Elias Aurel Rüedi: «Begrünte Hinterhöfe sind Oasen im Betondschungel»

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Hinterhöfen kommt in Zeiten städtischer Verdichtung besondere Bedeutung zu. Zugleich haben sie grosses Potenzial als Orte der Erholung, Begegnung und Interaktion. Oft sind jedoch die Nutzungsrechte komplex, denn die Hinterhöfe befinden sich meist auf privatem Grund und sind auf verschiedene Eigentümerschaften aufgeteilt. Basel ist aufgrund seiner historischen Blockrandstruktur reich an versteckten Stadträumen von oft beachtlicher Grösse. Betritt man sie, eröffnen sich ungeahnte, faszinierende Welten. Elias Aurel Rüedi hat dem besonderen «Kosmos» der Hinterhöfe ein Buch gewidmet, das mit umfangreichem Bildmaterial, Analysen und Fachbeiträgen eine aktuelle Bestandsaufnahme zeigt. Er sagt: «Der Hof als unprätentiöser Ort beherbergt viele Geschichten und der Reiz des Unvollkommenen beflügelt einem die Phantasie.» Im Interview wollten wir von ihm mehr über seine Faszination für die Basler Hinterhöfe erfahren.

Architektur Basel: Hinterhöfe spielen in Basel zwar eine wichtige Rolle und dennoch stehen sie kaum im städtebaulichen Fokus. Woher kommt deine Faszination für den Kosmos Hinterhof?

Elias Aurel Rüedi: «Der Hinterhof oder auch der «Hof dahinter» wird im Alltag nicht bewusst wahrgenommen. So wohnt zwar eine Mehrheit der Basler Bevölkerung an einem solchen – jedoch ist dieser nicht Teil vom alltäglichen Tagesablauf.»

Das ist eine interessante Beobachtung.

«Ja, genau. Diese Begebenheit finde ich spannend: die Frage, was gibt es in der «versteckten Stadt der Stadt» zu entdecken und wo liegen Potenziale für Verbessrungen und Entwicklungen. Der Hof als unprätentiöser Ort beherbergt viele Geschichten und der Reiz des Unvollkommenen beflügelt einem die Phantasie.»

© Nicolas Gysin

Das von dir herausgegebene Buch «Kosmos Hinterhof» ist dieses Jahr im Christoph Merian Verlag erschienen. Wen möchtest du damit ansprechen? Wer muss sich das Buch unbedingt kaufen?

«Die Publikation wendet sich an alle Stadtinteressierten, an deren Bewohner:innen und an Fachleute aus Architektur, Planung und Landschaftsarchitektur. So bietet sie einerseits Einblick in die Varianz der Hinterhöfe und andererseits kann sie bei der Stadtentwicklung eingesetzt werden.»

Du schreibst in deinem Buch, dass die Hinterhöfe im aktuellen Kontext «eine neue Bedeutung gewinnen» würden. Weshalb?

«Der aktuellen Klimakrise mit der städtischen Überhitzungsgefahr im Sommer, kann mit mehr Stadtgrün entgegengewirkt werden. So sind die begrünten Hinterhöfe eine Art Oase im Asphalt- und Betondschungel, welche als Mikrokosmen eine kühlende Wirkung aufweisen. Genau diese Begebenheit birgt die Chance die Lebensqualitäten beizubehalten, oder sie sogar auszubauen.»

Gibt es in Basel so etwas wie einen typischen Hinterhof? Oder anders gefragt: Was zeichnet die Basler Hinterhöfe aus?

«Basler Hinterhöfe sind sehr heterogene Strukturen – oft mit Hofgebäuden – die mit der Zeit gewachsen sind. Daraus entstanden die markanten Brandwände und eine vielgliedrige Parzellenstruktur, welche so typisch ist in Basel.»

Die Hinterhöfe sind oft dicht bebaut und stark benutzt. Du schreibst: «Bauen oder nicht bauen – das ist dabei die Kernfrage.» Im aktuellen Diskurs lautet die Antwort wahrscheinlich «nicht bauen.» Wie siehst du das?

«Wenn es um die Frage der Innenverdichtung der Siedlungsräume geht, ist eine Hofbebauung nur nach Situation sinnvoll.»

Basler Stadtplan aus dem Jahre 1940

Wie meinst du das?

«Verdichtetes Bauen und vor allem auch das verdichtete Nutzen von Räumen ist im heutigen Kontext jedoch essenziell – es entsteht eine Pattsituation: Es gilt stets abzuwägen, wann eine verdichtende Neubebauung für ein bestehendes Hofgefüge noch tragbar ist und wann nicht. In vielen Fällen sind die Höfe schon stark bebaut und eine weitere Verdichtung könnte sich kontraproduktiv auf das Zusammenleben auswirken.»

Was sagst du zur Basler Tendenz, die Innenhöfe stärker zu bebauen. Es gibt zahlreiche Beispiele. Am vergangenen Open House Basel konnte man zum Beispiel den Landskronhof von HHF im St. Johann besichtigen. Ist das der richtige Umgang mit diesem wertvollen Stadtraum?

«Ich kenne das Beispiel zu wenig um eine abschliessende Einschätzung zu geben. Von der Eingliederung in den Hofraum finde ich es ein gelungenes Exempel, welches spannende Aussenraumsituationen schafft. Die der Fassade vorgelagerte Balkonschicht kann als Puffer die Privatsphären schützen. Da der Hof gross genug bemessen ist und vorher mit Garagenboxen besetzt war, konnte diese Bebauung den Hof bereichern. Natürlich ist eine Hofbebauung jeweils situativ abzuwägen, denn sie ist immer von Situation zu Situation unterschiedlich.»

«Grün: Hof als Wald» © Elias Aurel Rüedi

Das stimmt. Du lieferst in deinem Buch drei Szenarien für den Hof. Besonders poetisch erscheint die Variante «Grün: Hof als Wald». Kennst Du realisierte Beispiele von maximal begrünten Innenhöfen?

«In Basel gibt es einige grüne Hinterhöfe. Einer mit schön gewachsener Flora befindet sich im Kleinbasel im Wettsteinquartier. Grosse Bäume sind die Häuptlinge der Stadt und bieten dem «Hinterhof-Wald“ ein kräftiges Rückgrat.»

In deinem Resumée sprichst du davon, dass sich der städtebauliche Diskurs stärker auf die Hinterhöfe fokussieren sollte. Dein Buch bietet dazu eine tolle Grundlage. Was braucht es, dass der Diskurs weitergeht? 

«Ein durch das Buch Kosmos Hinterhof geschärftes Bewusstsein und die Wahrnehmung des Vorhandenen sind wichtige Aspekte. Jeder Hof könnte zum Beispiel eine «IG Hof» gründen, wo Interessierte sich einbringen können. Im Austausch mit der Bewohnerschaft könnten so Wünsche und Anregungen aufgenommen und verarbeitet werden. Natürlich braucht eine Entwicklung immer motivierte Menschen, Zeit und manchmal auch fachgerechte Begleitung um koordiniert ans Ziel zu gelangen. Der Diskurs in der Nachbarschaft, auch zwischen Mieter:innen und Eigentümer:innen, bildet dazu die Grundlage. Wir haben es selbst in der Hand unser städtisches Zusammenleben nachhaltig zu verbessern.»

Das ist ein gutes Schlusswort. Lieber Elias, herzlichen Dank für das Interview.


Kosmos Hinterhof
Einblicke und Perspektiven


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Hinterhöfen kommt in Zeiten städtischer Verdichtung besondere Bedeutung zu. Zugleich haben sie grosses Potenzial als Orte der Erholung, Begegnung und Interaktion. Oft sind jedoch die Nutzungsrechte komplex, denn die Hinterhöfe befinden sich meist auf privatem Grund und sind auf verschiedene Eigentümerschaften aufgeteilt. Basel ist aufgrund seiner historischen Blockrandstruktur reich an versteckten Stadträumen von oft beachtlicher Grösse. Betritt man sie, eröffnen sich ungeahnte, faszinierende Welten. Das Buch bietet mit umfangreichem Bildmaterial, Analysen und Fachbeiträgen eine aktuelle Bestandsaufnahme und zeigt anhand von konkreten Fallbeispielen, wie Hinterhöfe – in Basel, aber auch anderswo – zu Orten werden können, die das Zusammenleben der gesamten Anwohnerschaft verbessern und den Lebensraum Stadt insgesamt aufwerten.

Christoph Meriam-Verlag
144 Seiten, 106 meist farbige Abbildungen und Pläne, broschiert, Schweizer Broschur mit offener Fadenheftung, 21 x 28 cm
ISBN 978-3-85616-990-9

Über den Herausgeber:
Elias Aurel Rüedi (*1976) machte eine Lehre als Uhrmacher-Rhabilleur und studierte Architektur am Institut Architektur der FHNW und an der Chinese University of Hong Kong. Er arbeitet als selbstständiger Architekt, Stadtforscher und Autor in Basel und ist Mitbegründer der FURKA Architektur GmbH.

 

 

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