Kritischer Klybeck-Spaziergang: «Wir müssen diese Vision haben.»

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Das Wetter spielt mit. Die Sonne scheint an diesem Freitagvormittag im Klybeck. Hier haben wir eine Verabredung. Zusammen mit Vertreter:innen vom Entwurfsteam des städtebaulichen Leitbilds, Michael Roth, Isabel Halene von Diener & Diener Architekten und Lars Ruge von Vogt Landschaftsarchitekten begibt sich eine Delegation unserer Redaktion auf einen kritisch-diskursiven Spaziergang durch das grösste Tranformationsareal unserer Stadt. Dabei interessieren uns besonders folgende Fragen: Welche Qualitäten sind heute vorhanden? Was bleibt erhalten – und was verändert sich?

Erklärungen von Architekt Michael Roth: Der Klybeckplatz spielt eine entscheidende städtebauliche Rolle © Armin Schärer / Architektur Basel

Klybeckplatz: Die Frage nach dem menschlichen Massstab
Wir beginnen im Zentrum, auf dem künftigen Klybeckplatz – der heute eher einer Kreuzung, einem zerfransten Stadtraum, geprägt von Verkehrslärm, gleicht. Die Aufenthaltsqualität ist bescheiden. Landschaftsarchitekt Lars Ruge betrachtet es nüchtern: «Momentan gibt es sehr viele Verkehrsflächen.» Künftig werde es auf dem Platz mehr Aufenthaltsmöglichkeiten geben. «Er wird in Zukunft grösser. Einige Gebäude werden zurückgebaut.» Wir fragen, ob der Platz dabei nicht in Einzelteile zerfällt. Der Verkehr wird auch in Zukunft prägend bleiben. Schliesslich kommt eine zweite Tramlinie dazu. Ruge entgegnet: «Wir suchten ursprünglich nach Lösungen, den Klybeckplatz als einen zusammenhängenden Platz zu denken, merkten dann aber, dass eine Gliederung und Unterteilung sinnvoller sind.» Der Klybeckplatz werde gemäss Leitbild aus vier Teilbereichen bestehen. Erhalten bleibt der Vorplatz der mies’schen Kantine von Suter & Suter: «Aus denkmalpflegerischer Sicht soll der ruhig gestaltete Vorbereich des Gebäudes als Vorzone erhalten bleiben. Dieser wird in das Konzept des Platzes integriert und bildet so einen der vier Teilbereiche.»

«Der Klybeckplatz ist eine für Basel völlig neue Dimension.»

© Kanton Basel-Stadt, Rhystadt AG, Swiss Life AG

Kritisch diskutieren wir die Frage der Dimension: Ist der Platz nicht völlig überdimensioniert? Wird dem menschlichen Massstab genügend Rechnung getragen? Lars Ruge sagt: «Man muss sich der Grösse des Klybeckplatzes bewusst sein. Er ist viel grösser als der Barfüsserplatz oder der Marktplatz. Der Klybeckplatz ist eine für Basel völlig neue Dimension.» Das macht die Einordung schwierig. Referenzen sind dabei mehr oder weniger hilfreich. «Der Place de l’Étoile in Paris dient in seiner sternförmigen Vernetzung des umliegenden Quartiers als Referenz für den Klybeckplatz, hingegen nicht als formaler Vergleich», erklärt Architekt Michael Roth. Der grossartige Platz in Paris scheint an diesem Freitagvormittag weit entfernt. Der Stadtraum vor unseren Augen wirkt eher provinziell-industriell. Der Place de l’Étoile erhebt sich hingegen in seiner repräsentativen Monumentalität über den menschlichen Massstab. Nicht von ungefähr wollte Napoleon damit seine autokratische Macht räumlich manifestieren. Architektin Isabel Halene erklärt die städtebauliche Bedeutung: «Der Klybeckplatz soll ein übergeordneter Platz für Basel werden. Über den Klybeckplatz wurde viel geredet im bisherigen Prozess. Im Moment ist die Wichtigkeit des Klybeckplatzes noch nicht sichtbar.» Man strebe Grosses an: «Einen solchen Platz gibt es in der Schweiz noch nicht. Wir müssen diese Vision haben.»

«Die wesentlichen öffentlichen Räume wie die Klybeckmatte und die Promenade werden an den Kanton übergehen und zur Allmend. Bei der Esplanade ist die Eigentumsfrage hingegen komplexer»

Eine neue Dimension? Unsere Redaktion bewegt die Frage nach dem menschlichen Massstab © Armin Schärer / Architektur Basel

Promenade: Wem gehört der Freiraum?
Wir setzen uns in Bewegung. Durch die Pforte betreten wir die verbotene Stadt. Hier soll künftig die ‚Promenade‘ als Lebensader den Klybeck-Platz mit der Wiese verbinden. Davon ist noch wenig zu spüren. Die brandneuen BVB-Elektrobusse fahren ein und aus. Die Sonne wärmt den Asphalt, der allgegenwärtig ist. Michael Roth erklärt: «Wir haben es beim Klybeck mit einem bis anhin geschlossenen Areal zu tun, in dessen schrittweiser Öffnung und Transformation für die Öffentlichkeit enorm viel Potential steckt. Derzeit sind beispielsweise ungefähr 90% der Fläche versiegelt. Die Qualitäten der Klybeckpromenade zwischen Rhein via Gleisharfe zur Wiese sind räumlich bereits angelegt, momentan aber noch ungenutzt.» Uns beschäftigt, wem der öffentliche Raum künftig gehört. Wird er zur Allmend? «Der städtebauliche Vertrag wird zurzeit aufgrund des Leitbilds erstellt. Die wesentlichen öffentlichen Räume wie die Klybeckmatte und die Promenade werden an den Kanton übergehen und zur Allmend. Bei der Esplanade ist die Eigentumsfrage hingegen komplexer», erläutert Roth.

Status quo: Viel Asphalt, wenig Grün… © Armin Schärer / Architektur Basel

Wir bleiben stehen. Der Blick wandert hinüber zu den Backsteinbauten, welche die Rhystadt AG vorzeitig abbrechen möchte. Wir fragen die Architekten, was sie von deren Kritik an der Langsamkeit des Planungsprozesses halten. «Bereits die Erarbeitung des Leitbilds erforderte zweimal so viel Zeit wie ursprünglich angedacht», betont Michael Roth: «Die Komplexität einer solchen Transformation ist nicht zu unterschätzen. Bis hier die erste Wohnung gebaut wird, wird es noch Jahre dauern. Auch die rechtlichen Grundlagen dazu werden zurzeit erarbeitet.»

Die Bebauungsstruktur eigne sich «besonders, um eine kleinteilige Parzellierung vorzunehmen, die auch kleinen gemeinnützigen Bauträgern ermöglichen soll, Projekte zu realisieren.»

© Kanton Basel-Stadt, Rhystadt AG, Swiss Life AG

Klybeckmatte: Tabula Rasa oder Befreiungsschlag
Wir erreichen die Gleisharfe. «Die Naturschutzfläche muss erhalten, aber auch geschützt werden, wenn die Zone künftig für die Öffentlichkeit zugänglich wird», erklärt Lars Ruge. Hinter dem Zaun sehen wir das Ufer der Wiese. Das Wasser glitzert in der Sonne. Hier sieht das Leitbild ein umfangreiches Tabula Rasa vor. Die bestehende Bebauung soll komplett weichen. Dabei handelt es sich mitunter um Bauten, die offensichtlich in bestem Zustand sind. Unsere Diskussion zeigt, dass der Abbruch alles andere als gewiss ist: «Aufgrund der Tatsache, dass im Osten des Areals noch länger produziert werden wird, kann man sich vorstellen, dass künftige Planungen hier in Teilen vom Leitbild abweichen könnten. Unsere heutige Güterabwägung könnte dann anders beurteilt werden.» So weit ist es noch nicht. Der aktuelle Entwurf sieht eine Neuinterpretation der gründerzeitlichen Blockränder rund um einen «Volkspark» vor. Ursprünglich waren Diener & Diener stärker von der bestehenden Bebauungstruktur ausgegangen. Weshalb ging diese Haltung verloren? «Wir haben in der Testplanung 2017 versucht, diese Struktur beizubehalten, worunter die Freiraumversorgung und -qualität litt», sagt Michael Roth.

Abbruch oder Erhalt? Die Bauten im Hintergrund sorgen für angeregte Diskussionen © Armin Schärer / Architektur Basel

Der jetzige Städtebau sei ein «Befreiungsschlag» gewesen, «Die Klybeckmatte wird als eine neue Setzung mit einem Park zu einem wesentlichen Beitrag zur Lebensqaulität im Klybeck». Die Bebauungsstruktur eigne sich «besonders, um eine kleinteilige Parzellierung vorzunehmen, die auch kleinen gemeinnützigen Bauträgern ermöglichen soll, Projekte zu realisieren.» Leider ist die Parzellierung im Leitbild nirgends sichtbar. Die Eigentümerschaft sieht bisher keine Landabgabe an Genossenschaften vor. An dieser Stelle wäre etwas weniger Schematismus hilfreich gewesen, um unserer Skepsis zu begegnen. Die grossen Blöcke wirken auf uns vor allem als eines: investorentauglich. Wir bemängeln die fehlende Verbindlichkeit einer kleinteiligen Entwicklung für Genossenschaften. Roth sagt dazu: «Die Umsetzung einer in Teilen kleinteiligen Grundeigentumsverteilung wird Gegenstand von laufenden und bevorstehenden Verhandlungsprozessen und stellt hohe Ansprüche an alle.» Wir verstehen nicht, was daran dermassen «hohe Ansprüche» stellen soll. Das Baurecht ist ein altbekanntes Instrument. Die Stiftung Habitat hat im Lysbüchel vorgemacht, wie es geht. Unumstritten sei hingegen die Matte, wie Isabel Halene bekräftigt: «Der Volkspark in dieser Dimension wird von allen Beteiligten getragen.»

«Generell sind die Bestandsbauten die Treiber der frühen Transformation, am Klybeckplatz wie auf der Esplanade. Sie eignen sich in der Regel auch am besten für andere Nutzungen und erfordern keine vorgängige Umzonung in Wohnraum»

«Art without an artist» © Armin Schärer / Architektur Basel

Esplanade: Baumdach und Hecken
Wir kehren zurück und überqueren die Klybeckstrasse. Nach dem Passieren des Sicherheitschecks auf der anderen Seite betreten wir den Arealteil, der künftig als innovative Hochhausstadt für Furore sorgen soll. Er hört auf den Gallizismus namens «Esplanade». Michael Roth erklärt uns die Wortherkunft: «Der Begriff Esplanade bezieht sich auf historische Vorbilder, ursprünglich meist militärisch genutzte Freiflächen auf einer Ebene, oft etwas erhöht gelegen. Im Basler Kontext finden wir das Vorbild im Petersplatz, der ebenfalls baumbestanden leicht erhöht über dem Petersgraben liegt» Im Klybeck stelle die «Esplanade» das grösste städtebauliche Wagnis dar: «Es gibt wenige Referenzen, auf die wir uns beziehen können.» Wir kritisieren die wild zusammengewürfelten Bauvolumen. Ein Kreis da, ein Polygon hier, ein Rechteck dort. Wie soll der Freiraum gegliedert werden? «Uns war wichtig, eine Grundstruktur zu schaffen, die die Gesamtidee definiert, aber trotzdem sehr knautschfähig ist. Unabhängig davon, ob hier ein Altersheim, ein Restaurant oder Wohnungen entstehen. Es sollte nicht passieren, dass die Umgebung für jede der Gebäude einzeln geplant wird und dann in Elemente zerfällt, die nicht zusammenspielen», erläutert Lars Ruge die städtebauliche Konzeption. Michael Roth gerät ins Schwärmen: «Die zahlreichen Bäume, unter deren Kronen man sich bewegt, sind klimatisch von grosser Bedeutung. Die Punktbauten sind Wohnraum. Die Erdgeschosse sind öffentlich genutzt.»

«Die Hecke ist als ein räumlich ordnendes Element, welches das Nebeneinander vielfältiger Funktionen ermöglicht, zu entdecken. Die Hecke ist interessanterweise als urbanes Element nicht so bekannt, sondern scheint nur in den Einfamilienhaussiedlungen der Agglomeration verortet.»

Baumdach und Gärten an der Esplanade © Kanton Basel-Stadt, Rhystadt AG, Swiss Life AG

Was passiert mit den Bestandesbauten? Könnten nicht mehr davon erhalten bleiben? «Die Frage, welche Bauten bestehen bleiben oder wieviel mehr Bauten bleiben können, ist noch nicht beantwortet», erklärt Roth. Dass die Transformation des Bestandes funktionieren kann, wird bereits bewiesen: Das K-26, ein ehemaliges Lagergebäude aus den 1930er Jahren, für das bereits ein Schutzvertrag abgeschlossen wurde, wird auf Basis eines Entwurfs von Baumann Lukas Architektur umgenutzt. «Generell sind die Bestandsbauten die Treiber der frühen Transformation, am Klybeckplatz wie auf der Esplanade. Sie eignen sich in der Regel auch am besten für andere Nutzungen und erfordern keine vorgängige Umzonung in Wohnraum», sagt Michael Roth. Zustimmendes Nicken in der Runde. Zuletzt diskutieren wir die Frage der Hecken, die im Aussenraums vorgesehen sind. Was hat ein derart spiessiges Element im urbanen Kontext des Klybecks verloren? Lars Ruge widerspricht: «Die Hecke ist als ein räumlich ordnendes Element, welches das Nebeneinander vielfältiger Funktionen ermöglicht, zu entdecken. Die Hecke ist interessanterweise als urbanes Element nicht so bekannt, sondern scheint nur in den Einfamilienhaussiedlungen der Agglomeration verortet.» Es sei in Vergessenheit geraten, dass die Hecke ein wichtiges Gestaltungselement der Volksparkbewegung gewesen sei und zum «sanitären Grün» im Städtebau der 1920er/1930er Jahre gehörte. «Zahlreiche Beispiele von Otto Linne, Leberecht Migge und anderen Gartenreformern in Hamburg, Berlin, Köln oder Frankfurt zeigen bis heute die Qualität dieses Elementes, auf welches wir uns bei den Stadtgärten im Klybeck wieder beziehen», erklärt uns Ruge. Eine kleine Lektion in Landschaftsarchitekturgeschichte am Rande sei gestattet. Dennoch irritiert uns, dass der Aussenraum teilweise privatisiert werden soll. In Anbetracht der hohen Nutzungsdichte ist das unverständlich. Die Architekten erläutern uns, dass dies nur in Ausnahmesituationen der Fall sei: «Kitas haben eigene Aussenbereiche. Sowas wäre privat. Es könnte aber auch Mietergärten geben, beispielsweise für den Gemüseanbau.» Das Grundmotiv sei hingegen: «Offen und durchlässig.» Wichtig sei die räumliche Verbindung zum Rhein, erklärt Ruge: «Hier kann man von überall her zum Rhein kommen.»

Michael Roth erläutert die städtebauliche Idee der Esplanade © Armin Schärer / Architektur Basel

Ende gut, alles gut? Der Diskurs lebt!
Die zwei Stunden waren im Nu verflogen. Ganz so diskursiv wie gewünscht gelang unser Spaziergang nicht. Teilweise war es etwas monologisch: Die drei Planenden hatten viel zu erklären, erzählen, begründen, abwägen, relativieren, präzisieren. Gerne hätten wir mit ihnen über Stadtrendite, die Annahme der Klimagerechtigkeitsinitiative, die Sanierung der Altlasten, die Bodenfrage und vieles mehr gesprochen. Dafür reichte die Zeit nicht. Zwischen den Zeilen spürten wir immer wieder, wie komplex und widersprüchlich die Interessenlagen der einzelnen Akteure sind. Ein Beispiel: Die Investoren wehrten sich anfangs gegen den Schulstandort im Zentrum des Areals. Sie wollten dieses Filetstück nicht einfach hergeben. Demgegenüber stand die Sicht der Stadtentwicklung, für die es kaum etwas Besseres als einen zentralen Bildungsbau zur Belebung und Verortung des Quartiers gab. Wir haben viel gelernt – und werten den Spaziergang als gelungenen Auftakt für den weiteren Diskurs zwischen Architektur Basel und den Projektverantwortlichen. Gesprächsverweigerung war gestern. Auf die kommende Debatte freuen wir uns. Denn: Das Klybeck geht uns alle etwas an. So viel ist nach unserem Spaziergang gewiss.

Text: Lukas Gruntz, Simon Heiniger, Martin Zwahlen / Architektur Basel
Fotos: Armin Schärer / Architektur Basel

Mehr als heisse Luft: Das Klybeck geht uns alle an  © Armin Schärer / Architektur Basel

 

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