Wider den Abriss – Die NILBO-Bauweise als Chance

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Die Debatte über die fragliche Gebäudeabrisspraxis in der Schweiz erhielt dank der Ausstellung im Schweizerischen Architekturmuseum im Herbst vergangenen Jahres Aufwind. Viele wollen etwas verändern, doch ist es gar nicht so einfach, den Paradigmenwechsel auch zu vollziehen. Denn unsere Komfort- und Sicherheitsansprüche und die darin sich spiegelnden Baugesetze, -normen, -auflagen und -empfehlungen, sowie der renditeorientierte Umgang mit Grund und Boden aber auch die dem Landschaftsschutz dienende ‘Verdichtung nach innen’ sind Kräfte, welche bestehende Bausubstanz in Bedrängnis bringen.

Anhand eines kleinen, lokalen Beispiels sei vor einem voreiligen Abriss gewarnt und seien alternative Strategien aufgezeigt. In diesem konkreten Fall ist das Schöne zudem, dass er die Alternativen bereits in sich trägt. Ein ökonomischer Umgang mit dem Material war gegen Ende des zweiten Weltkriegs eine Notwendigkeit und die damaligen Überlegungen zu Vorfertigung und zu Rück- und Wiederaufbau sind aus heutiger Sicht eine visionäre oder zumindest eine wiederverwendbare oder schlicht eine anwendbare Vorgehensweise.

Die Rede ist von den eher unscheinbaren, jedoch äusserst sorgfältig entworfenen Holzbauten von Hans Bernoulli und Karl Mayer. Die Architekten entwickelten in den 1940er-Jahren gemeinsam mit der Basler Firma Nielsen-Bohny die NILBO-Bauweise, ein modulares System aus präfabrizierten Holzbauelementen. Ein Element war 1.06 m breit und 2 m hoch, wie die Masse der Haustür. Fenster gab es innerhalb des Elements in grosser und kleiner Ausführung. Die Elemente wurden über einem Schwellenkranz errichtet und ohne Verschraubung in doppel-T-förmige Pfosten eingeschoben. Die Bautiefe war über die Dachkonstruktion gegeben, die Baulänge hingegen war in Abstufungen variabel. Mit der NILBO-Bauweise wurden auf Basel-städtischem Grund nicht nur Wohnbauten rasch und kostengünstig erstellt, wie zum Beispiel die Siedlung im Landauer, sondern auch zahlreiche Kindergärten, von denen einige bereits und andere noch nicht ins Inventar der Denkmalpflege aufgenommen wurden.

NILBO-Bauweise – Die Elemente © wbw Band 32 1945

NILBO-Bauweise – Der Montageverlauf © wbw Band 32 1945

Ein Augenschein vor Ort zeigt, dass diejenigen Kindergartenbauten, die noch erhalten sind, alle in Benutzung sind. Einige befinden sich sogar in einem derart lebendigen und schönen Zustand, wie man ihn sich für Kinder eigentlich nur wünschen kann. Allerdings ist nicht zu übersehen, dass einige der Bauten sanierungsbedürftig sind. Vermutlich wäre es auch angezeigt, die Bauten achtsam nachzudämmen. Hierzu hat Florian Rauch eine von der IBS beauftragte Machbarkeitsstudie erarbeitet, die gemäss seiner Aussage exemplarisch aufzeigt, wie die NILBO-Bauten angemessen saniert und energetisch ertüchtigt werden könnten.

Kleinhüningerstrasse 150-154 © Kantonale Denkmalpflege Basel-Stadt, Kathrin Schulthess

Niederholzstrasse 95 © Kantonale Denkmalpflege Basel-Stadt, Kathrin Schulthess

Ein weiterer Einwand könnte sein, das Raumangebot entspreche nicht mehr heutigen Standards. Doch auch diesem Problem könnte durch eine systemimmanente Erweiterung der modularen Bauweise begegnet werden. Ein solches Vorgehen würde der ursprünglichen Konzeption der Bauten nicht einmal widersprechen.

Niederholzstrasse 95 © Foto: Kantonale Denkmalpflege Basel-Stadt, Kathrin Schulthess

Niederholzstrasse 95 © Kantonale Denkmalpflege Basel-Stadt, Kathrin Schulthess

Und selbst ein Versetzen der Holzbauten kann in Erwägung gezogen werden. Einmal hat es bereits bestens funktioniert: Auf dem Areal des Niederholzschulhauses in Riehen stand ein 1946 von Hans Bernoulli errichteter Kindergartenpavillon einem geplanten Neubau von Rolf Brüderlin im Wege und wurde von eben diesem Architekten 1994 erfolgreich in die Nähe des Bahndamms versetzt und ist dort bis heute nutzbar. Die Elemente liessen sich angeblich bestens voneinander lösen und waren gut transportier- und remontierbar. Das NILBO-System mit präfabrizierten Holzbauelementen machte es möglich, auf einen Abriss zu verzichten und stattdessen dem Kindergarten an einem neuen Standort ein verlängertes Leben zu geben. Dank der guten Instandhaltung des Gebäudes, das von Beginn an über einen ausgeprägten konstruktiven Holzschutz verfügte, war es einfach und mit geringem finanziellen Aufwand versetzbar.

Im Zuge der erneut anstehenden Schulerweiterung auf dem Niederholzareal und möglicher anderer Kindergartenerweiterungen auf Kantonsgebiet, wird sich die Frage demnächst wieder stellen: Wohin mit den falunroten ‘Bernoulli-Holzbauten’, wenn sie einem Neubau gegebenenfalls im Wege stehen sollten? Die Antwort ist eigentlich naheliegend: Den kulturhistorisch wertvollen Bestand ertüchtigen und aus seiner Logik heraus nach Bedarf erweitern. Oder aber den Bestand versetzen und dadurch Kindergartenanlagen, die Bedarf an zusätzlichen Räumen hätten, mit einem Zusatzbau beglücken.

Ein blosser Abriss dieser Bauten, deren Konzeption gerade heute wieder an Aktualität und Relevanz gewinnt, wäre meines Erachtens eine verpasste Chance!

Text: Susanne Vécsey, 7.3.2023

 

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