Heinrich Degelo: «Es geht um die Leere, die Freiheiten und Möglichkeiten gibt»

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Mehr Freiheiten und Möglichkeiten beim Wohnen – und erst noch für weniger Geld. Das Konzept, das Architekt Heinrich Degelo zusammen mit der Genossenschaft Homebase entwickelt hat, ist radikal. Er will eine Wohnung für 10 Franken pro m2 Monatsmiete realisieren. Eine Wohneinheit mit 60 m2 Wohnfläche soll demnach für 600 Franken Monatsmiete zu haben sein. Das Projekt widerspricht damit sämtlichen Tendenzen im Wohnungsbau, wo die Kosten in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich gestiegen sind. «Ein minimales Wohnkonzept bringt auch finanzielle Freiheit. Durch die Reduktion auf das Wesentliche, werden die Kosten minimiert», heisst es im Projektbeschrieb. Das tönt einfach, wirft aber viele Fragen auf. Wir haben den 61-jährigen Degelo im Interview damit konfrontiert.

Architektur Basel: Herr Degelo, sie verkünden: „Die Zeiten der Wohnnormen sind vorbei.“ Das erinnert stark an die modernen Architekten am Anfang des 20. Jahrhunderts, die ähnlich radikal argumentierten. Wie sind Sie zur Überzeugung gelangt, dass jetzt tatsächlich Schluss mit den Wohnnormen ist?
Heinrich Degelo: «Der überaus grösste Teil bestehender Wohnungen richtet sich an Wohnbedürfnisse sozialer Strukturen, die nur noch bedingt zutreffen, nämlich an Familien mit 1 bis 2 Kindern. Die Realität sieht heute anders aus. Die Mehrzahl der Haushalte besteht aus einer Person, Alleinerziehenden, Patchworkfamilien, Familien mit getrennt lebenden beziehungsweise geschiedenen Eltern et cetera. Auch wenn heute vermehrt spezifisch Wohnungen für Studenten, für Künstler, für Alte oder irgend eine andere Bevölkerungsgruppe entstehen, diese Wohnungen können immer nur das eine. Homebase ist wandelbar. Die Wohnungen lassen sich leicht auf veränderte Bedürfnisse umgestalten.»

Homebase

Wohnen und Arbeiten an einem Ort: Homebase bietet nutzungsoffene Räume

Stichwort: wandelbar. Als ich Ihr Projekt das erste Mal gesehen haben, musste ich unweigerlich an das superminimalistische, fast spartanische Co-Op-Interieur (1926) von Hannes Meyer denken. Gibt es weitere Vorbilder, die Sie bei der Ideenfindung inspiriert haben?
«Mehr noch als hoch funktionale, druchgestaltete minimale Räume geht es bei Homebase um die Leere, die Freiheiten und Möglichkeiten gibt. Die Lofts in den umgenutzten Fabriken von New Yorker waren für uns ein wichtiges Beispiel wie Bewohner sehr kreativ mit vorhandenen Freiheiten umgehen können.»

«Unterschiedliche Lebensphasen verlangen nach verschiedenen Wohnkonzepten. Wohngemeinschaften werden zu Single-Wohnungen, zu Familienräumen und schliesslich zu Alterswohnungen.»

Ein Hauch New York für Basel also. Sie wollen den Menschen die maximale Freiheit zur Verwirklichung des eigenen Lebensentwurfs geben. Glauben Sie nicht, dass das in Bezug auf die Gestaltung und Nutzung des Wohnraums auch eine Überforderung sein könnte?
«Bei schlechten Wohnungsgrundrisse von Neubauprojekte sehe ich manchmal eine grössere Überforderung wenn es darum geht nur gerade für die nötigen Möbeln einen Platz zu finden. Die Freiheit in der Gestaltung ist vielen Menschen wichtiger, als genormter Komfort. Homebase bietet ein minimales, aber funktionales Konzept. Die Räume können, müssen aber nicht verändert werden. Das Konzept ermöglicht Freiräume und damit die Möglichkeit den eigenen Lebensentwurf auch bei der Wohnform zu verwirklichen. Unterschiedliche Lebensphasen verlangen nach verschiedenen Wohnkonzepten. Wohngemeinschaften werden zu Single-Wohnungen, zu Familienräumen und schliesslich zu Alterswohnungen. Homebase lässt sich jederzeit den eigenen, veränderten Bedürfnissen anpassen.»

Homebase ist eine Genossenschaft. Das heisst nicht renditeorientiert. Inwiefern überschneiden sich Genossenschaftsgedanke und ihre Vision eines Wohnraums, der sich den individuellen Lebensentwürfen anpasst?
«Ich sehe hier keinen Widerspruch. Genossenschafter befinden sich in einem quasi-unkündbaren Mietverhältnis. Eigene Investitionen in die Wohnung werden durch ungewollte Kündigungen nicht hinfällig. Genossenschafter sind gleichzeitig auch Teil-Eigentümer. Die Bindung an die Wohnung dürfte allein aus dieser Sicht langfristiger angelegt sein als die eines Mieters.»

Homebase

Gestern Dubai, heute Homebase, morgen Los Angeles. Eine Wohnung für urbane Nomaden

Kommen wir zur Gebäudetechnik: Sie wollen tatsächlich ein Haus schaffen, dass ohne Heizung auskommt. Sind Sie aufgrund der Klimaerwärmung so optimistisch – oder wie soll das bei Minusgraden im Winter funktionieren? Werden dann die individuellen, stromfressenden Elektroöfen hervorgeholt?
«Die Stiftsbibliothek in St. Gallen hat keine Heizung und keine Lüftung. Trotzdem beherbergt sie über tausend jährige Bücher unter Bedingungen die vorbildlich sind für Archive. Unter anderem wird das möglich durch die die Erfahrung der Mönche die wissen, dass nach einer grossen Besuchergruppe kurz gelüftet werden muss. Da wir von künftigen Bewohnern keine mönchhafte Disziplin erwarten, bauen wir ein System ein, das die Lüftungsflügel nach Bedarf, das heisst dem CO2 Wert und der Temperatur folgend bedient. Die sehr gute Wärmedämmung und die grosse träge Masse erzeugen zusammen mit der diffusen Strahlung und den internen Lasten wie Beleuchtung und Abwärme aus Kühlschrank et cetera auch bei Kälteperioden angenehme Temperaturen.»

Die Stiftsbibliothek in Ehren, aber wir sollten keine Birnen mit Äpfeln vergleichen. Mal abgesehen von den haustechnischen Fragen, wie sieht es bei den ökonomischen Faktoren aus? Sie fordern explizit, dass das Wohnen wieder günstig werden muss. Weshalb ist es denn überhaupt teuer geworden?
«Die Standardwohnung deckt alle erdenklichen Bedürfnisse ab. Es ist somit ein All-in-Angebot. Die Wohnkosten decken also auch Elemente ab, die für den individuellen Nutzer nicht relevant sind.»

Ganz anders in der Homebase: Hier soll eine Wohnung mit 60m2 lediglich 600 Franken Monatsmiete kosten. Das scheint in Anbetracht der heutigen Neubaupreise unvorstellbar. Von welchem Kubikmeterpreis der Baukosten gehen Sie bei Ihrer Berechnung aus?
«Das sind 400 Franken je m3 für alle Kosten.»

«Die Standardwohnung deckt alle erdenklichen Bedürfnisse ab. Es ist ein All-in-Angebot. Die Wohnkosten decken auch Elemente ab, die für den Nutzer nicht relevant sind.»

Beeindruckend! Wobei: Ein grosser Preistreiber sind auch die steigenden Landkosten. Der Bodenwert hat in den letzten Jahren stark zugenommen, was sich direkt auf die Mieten auswirkt. Ist es realistisch, dass Sie Ihren angestrebten Mietpreis von 10 Franken pro Quadratmeter in Basel erreichen? Oder werden Sie bei Ihrer Suche nach Bauland eher abgelegene Orte mit tiefen Bodenpreisen bevorzugen?
«Um einen Mietpreis von CHF 10/m2/Mt. halten zu können, müssen auch die Landkosten moderat sein. Für Homebase suchen wir nach Land im Baurecht. Es gibt Angebote, welche es ermöglichen, diese Preisziel zu erreichen in Basel aber auch in anderen Städten.»

Wir sind gespannt. Erlauben Sie mir eine abschliessende Frage: Wann dürfen wir über die erste realisierte Homebase berichten?
«Homebase kann realisiert werden, sobald die Genossenschaft über ein entsprechendes Grundstück verfügt. Die Planungs-, Bewilligungs- und Realisationszeit schätzen wir auf eineinhalb bis zwei Jahre. Der Engpass liegt also beim Grundstück.»

Interview: Lukas Gruntz / Archtektur Basel


Weitere Infos zum Projekt:
http://www.homebase.swiss/

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