In den Achtzigerjahren wurde in Allschwil das Tenniscenter Paradies errichtet. Eine Tennishalle, dessen ingenieurtechnische und -künstlerische Bedeutung im Vorbeigehen kaum jemand bemerkt. Aus der Luft ist die aussergewöhnliche Erscheinung des Gebäudes, inmitten des Wohngebietes entlang der Stadtgrenze, deutlich zu erkennen. Die enorme Grösse, die eigenwillige Form und die untypische Farbigkeit heben das Dach in der homogenen Struktur der Wohnbauten hervor.
Am Boden stellt sich die Situation anders dar. Getarnt hinter den alleeartig gepflanzten Platanen und geparkten Autos entlang der Spitzwaldstrasse ist die Besonderheit der Konstruktion kaum zu erfassen. Ein mehrfach gewölbtes Dach, das den Boden nur an wenigen Stellen berührt, überspannt eine grosse Fläche und lässt ein eindrückliches Inneres vermuten – ein Schalentragwerk von keinem geringeren als dem Bauingenieur und Schalenbauer Heinz Isler.
Schon in frühester Jugend hegt Heinz Isler reges Interesse an Naturvorgängen. Er studiert Bauingenieurwesen an der ETH Zürich und thematisiert dünne Schalentragwerke bereits in seiner Diplomarbeit. Nach dem Studium wird er Assistent am Lehrstuhl für Massivbau und Statik und lernt unter anderem die Bedeutung der Ästhetik der Form kennen. Mit der Erkenntnis, dass die mathematische Definition der geometrischen Form weder statisch günstig noch ästhetisch zufriedenstellend ist, und der Gabe, physikalische Prinzipien der Natur zu analysieren und intelligent zu interpretieren, beginnt Isler mit dem Entwerfen von Schalen.
Im Experiment entwickelt er drei wesentliche Formfindungsmethoden. Eine erst eingespannte und dann aufgeblasene Membran lässt die Buckelschale entstehen, hängende Tücher die versteift und umgekehrt werden bilden Schalentragwerke mit freier Form, und aus Kunststoffen die als Schaumpilze aus einer quadratischen Öffnung quellen und erhärten entwickelt sich die Fliessform.
Später folgt eine intensive Phase des Bauens. Beton als Werkstoff mit geringer Zugfestigkeit verlangt Druckspannungszustände. Zug- oder Biegespannungszustände erfordern Bewehrung aus Stahl als Werkstoff mit geringer Druckfestigkeit, gegebenenfalls auch Vorspannung. Diese Möglichkeit unterscheidet den modernen Schalenbau aus Stahlbeton vom klassischen Kuppelbau und drückt sich in wesentlich geringeren Schalendicken aus. Weil die extrem dünnen Schalentragwerke, allenfalls nur 7 cm dick, absolut exakt und präzise ausgeführt werden müssen, instruiert Isler die Baumeister und -arbeiter selbst. Fast alle Schalen in der Schweiz wurden von einer einzigen Firma gebaut.
Ende der Siebzigerjahre entwickelt Heinz Isler die Tennishallen. Die Schalenform entspricht der Flugbahn von Tennisbällen, da beide natürliche Funktionen der Schwerkraft sind. Eine Schale überspannt 18.4 Meter in der Breite, 48.0 Meter in der Länge, und ist 9.92 Meter hoch. An der dünnsten Stelle ist der Beton nur 9 Zentimeter dick.
Die doppelte Krümmung der Schalen entschärft die Beulgefahr und macht die Tragwerke auch gegen ungleichmässige Lasten durch beispielsweise Wind oder Schnee widerstandsfähig. Die aufgebördelten Schalenränder sorgen zusätzlich für Steifigkeit und Stabilität. Weil der Tennissport geschlossene Fassaden vorschreibt, werden die bogenförmigen Öffnungen mit selbsttragenden, isolierten Profilblechen abgeschlossen. Die Lager der punktuell gestützten Schalentragwerke sind durch Zugbänder miteinander verbunden.
Die Schalen werden mit Ortbeton gefertigt. Auf gekrümmten Holzleimbindern wird die Schalung mit Latten aufgebaut und mit Holzwolle-Leichtbauplatten belegt, um den Anforderungen der Wärmedämmung gerecht zu werden. Die Platten wirken zudem schallschützend und verbessern die Akustik in der Halle. Da die Schalung wiederverwendbar ist, das Material ökonomisch eingesetzt wird und die Konstruktion effizient geplant ist, gilt der Bau der ,typisierten’ Tennishallen als besonders wirtschaftlich und nachhaltig.
Mit der Baugenossenschaft Haus + Herd, das H, gründet der Bauingenieur Heinz Isler, das I, die Arbeitsgemeinschaft ,HIB’, der ausserdem die Bauunternehmung Bösiger AG, das B, angehört. Zusammen entwickeln, planen, erstellen und verkaufen die drei Unternehmen die ,HIB-Tennishalle’ als eine Weltneuheit.
Die symbolische und optische Ästhetik eines Tragwerks war ein wesentlicher Bestandteil von Heinz Islers Entwürfen. Im Gespräch mit Architektur Basel sagt Roger Brennwald, Gründer und Präsident der Swiss Indoors Basel, dass er sich bei der Planung des Tenniscenters Paradies in Allschwil genau aus diesem Grund für eine HIB-Tennishalle mit einem Schalentragwerk von Isler entschieden hat. Für den Erfinder des Wintertennis in der Schweiz war die Ästhetik der Halle wichtiger als eine kostengünstigere Erstellung einer Halle mit Holzkonstruktion. Und er ist heute, mehr als vierzig Jahre später, immer noch begeistert von seiner sensationellen Tennishalle, in der während der Swiss Indoors auch Roger Federer trainiert.
Heinz Isler war ein Pionier des Schalenbaus. Seine universale und undogmatische Denkweise, die Entwicklung neuer Formmethoden mit scheinbar einfachen aber höchst komplexen Gedankengängen und die Planung und Realisierung von mehr als 1400 Schalenbauten in der Schweiz und ganz Europa machen ihn zu einem der wichtigsten Bauingenieure des 20. Jahrhunderts. Islers Werk fasziniert und inspiriert. Seine kreative und schöpferische Energie ist beim Betrachten der Tennishalle Paradies förmlich spürbar: Ein sehenswertes Schalentragwerk von Heinz Isler in Allschwil.
Text: Johanna Bindas / Architektur Basel
Quellen:
– gta Archiv / ETH Zürich, Heinz Isler
– Gespräch mit Roger Brennwald, Swiss Indoors AG
– Heinz Isler Schalen: Katalog zur Ausstellung / Hrsg.: Ekkehard Ramm und Eberhard Schunck, 3. ergänzte – Auflage, Zürich, vdf Hochschulverlag an der ETH Zürich, 2002