Riehen liegt zwischen Japan und Brasilien: Ein radikales Wohnhaus von Barcelo Baumann

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Riehen ist ein gutes Pflaster für radikale Wohnbauten. Hier entstanden in den 1920er-Jahren die ersten konsequent-modernistischen Wohnhäuser der Region. Architekten der damaligen Avantgarde namentlich Artaria & Schmidt oder Otto und Walter Senn realisierten im dörflich-beschaulichen Kontext moderne Meisterwerke. Auch in der Nachkriegsmoderne finden sich herausragende Bauten wie beispielsweise das Haus Sulzer (1953 – 1956) von Rasser & Vadi. 100 Jahre nach dem Bau der ersten modernen Wohnikonen in Riehen reihen sich Barcelo Baumann mit einem sehenswerten Neubau in diese Tradition ein.

Haus Klemm in Riehen von Barcelo Baumann © Thomas Baumann, Zürich

Typologisch bezieht sich das Haus auf die Villenvorbilder der Moderne. Ein Geschoss mit grossem, offenem Wohnraum wird kombiniert mit einem räumlich komprimierten Schlafgeschoss. Wo bei den Vorbildern aus den 1920er und 1930er-Jahren der Wohnraum meistens im Erdgeschoss und die Schlafzimmer im Obergeschoss angeordnet sind, erproben Barcelo Baumann die Umkehrung: Im Erdgeschoss befinden sich drei Schlafzimmer sowie sämtliche Bäder und Toiletten und im darüberliegenden Obergeschoss ist der grosse, offene Wohnraum angeordnet. Das Erdgeschoss wird in drei Raumschichten gegliedert. Eingang und Treppenhaus, Schlafzimmer und Büro, sowie das Masterbedroom mit eigenem Bad und Ankleide. Die drei Zimmer sind allesamt gegen Süden zum Garten hin orientiert, die Nasszellen befinden sich an der Nordfassade, wobei die strassenseitige Einsicht durch ein Filterschicht bestehend aus Lamellen verhindert wird. Den Zimmern ist eine Veranda vorgelagert, die den Raum zum Garten hin erweitert. 

Querschnitt: Haus Klemm in Riehen © Barcelo Baumann

Über eine eine einläufige Treppe erreicht man den grossen Wohnraum im Obergeschoss, der sich aus folgenden Elementen zusammensetzt: Eine endlos lange Küchenzeile im Norden, ein Buffet mit zenitalem Oberlicht, ein Betoncheminée an der Westfassade sowie eine grosse Fensterfront mit vorgelagertem Balkon gegen Süden. Der Wohnraum ist ganz im Sinne der Moderne ein Ausdruck maximaler Grosszügigkeit.

Offenheit und Ausblick: Der Wohnraum im Obergeschoss © Thomas Baumann, Zürich

Ein «plan libre», der von einigen wenigen, gezielt gesetzten und artikulierten Elementen definiert wird. Der Rest ist Offenheit und Ausblick, Transparenz und Durchlässigkeit. Neben der eindrücklichen Küche, die ganz ohne Hochschränke auskommt, fällt der Versatz in der Decke auf. Er gliedert den Raum in Querrichtung. Das Haus findet seinen Abschluss in einem einseitig südorientierten Attikaraum mit integrierten Bücherregalen in der Rückwand. Eine Bibliothek und Studierzimmer zugleich – die zudem über einen formidable Weitsicht verfügt.

Grundriss 1. Obergeschoss Haus Klemm in Riehen © Barcelo Baumann

Das Haus funktioniert als kraftvolle Betonstruktur. Markante Unter- bzw. Überzüge an den Flanken verleihen dem Ausdruck. Ausserdem sind Wände und Decken im Innern in Sichtbeton ausgeführt. Die Architekten lassen im beschaulichen Riehen brutalistische Vorbilder aus Brasilien aufleben. Und spätestens bei der Materialisierung der Fassade wird die Erinnerung an die japanische Baukultur geweckt. Dürfen wir vorstellen: «Shou Sugi Ban». Die vertikalen Holzverkleidung wurde nach traditioneller japanischer Brenntechnik behandelt. Durch leichtes Verkohlen der unbehandelten Holzoberfläche wird eine Wasserresistenz und somit Langlebigkeit, sowie durch die Karbonisierung ein Schutz vor Insekten erreicht. Das Resultat ist von atemberaubender Schönheit: Das Relief der verkohlten Oberfläche wird von einem tiefgründigem Glanz überlagert. Japanische Poesie in Riehen.

Edle Holzfassade mit «Shou Sugi Ban» © Barcelo Baumann

Farblich übt sich das Haus in edler Zurückhaltung. Es dominieren Schwarz-, Braun- und Grautöne – dunkel geöltes Eschenholz, roher Stahl, gebürsteter Edelstahl und im Dachgeschoss ein geschliffener Zementboden. Die Kombination der rohen, kraftvollen Materialien verleiht den Räumen Charakter und Tiefe. Man könnte von einem Bau in bester brutalistischer Manier sprechen, wobei wir wieder bei den brasilianischen Vorbildern angekommen wären… Der Blick wandert aus dem Wohnzimmerfenster über die Hügel Richtung Chrischona zur Linken und Basel zur Rechten. Man ahnt, dass Riehen irgendwo zwischen Brasilien und Japan liegt.

Text: Lukas Gruntz / Architektur Basel


Haus Klemm
Architekten: Barcelo Baumann, Basel
Ort: Auf der Bischoffhöhe 28, Riehen
Baujahr: 2019

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