit und Offenheit bedanken.

Miriam wohnt mit ihren vier Kindern bald seit einem Jahr im Weinlager. Zuvor haben sie an der Burgfeldergrenze gewohnt und obwohl in einer Familien-Genossenschaft, gab es dort kaum Kinder. Lärm und kinderübliche Aktivitäten waren unerwünscht, weshalb ihre Kinder wenig Freude hatten. Weil sich die Situation nun genau ins Gegenteil gekehrt hat, kann sie sich nicht mehr vorstellen woanders zu wohnen. Jetzt gehen die Kinder im Lysbüchel in den Kindergarten und zur Schule, sind anschliessend in der Tagesstruktur betreut und fühlen sich rundum wohl.

Auch Miriam hat sich noch während der Bauphase für die Wohnung beworben und erinnert sich an die empfundene Erleichterung, als sie erfuhr, dass die Wohnung nur der Person gezeigt wurde, die sie auch bekommen würde. Für das Engagement und die Möglichkeiten, die die Stiftung Habitat schafft, ist sie sehr dankbar. Nicht nur, weil sie als Mutter mit vier Kindern auf dem Wohnungsmarkt kaum eine Chance hat, zudem weil die Stiftung ihr eine Mietzinsreduktion gewährt, weshalb das Preis-Leistungs-Verhältnis für eine 5.5-Zimmer-Wohnung mit 128 m² für sie mehr als stimmt.

Die offene Küche und der Essbereich.

Vor allem, weil es sich nicht um eine 0815-Wohnung handelt, wie Miriam in der Zwischenzeit zu schätzen weiss. Auch sie kennt das ehemalige Coop-Weinlager von früher, hat den Umbau aber nicht wirklich wahrgenommen. Denn bevor sie die neue Wohnung bezog, hat sie sich nie mit Architektur befasst. Als dann die ersten Architekten das Gebäude stürmten und sie sich unter anderem bei Führungen in ihrer Wohnung mit ihnen austauschte, kam mit der positiven Resonanz ein Gefühl von Stolz auf.

Die rohen Beton-Oberflächen und rustikalen Holzstämme fand sie von Beginn an toll. Gegenüber den Farben war sie anfangs skeptisch, da sie glaubte, diese würden das Einrichten erschweren. Als sie aber merkte, dass diese die Einrichtung dezent, aber bereichernd untermalen, findet sie das Farbkonzept am Ende umso schöner. Miriam und die Kinder lieben ihre Wohnung, und würden am liebsten nie mehr ausziehen.

Im Wohnzimmer spürt man die Nähe zu den Nachbargebäuden.

Bevor sie das Leben im Weinlager schildert, ein kurzer Einschub, der dieses laut Miriam exakt widerspiegelt. Während wir uns unterhalten, sitzen wir am Küchentisch. Die Kinder sind vor einer Weile raus zum Spielen gegangen und haben die Haustür offen stehen lassen. Plötzlich marschiert ein Nachbarsjunge in die Wohnung und holt sich eine Mandarine aus dem Obstkorb. Während wir die Szene etwas verdutzt beobachten, fängt er an, diese zu schälen und steckt sich beim Hinauslaufen ein Stück in den Mund. Miriam lacht und erklärt, dass sich die Kinder völlig unbefangen bewegen und sich im ganzen Haus zu Hause fühlen. Offene Haustüren kennt man weniger aus dem städtischen Kontext, als aus Dörfern in den Bergen, weshalb unter anderem diese, das Weinlager zu einer eigenen Welt machen.

Miriam ist es gewohnt, auch mehrere Nachbarskinder bei sich zu hüten.

Miriam findet es toll, dass ihre Kinder in einem grossen Haus aufwachsen, wo sie sich frei bewegen und mit anderen Kindern interagieren können. Im Haus gibt es ihres Wissens nach etwa 60 Kinder, 10 davon hat sie manchmal bei sich in der Wohnung. Die Kinder essen bei ihr, sie hütet sie kurzerhand und nimmt das gleiche Angebot gerne von anderen Eltern in Anspruch. In der Nachbarschaft hilft man sich mit den Kindern und das ist für alle Eltern ein geschätzter Vorteil.

Für viele Menschen, vor allem Familien, ist diese Art der Nachbarschaft der Idealfall. Wie in den meisten genossenschaftlichen oder kollektiv gedachten Häusern, gibt es auch im Weinlager einen Haus-Chat. In Untergruppen wird je nach Thema Kinderkleidung getauscht, übrige Milch vermittelt, Bohrmaschinen gesucht oder informiert, wenn ein Kind Läuse hat.

Wenn die Kinder wegen schlechtem Wetter nicht draussen spielen können, werden die Treppenpodeste kurzerhand zum Indoor-Spielplatz auserkoren.

Seit es den «Lido» gab, kam Miriam mit ihren Kindern öfter ins Quartier und lernte das Lysbüchel kennen. Interaktion, wie sie bei Kindern intuitiv und unbefangen stattfindet, wird zwischen den Nachbarinnen und Nachbarn an vielen Stellen gefördert. So trifft man sich im «Claire», dem Café im Erdgeschoss des Weinlagers, und tauscht sich aus, feiert zusammen am «Beckenfest», dem Strassenfest entlang des Beckenwegs, oder diskutiert am «Stammtisch Lysbüchel» das Zusammenleben im Quartier. Doch auch wenn ein kollektiver Geist eine intakte Nachbarschaft begünstigt, denkt auch Miriam, man muss es mögen und wollen, dass vieles offen und gemeinsam stattfindet.

Die Belegungsvorgabe haben wir bereits im ersten Einblick erläutert. Miriam sagt, für sie sei die vermehrte Einführung einer solchen unumgänglich. Mit den vier Kindern hat sie zuvor in einer 3-Zimmer-Wohnung gewohnt und lang keine grössere, bezahlbare gefunden, weil diese oft von Haushalten mit weniger, aber vermögenderen Personen blockiert werden. Zwar gibt es im Weinlager vermehrt grosse Wohnungen, aufgrund der Belegungsvorgabe resultiert daraus aber eine hohe Anzahl von Kindern unter den Bewohnenden. Viktoria hatte bereits angedeutet, was dies ihrer Meinung nach für die von der Stiftung angestrebten Durchmischung und Interaktion im Haus bedeutet.

Der Gemeinschaftsraum auf dem Dach kann von allen Bewohnenden für Aktivitäten und Festlichkeiten genutzt werden.

Miriam kann sich vorstellen, dass es ohne Kinder schwierig ist, in der Nachbarschaft Anschluss zu finden. Es gibt zwar Bewohnende verschiedener Gruppen, aber da die meisten Kinder haben, drehen sich Gespräche bei Treffen und Anlässen im Haus vermehrt um den Nachwuchs. Sie glaubt, nach einiger Zeit werden sich alle finden die wollen, ohne Kinder dauert es aber vermutlich länger und bedarf mehr Engagement. So gibt es beispielsweise die Möglichkeit, sich in diversen Gemeinschaftsgruppen einzubringen, die sich unter anderem um die Ausstattung und den Betrieb des Gemeinschaftsraums kümmern, oder im Sommer den Gemeinschaftsgarten bewirtschaften. In ihrer Situation fehlt Miriam die Durchmischung nicht, aber ob sie ohne Kinder im Weinlager und dem Lysbüchel wohnen wollen würde, weiss sie nicht.

Als wir sie fragen, wie sie das Leben im Weinlager empfindet, scheint sie glücklich und erklärt, die Kinder entwickeln sich in dieser kinderfreundlichen Umgebung sehr schnell und überaus positiv. Ausserdem findet sie die Transformation des Gebäudes unglaublich gelungen und würdigt die Leistung der Architekten. Für eine Mutter mit vier Kindern machen kleine Details am Ende einen grossen Unterschied. So schätzt Miriam den grossen Komfort, wenn sie beispielsweise an die Fahrradgarage, Kinderwagenräume und scheinbare Banalitäten, wie die dauerhafte Möglichkeit den Müll entsorgen zu können, denkt. Für sie ist das Leben im Weinlager der Idealfall. Sie und die Kinder finden die Wohnung wunderbar, fühlen sich rundum wohl.

Mit den vielen Kindern ist im Haus immer was los.

Nach der Besichtigung und den Gesprächen sind wir überzeugt, dass das umgenutzte Weinlager ein idealer Ort zum Wohnen und Leben ist. Vor allem für Familien und Kinder. Fragen uns aber gleichzeitig, ob sich ein neues Wohnhaus und Stadtquartier nachhaltig entwickeln kann, wenn Durchmischung nur mässig spürbar und das Zusammenleben von Homogenität geprägt ist? Wenn die Kommunikation zwischen Generationen und Menschen verschiedener Herkunft fehlt, die das Haus und die Interaktion mit einer vielschichtigen Dynamik anreichern würde?

Nun steht das Weinlager und Lysbüchel-Quartier aber erst am Anfang seiner Entwicklung und die beiden Einblicke sind persönliche Wahrnehmungen, die eine erste Momentaufnahme zeichnen. Dennoch glauben wir, eine funktionierende, soziale und gesellschaftliche Durchmischung kann der Schlüssel zu einer inkludierten Gemeinschaft sein und Diversität und Heterogenität die Qualität des Zusammenlebens enorm steigern. Denn Homogenität hat auf Dauer selten Bestand.

 

Text: Johanna Bindas, Architektur Basel

 

 

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