Arbeiterwohnungen und Direktorenvilla der Uhrenfabrik Oris Hölstein | Baselbieter Baukultur #10

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Heute widmen wir uns dem nach wie vor aktuellen Thema der Wohnungsnot, führen aber keine politische Debatte, sondern blicken hundert Jahre zurück nach Hölstein. Als die Uhrenfirma Oris SA 1908 ihre Türen öffnete, dürfte sich wohl mancher gefragt haben, wo die Angestellten denn alle wohnen sollten, stellt eine solch grosse Fabrik ein kleines Dorf wie Hölstein doch vor einige Fragen.

Neobarock und Art-déco in Hölstein
Tatsächlich wohnten eine Vielzahl der Angestellten in Hölstein selbst, oder zumindest in den umliegenden Dörfern. Beliebt war damals auch Heimarbeit. Offenbar kam man aber nicht umhin, zusätzlichen Wohnraum zu schaffen.
Südlich des Produktionsgebäudes wurde 1910 mit dem Bau einer Arbeitersiedlung begonnen. 1919 bauten die Architekten Werner Oesch und Constant Rossier parallel zu den Arbeiterhäusern an der Kirchgasse zwei unterschiedliche Mehrfamilienhäuser am Neuweg. Die beiden dreigeschossigen Gebäude mit grossen Krüppelwaldächern und Lukarnen orientieren sich in ihrer Detailausgestaltung am Neobarock. Die Mehrfamilienhäuser boten jeweils Platz für sechs Familien. Die Grundrisse orientieren sich am zeittypischen Genossenschaftsbau. Ursprünglich geplant waren zwei weitere dieser Bauten.

Doppelhaus 1921, Hölstein © Börje Müller Fotografie

Doppelhaus 1921, Hölstein © Börje Müller Fotografie

Zwei Strassen weiter am Obermattweg bauten Oesch & Rossier 1921 ein weiteres Gebäude. Das Doppelhaus im Art-déco-Stil war um einiges grosszügiger wie die Mehrfamilien- und Arbeiterhäuser und dem Kader der Uhrenfabrik vorbehalten. Trotz dieser Unterschiede integriert sich das Einzelhaus gut in die Reihenbebauung. Die Südfassade der Häuser verfügt zum grosszügigen Garten hin über einen polygonalen Erker als Erweiterung des Wohnzimmers im Erdgeschoss mit darüber liegendem Balkon des Schlafzimmers im Obergeschoss. Zu erwähnen sind neben dem detailliert ausgestalteten Eingang und den Fenstern insbesondere die Mauern und Zäune im Garten.

Reihenhäuser 1930, Hölstein © Börje Müller Fotografie

Reihenhäuser 1930, Hölstein © Börje Müller Fotografie

Die Firma Gröflin & Mohler, ihrerseits Bauherrin der Arbeiter-Reihenhaussiedlung entschied sich entgegen dem ursprünglichen Plan, die Zeile um einige Elemente weiterzuführen, für den Bau einfacher Einfamilienhäuser. Die zweistöckigen Reihenhäuser sind nordseitig mit Zäunen zur Gartenstrasse hin abgegrenzt. Südseitig gehört zu jedem Haus ein länglicher Nutzgarten, der auf Selbstversorgung ausgerichtet war.

Direktorenvilla mit Weitblick
Vielleicht weil die Aussicht in der Senke es Waldenburgertals etwas beschränkt ist, liess der damalige Gründer und Direktor der Oris, Paul Cattin 1908 seine Villa etwas erhöht am westlichen Hang bauen. Ziemlich sicher aber hatte er damit einen guten Überblick über die gesamte Arbeitersiedlung und direkten Blickkontakt zu den Produktionsgebäuden. Der Entwurf stammt wiederum aus der Feder von Oesch & Rossier.
Der quadratische Grundriss des Gebäudes im romantischen Landhausstil wurde 1918 durch Mitbegründer Georges Christian, der die Villa übernahm, nördlich durch ein eingeschossiges Annex ergänzt. Das einfallsreiche Walmdach, die Erker und Balkone ergeben zusammen mit den Jugendstil-Geländern eine – wie «Bauten im Baselbiet» es nennt – «malerische Stimmung». Zumindest mit dem südseitigen Garten, der Garage von 1917 mit zwei Stichbogenportalen und dem neuklassizistischen Gartenpavillon von 1936 funktioniert das für das Ortsbild wichtige Ensemble sehr gut.

Direktorenvilla Cattin 1908 mit Garage 1917 , Hölstein © Börje Müller Fotografie

Direktorenvilla Cattin 1908 mit Garage 1917 , Hölstein © Börje Müller Fotografie

Mehrfamilienhäuser
Funktion: Wohnen
Adresse: Neuweg 2-4, 6-8, 4434 Hölstein
Baujahr: 1919
Architektur: Werner Oesch & Constant Rossier
Wohnungen pro Gebäude: 3 × 3,5 Zi, 3 × 2,5 Zi

Doppelhaus
Funktion: Wohnen
Adresse: Obermattweg 2-4, 4434 Hölstein
Baujahr: 1921
Architektur: Werner Oesch & Constant Rossier
Wohnungen: 2 grosszügige Wohnungen

Reihenhäuser
Funktion: Wohnen
Adresse: Gartenstrasse 4-10, 4434 Hölstein
Baujahr: 1930
Architektur: Werner Oesch & Constant Rossier
Wohnungen: 4 Reihenhaus-Wohnungen

Direktorenvilla Cattin
Funktion: Wohnen
Adresse: Hauptstrasse 42, 44, 44b, 4434 Hölstein
Baujahr: 1908, 1918 (Erweiterung)
Garage: 1917, Gartenpavillon: 1936
Architektur: Werner Oesch & Constant Rossier


Text:
– Simon Heiniger / Architektur Basel
Fotos:
– © Börje Müller Fotografie
Quellen:
– Hasche, K. & Hanak, M. (2010), Bauten im Baselbiet: eine Architekturgeschichte mit 12 Spaziergängen, Schwabe AG, Basel. ISBN: 978-3-7965-2664-0

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