REHAB Basel #1 – Die Klinik von Herzog & de Meuron, die den Spitalbau revolutionierte

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Über das höchste Gut wird bis heute philosophiert. Ist es das glückliche Leben? Oder das gute Leben? Ist es ein ,Leben in Fülle’? Wegen der Pandemie dürften viele Menschen die Frage nach dem höchsten Gut im Leben derzeit mit ,Gesundheit’ beantworten. Die Gesundheit ist laut Definition der WHO „ein Zustand vollständigen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Krankheit oder Gebrechen.“ Was aber, wenn man krank ist?

Zu seinem 20-jährigen Jubiläum berichten wir über ein Klinikgebäude von Herzog & de Meuron, das seinen Zweck nicht nur erfüllt, sondern alle Erwartungen übertrifft und den Spitalbau revolutionierte – das REHAB Basel, Klinik für Neurorehabilitation und Paraplegiologie. In einer dreiteiligen Serie betrachten wir das REHAB mit architektonischem Blick, erleben die Klinik aus der Sicht der NutzerInnen, den PatientInnen und Mitarbeitenden, und blicken mit Christine Binswanger, die das Projekt umgesetzt hat, zurück und voraus.

Das REHAB Basel, am Rande der Stadt © Thoma Ruedi Rieger

Das REHAB Basel, am Rande der Stadt © Thoma Ruedi Rieger

Das Schweizerische Paraplegikerzentrum Basel wurde 1967 vom Bürgerspital Basel eröffnet und 1992 um den Fachbereich Neurorehabilitation ergänzt. 1997 übernahm die gemeinnützige REHAB Basel AG den Betrieb und lobte kurze Zeit später einen anonymen Wettbewerb für den Neubau einer hochspezialisierten Klinik für die Rehabilitation von querschnittgelähmten und hirnverletzten Menschen aus. Die funktionalen und gestalterischen Anforderungen an den Neubau waren höchst komplex, denn er musste den unterschiedlichen Bedürfnissen der PatientInnen gerecht werden und sollte obendrein nicht wie ein Spital wirken. Die Architekten Herzog & de Meuron machten den Wunsch der Bauherrschaft zum Konzept und gewannen den Wettbewerb. 2002 wurde das neue Klinikgebäude eröffnet und in der Zwischenzeit bereits erweitert.

„Die Bauherrschaft formulierte für die Architekten von Anfang an einen ausdrücklichen Wunsch: Das neue REHAB sollte nicht wie ein Spital aussehen und sich nicht wie ein Spital anfühlen. Was sollten wir also nicht tun? Was ist ein Spital? Aufzüge und innenliegende Gänge, flankiert von unzähligen Türen zu Zimmern oder Untersuchungsräumen, ein Wartebereich am Ende des Flurs oder neben dem Aufzug. Das Ganze auf so vielen Etagen wiederholt, wie es der Bebauungsplan zulässt. Eine wirtschaftliche Lösung, weil es in hohem Masse repetitiv ist und keine Änderung des Personalverhaltens erfordert.“
Herzog & de Meuron, 2008

Nach einem Unfall oder einer Krankheit leben die PatientInnen oft für mehrere Monate in der Rehabilitationsklinik. Sie überwinden den Schicksalsschlag und um die grösstmögliche Selbstständigkeit zurückzugewinnen, arbeiten sie mit TherapeutInnen und ÄrztInnen an ihren individuellen Therapiezielen. Sie gestalten ihre Freizeit, wohnen in der Klinik und verbringen Zeit mit Familie und Freunden. Ein ähnlicher Tagesablauf, wie ihn jeder kennt. Mit einem Unterschied – alles passiert an einem Ort. Deshalb haben die Architekten ein vielfältiges und abwechslungsreiches Gebäude entworfen. Vielmehr eine kleine Stadt, mit Wegen, Plätzen und Gärten, mit öffentlichen und privaten Räumen.

Der Zugang zum Gebäude erfolgt über den öffentlichen Eingangshof © Katalin Deér

Der Zugang zum Gebäude erfolgt über den öffentlichen Eingangshof © Katalin Deér

Das horizontal ausgerichtete, zweigeschossige Gebäude liegt lang und flach in der landschaftlichen Umgebung im Burgfelderhof, direkt an der französischen Grenze. Die Architektur setzt sich aus Innen- und Aussenräumen zusammen, deren Verbindung das gestalterische Thema ist. Der Zutritt erfolgt über einen Aussenraum, dem öffentlichen Eingangshof, das Ankommen im Innenraum, einer grosszügigen Eingangshalle. Das Bistro befindet sich neben dem Eingang und belebt die beiden Räume gleichermassen. Das Gebäude hat eine Grundfläche von 9’500 Quadratmetern und wird im Inneren über zehn Höfe belichtet. Die mit landschaftlichen und architektonischen Mitteln erzeugte, unterschiedliche Gestaltung der Innenhöfe, ermöglicht eine Orientierung ohne Schilder. Lange Gänge oder Sackgassen gibt es nicht, stattdessen können verschiedene Wege gewählt werden, um sich barrierefrei durch die Klinik zu bewegen.

Der Grundriss des Erdgeschosses © Herzog & de Meuron

Der Grundriss des Erdgeschosses © Herzog & de Meuron

Querschnitt durch das Gebäude © Herzog & de Meuron

Querschnitt durch das Gebäude © Herzog & de Meuron

Die therapeutischen Einrichtungen gruppieren sich im Erdgeschoss um die Innenhöfe. Auf der IMCU-Station (Intermediate Care Unit) kommen die PatientInnen nach der Erstversorgung im Akutspital an und verlassen diese, wenn die intensiv-medizinische Behandlung abgeschlossen ist. Therapien wie Logopädie oder Ergotherapie finden um den Innenhof mit den Birken, auch,Birkenwäldchen’ genannt, statt. Für die Physiotherapie steht eine Sporthalle und ein Sportplatz zur Verfügung, lediglich durch eine grosszügige Glasfassade getrennt. Im dazwischenliegenden Innenhof sitzt das Badehaus. Mit einem Pyramidendach aus Beton und mit Gummi überzogen, stellt es einen spannungsreichen Antikörper im sonst homogenen Gefüge dar. Durch kleine, kreisförmige Öffnungen dringt wenig Licht in das Therapiebad, was es zu einem intimen Raum macht. Die tiergestützte Therapie besuchen die PatientInnen im Therapie-Tiergarten gegenüber dem Klinikgebäude.

Das Badehaus mit Therapiebad © Katalin Déer

Das Badehaus mit Therapiebad © Katalin Déer

Mit ehemaligen PatientInnen betrachten wir im nächsten Teil die Patientenzimmer im ersten Obergeschoss, die von den Architekten speziell für das REHAB Basel entwickelt wurden. Auf dem Dach befindet sich, neben der Rekreation und dem Übungswohnen, neu auch die Tagesklinik. Mitarbeitende erklären, wie das Klinikgebäude vor kurzem umstrukturiert, und um die neue SAP-Station (Station für schwer verhaltensauffällige Patienten) im Erdgeschoss erweitert wurde.

„Funktionalität und Ästhetik schliessen sich nicht aus.“
Pierre de Meuron, 2017

Der Kernbau wurde aus Geschossdecken in Beton und Stützen in Stahl erstellt, das vorherrschende Material ist jedoch Holz, das auf unterschiedlichste Art und Weise zur Anwendung kommt. Die Vorhangfassade setzt sich beispielsweise aus runden Holzstäben unterschiedlicher Länge zusammen, die mit schimmernden ,Acrylglas-Perlen’ verbunden sind. Als natürliches Material, mit angenehmer Haptik, generiert Holz eine behagliche Atmosphäre und altert durch und mit der Witterung. Die Spuren des Alters werden als gestaltendes Element verstanden und als solches geschätzt. Grosse, raumhohe Glasfassaden bringen Tageslicht in das Gebäudeinnere, schaffen Transparenz und ermöglichen Durchblicke. Ergänzt wird die Ausstrahlung des Klinikgebäudes durch das Grün der Pflanzen. Auffällig ist ausserdem die vorherrschende Ruhe und der nicht vorhandene ,Spitalgeruch’. Auch wenn die Aussage in Anbetracht der Nutzung des Gebäudes paradox klingen mag, aber man fühlt sich im REHAB Basel unwillkürlich wohl.

Situationsplan der Landschaftsarchitektur © August Künzel Landschaftsarchitekten AG

Situationsplan der Landschaftsarchitektur © August Künzel Landschaftsarchitekten AG

Für die Gestaltung der Aussenräume und Innenhöfe, die ein integraler Bestandteil des Klinikgebäudes ist, arbeiteten die Architekten Herzog & de Meuron eng mit den Landschaftsarchitekten August und Margrith Künzel zusammen. Die architektonische und landschaftliche Gestaltung verschränkt Gebautes und Gewachsenes. Sie lässt den Innenraum nach aussen strahlen, zieht den Aussenraum nach innen und stellt Verbindungen zwischen den Räumen her. Weil die Veränderungen während unterschiedlicher Tages- und Jahreszeiten wahrgenommen werden können, kann die Aussenwelt im Gebäude erlebt werden. Die Umgebungsgestaltung greift die vorhandenen Elemente der Landschaft auf und führt sie auf natürliche Art und Weise fort. Den Kontrast dazu bilden künstliche Formen von Natur. Wasserbecken, Kiesgärten und Topfpflanzen erzeugen eine spannungsvolle Ergänzung. Das Gebäudedach ist eine intensiv begrünte Dachlandschaft und kann von der Dachterrasse wahrgenommen und erlebt werden.

„Wir wollten […] jedem Hof einen eigenen Charakter geben, der sich aus dem unmittelbaren Umfeld definiert.“
August Künzel, 2002

Mit der vielfältigen Gestaltung entstand ein Klinikgebäude für Mitarbeitende, PatientInnen und Angehörige, das der Vielschichtigkeit ihrer Bedürfnisse gerecht wird. Weil Herzog & de Meuron vorherrschende Annahmen hinterfragten und sich nicht auf bewährt geglaubte Standards verliessen, haben sie mit dem REHAB Basel ein architektonisches und humanistisches Meisterwerk geschaffen, geprägt von Neuinterpretation, Kreativität und Innovation. MedizinerInnen, WissenschaftlerInnen und Spitäler lernen bis heute vom REHAB. Auch die Architekten selbst, wie wir im letzten Teil der Serie erfahren werden.

Das REHAB Basel © Katalin Deér

Das REHAB Basel © Katalin Deér

«Heilsame Architektur» ist ein grosser Begriff. Im nächsten Teil sprechen wir mit denjenigen, die die Existenz und den Erfolg einer solchen am besten beurteilen können – den zu heilenden Patientinnen und Patienten. Sie erzählen von ihrer Zeit im REHAB Basel und wie sie das Gebäude aus der Sicht einer zeitweise gelähmten Patientin und eines querschnittgelähmten Patienten wahrgenommen haben. Ausserdem schildern Mitarbeiterinnen, wie sie die Zusammenarbeit mit den Architekten für die Umstrukturierung und Erweiterung des Klinikgebäudes erlebt haben und erläutern, was ein solches Gebäude leisten muss und kann, damit sie ihren Beruf, für die Rehabilitation der PatientInnen, bestmöglich ausüben können.

Text: Johanna Bindas / Architektur Basel


Alle, die neugierig geworden sind, sollten sich das Wochenende vom 14. und 15. Mai 2022 vormerken. Dann kann das REHAB Basel im Rahmen der Veranstaltung «Open House Basel» besucht werden.

Am Samstag, den 21. Mai 2022 findet anlässlich des Jubiläums der «Tag der offenen Tür» statt. Dann öffnet das REHAB Basel von 11 – 18 Uhr seine Türen.


Quellen:
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erzog & de Meuron. Rehab Basel: Räume zum Wohlfühlen. In: Hochparterre: Zeitschrift für Architektur und Design, 2003, Band 16, Heft 4: Hindernisfrei bauen: auf dem Weg zu einem Standard, Seite 10-13. ETH Zürich, www.e-periodica.ch, http://doi.org/10.5169/seals-122124
– ZEITRÄUME. Passagen durch das REHAB Basel. Mit Dr. med. Mark Mäder, Chefarzt REHAB Basel und Christine Binswanger, Architektin Herzog & de Meuron. VISAVISTA AG, 2009
– 50 Jahre REHAB Basel. Das Magazin zum Jubiläum. Eine Publikation des REHAB Basel in Zusammenarbeit mit NZZ Media Solutions AG. Herausgeber: REHAB Basel, Christine Kilcher (Projektleitung), Realisation: NZZ Content Solutions, Elmar zur Bonsen
– www.herzogdemeuron.com
– www
.swiss-architects.com/august-and-margrith-kunzel-basel-binningen
– www.rehab.ch

 

 

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