REHAB Basel #2 – Das Gebäude aus der Sicht der PatientInnen und Mitarbeitenden

0

Warum die Klinik für Neurorehabilitation und Paraplegiologie, das REHAB Basel, von Herzog & de Meuron aus architektonischer Sicht ein räumliches, kreatives und innovatives Bauwerk ist, wurde im ersten Teil der dreiteiligen Serie zum 20-jährigen Jubiläum des Gebäudes beschrieben. Doch wie sehen und erleben die Nutzerinnen und Nutzer das Klinikgebäude? Die Menschen, die tagtäglich in der Klinik arbeiten, therapiert und geheilt werden oder Angehörige besuchen? Die Mitarbeitenden, Patientinnen und Patienten?

Vorab möchte ich mich recht herzlich bei der ehemaligen Patientin Andrea Campagna und dem ambulanten Patienten und ‚Botschafter‘ des REHAB, Stephan Freude, sowie bei den Mitarbeiterinnen Katrin Hitzegrad, Katja Doepgen und Nina Clobes, Stationsleitungen der Tagesklinik, der SAP-Station (Station für schwer verhaltensauffällige Patienten) und Leitung der Logopädie, bedanken. Durch ihre Bereitschaft zu einem persönlichen, sehr offenen und interessanten Gespräch, war es möglich, die architektonischen Eindrücke aus der Perspektive der NutzeInnen zu erleben, und zu erfahren wie sich das alltägliche Sein im REHAB Basel, anfühlt.

Der Grundriss des 1. Obergeschosses © Herzog & de Meuron

Der Grundriss des 1. Obergeschosses © Herzog & de Meuron

Zunächst führen wir unseren Rundgang durch das Gebäude fort und betrachten die fünf Stationen mit den Patientenzimmern im ersten Obergeschoss, das über barrierefreie Aufzüge und eine grosszügige Treppe erschlossen wird. Der Raum und die Ausstattung der Patientenzimmer wurden speziell für das REHAB entwickelt. Grosse Verglasungen fassen die Zimmer, ermöglichen Ausblick in die Landschaft und lassen den Aussenraum Teil des Zimmers werden. Transparente Acrylglaskugeln in der gebogenen Holzdecke zeichnen die Zimmer aus, ermöglichen den liegenden PatientInnen Ausblick in den Himmel und belichten den Raum. Durch sie dringen Tag und Nacht ein und kreieren eine natürliche Atmosphäre, unterstützt durch die behagliche Ausstrahlung des auch hier vorherrschenden Materials Holz.

Ein Patientenzimmer mit transparenter Acrylglaskugel © Margherita Spiluttini

Ein Patientenzimmer mit transparenter Acrylglaskugel © Margherita Spiluttini

Ein farbig gestaltetes Badezimmer © REHAB Basel

Ein farbig gestaltetes Badezimmer © REHAB Basel

Die umlaufende Veranda ist so tief, dass die Spitalbetten nach draussen geschoben werden können, das Verweilen im Freien und das Erfahren der Umwelt möglich ist. Bei Bedarf können die Aussenbereiche mit Vorhängen separiert werden. Ausgelegt sind die Zimmer für eine Zweierbelegung und durch farbig gestaltete Bäder ergänzt, sodass sich die PatientInnen bei langem Aufenthalt nicht in einem tristen Raum befinden. Insgesamt verfügt das REHAB über hundert Betten.

Die Veranda vor den Patientenzimmern © Katalin Deér

Die Veranda vor den Patientenzimmern © Katalin Deér

Dass die Idee der Architekten Herzog & de Meuron funktioniert und eine grosse Bereicherung für die stationären PatienInnen darstellt, kann Andrea Campagna bestätigen. Wegen einer Erkrankung sass sie vorübergehend im Rollstuhl und wurde sechs Monate im REHAB behandelt. Zu Beginn stand der Schicksalsschlag im Vordergrund, weshalb sie sich nur schwer auf ihre Umgebung konzentrieren konnte. Durch die Therapien in der Klinik angekommen, hat sie sich jedoch schnell wohl und sicher gefühlt. Weil das Gebäude für sie vor allem eins ausstrahlt – Ruhe und Geborgenheit.

Seelisch war sie während ihrem Aufenthalt in der Klinik allerdings nicht in bester Verfassung und von den grellen Farben des Badezimmers meist gestresst, weil diese ihr zu positiv aufs Gemüt schlugen. Dennoch sind ihre Erinnerungen an das REHAB überwiegend positiv. Vor ihrer Erkrankung war Andrea als Ergotherapeutin im Unispital tätig. Weil ihr die Tiergestützte Therapie während ihrer Rehabilitation sehr geholfen hat, möchte sie sich beruflich nun in diese Richtung orientieren.

Das REHAB bei Nacht © Margherita Spiluttini

Das REHAB bei Nacht © Margherita Spiluttini

„Ich war von meinem Zimmer auf Station begeistert. Die Kugel hat mich in ihren Bann gezogen. Während ich nachts sehr oft und lange wach lag, konnte ich die Sterne sehen und beobachten. Diese Weitsicht hat mich beruhigt.“
Andrea Campagna, ehemalige Patientin

Ein Begriff der im Zusammenhang mit dem REHAB Basel immer wieder fällt, ist der der ‚Heilsamen Architektur‘. So könnte man Gesundheitsbauten beschrieben, die nicht nur funktional, sondern auch ästhetisch gestaltet sind. Genauer gesagt so, dass Menschen sich in ihnen wohlfühlen und dadurch besser gesund werden, weil die Gesetzmässigkeiten des leiblich-räumlichen Wahrnehmens und Spürens berücksichtigt werden. Auf die Frage nach ‚Heilsamer Architektur‘ und ob diese für PatientInnen wahrnehmbar und spürbar ist, antwortet Stephan Freude mit einem deutlichen Ja. Er ist wegen eines Motorradunfalls querschnittgelähmt und wird im REHAB ambulant behandelt. Die Architektur, respektiv die Umgebung, in der die Rehabilitation stattfindet, ist eine wichtige Komponente im komplexen Prozess der Heilung. Eine gewölbte Decke, darin eine transparente Kugel, eine raumhohe Verglasung und davor eine grosszügige Terrasse, können einen grossen Unterschied machen und zum Heilungsprozess beitragen.

Aus seiner körperlichen Beeinträchtigung hat sich in der Zwischenzeit eine Selbstständigkeit als Speaker und Dozent entwickelt. Als jemand der Erfahrung hat, begleitet er als ‚Peer‘ frisch verletzte Menschen und inspiriert sie, weil das Leben wegen einer Querschnittlähmung nicht vorbei ist. Ausserdem ist er als ‚Botschafter‘ des REHAB tätig, in seiner Freizeit sehr aktiv und treibt viel Sport.

„Als ‚Botschafter‘ des REHAB ist es mir ein grosses Anliegen, Menschen zu sensibilisieren, dass auch Querschnittgelähmte normale Menschen sind, welche sehr viele Möglichkeiten für ein erfülltes und aktives Leben, inklusive Arbeit, Freizeit und Beziehung haben können. Oft erlebe ich eine grosse Unwissenheit und Unsicherheit im Umgang mit Rollstuhlfahrern.“
Stephan Freude, ambulanter Patient und ‚Botschafter‘ des REHAB Basel

Es gibt einen Umstand, den Andrea Campagna während ihrem Aufenthalt im REHAB als negativ empfunden hat. Die steile Treppe, die hinauf ins zweite Obergeschoss führt, während die Treppe ins erste Obergeschoss tiefe Stufen hat und die Steigung deshalb wesentlich flacher ist. Dem ist so, weil die Treppen für Trainingszwecke genutzt werden und den Fortschritt der Rehabilitation im Verhältnis zur Lage der entsprechenden Räumlichkeiten im Gebäude symbolisieren. Über diese gelangen wir nun in das zweite Obergeschoss, wo sich neben der Rekreation und dem Übungswohnen, neu auch die Tagesklinik befindet.

Der Grundriss des 2. Obergeschosses © Herzog & de Meuron

Der Grundriss des 2. Obergeschosses © Herzog & de Meuron

In den letzten Jahren wurde das REHAB Basel umstrukturiert und erweitert. Die Tagesklinik befand sich zuvor im Erdgeschoss, wo sie der neuen SAP-Station weichen musste. 2019 wurde der für Tagesaufenthalte konzipierte Teil der Klinik auf das Dach verlegt und bietet Platz für bis zu zwölf PatientInnen pro Tag, die nach der Rehabilitation weiterhin an Therapien teilnehmen. In den wohnlichen Räumen verbringen die PatientInnen die Zeit zwischen den Therapien, essen gemeinsam, tauschen sich aus, und können auf den speziell entwickelten Liegen im Ruheraum oder auf der Veranda ausruhen.

Die Veranda der Aufstockung © Katalin Deér

Die Veranda der Aufstockung © Katalin Deér

Um ein Maximum an Funktionalität zu gewährleisten, wurden die Mitarbeitenden der Tagesklinik im Entwicklungs- und Bauprozess als SpezialistInnen für die Bedürfnisse der PatientInnen hinzugezogen. Damit der architektonische Ausdruck dem des bestehenden Klinikgebäudes entspricht, haben die Architekten den neuen Gebäudeteil mit den gleichen Entwurfsideen und den bereits vorherrschenden Materialien gestaltet, weshalb sich die Tagesklinik gut integriert und mit dem Betand harmoniert.

Die Aufstockung – kaum als neuer Gebäudeteil zu erkennen © Katalin Deér

Die Aufstockung – kaum als neuer Gebäudeteil zu erkennen © Katalin Deér

„Die funktionalen Ansprüche, die wir wegen der Bedürfnisse der Patienten hatten, mussten integriert und mit dem Architektonischen verbunden werden. Alles wurde sehr gut durchdacht und versucht, jedes Detail miteinzubeziehen. Ich habe viel gelernt und bin erstaunt, wie die Architekten unsere Wünsche auf kleinstem Raum realisiert haben.“
Katrin Hitzegrad, Stationsleitung der Tagesklinik

Nach einer Hirnschädigung sind viele PatientInnen zeitlich, örtlich und kognitiv nicht orientiert und weisen schwere Verhaltensauffälligkeiten auf. Dann wird zunächst eine vertrauensvolle Beziehung aufgebaut, die Therapeuten müssen einen Punkt finden, an dem sie die PatientInnen erreichen können, bevor diese in der Lage sind, mit der Rehabilitation zu beginnen. Nachdem die SAP-Station innerhalb anderer Stationen getestet wurde, konnten die gemachten Erfahrungen beim Neubau im Erdgeschoss mit einfliessen und sie ist jetzt für die speziellen Bedürfnisse der PatientInnen ausgelegt. 

In einer sehr reizarmen und gesteuerten Umgebung, lernen sie sich wieder zu orientieren, ohne verunsichert zu werden. Haben sie beispielsweise einen ausgeprägten Bewegungsdrang, können sie auf Station im Kreis laufen, ohne wegzulaufen, was ihnen das Gefühl einer gewissen Selbstbestimmung gibt. Weil sie sonst zu vielen Reizen ausgesetzt sind, können die Therapien auf Station stattfinden, damit sich die PatientInnen auf diese konzentrieren können.

„Uns steht mit dem REHAB eine ideale Umgebung zur Verfügung und wir können entscheiden, was wir daraus machen. Wir können uns auf jeden Patienten individuell einstellen, was auch für uns angenehmer und am Ende des Tages befriedigender ist.“
Katja Doepgen, Stationsleitung SAP-Station (Station für schwer verhaltensauffällige Patienten)

Die Mitarbeiterinnen beschäftigen sich primär nicht mit Architektur und es ist für sie kein Grund, im REHAB Basel als solche tätig zu werden. Dennoch haben sie festgestellt, dass die Klinik, im Vergleich zu vielen anderen, in vielerlei Hinsicht speziell ist und schätzen vor allem die Möglichkeiten, die Ihnen das Gebäude bei der interprofessionellen Zusammenarbeit bietet. Trotz alledem sieht sich auch das REHAB, das für Pflegepersonal, TherapeutInnen und ÄrztInnen wohl einen der funktionalsten und ästhetischsten Arbeitsorte sein kann, mit einem Fachkräftemangel konfrontiert.

Die Rekreation © REHAB Basel

Die Rekreation © REHAB Basel

„Es gibt unter anderen drei Dinge, die für mich in meiner Arbeit wichtig sind: Ein interprofessionelles Team, mit viel Erfahrung und fachlicher Kompetenz, die Räumlichkeiten, die mir für die Therapie zur Verfügung stehen und die Therapiematerialien, um die Anwendungen durchführen zu können. Im REHAB kann ich meine Arbeit gemäss meiner eigenen Erwartungshaltung ausführen und bin extrem frei in der Gestaltung der Therapien. Die Möglichkeiten sind so divers, innen wie aussen, und das ist sehr besonders.“
Nina Clobes, Leitung Logopädie

Mit einem Spital verbinden die meisten Menschen Sterilität. Doch Sterilität ist wohl das Letzte, woran man im REHAB Basel denkt. Die Idee der Architekten, ein Spital zu entwickeln, das nicht wie eines wirkt, hat den Spitalbau weitergerbracht. Im letzten Teil blicken wir mit Christine Binswanger, Partnerin von Herzog & de Meuron, zurück und voraus. Erfahren, wie es möglich war, einen solch wegweisenden Spitalbau zu entwerfen, zu planen und auszuführen, welche Rolle die Bauherrschaft in diesem Prozess gespielt hat und was es ihr persönlich bedeutet ,einen grossen Teil, in Form von guter Architektur, zu einem für Menschen solch bedeutenden Prozess wie dem der Heilung beizutragen.

Text: Johanna Bindas / Architektur Basel


Anlässlich des Jubiläums findet am Samstag, den 21. Mai 2022 der «Tag der offenen Tür» statt. Dann öffnet das REHAB Basel von 11 – 18 Uhr seine Türen.

Wer vorab schon einen Blick in das Gebäude werfen will, hat in einer besonderen Videoführung die Möglichkeit. Stephan Freude, ‚Botschafter‘ des REHAB Basel, zeigt das Haus aus seiner Perspektive als Rollstuhlfahrer und Katrin Burow, Leiterin Kommunikation, erklärt die architektonischen Besonderheiten.


Quellen:
– Gespräche mit einer ehemaligen Patientin, einem ambulanten Patienten und Mitarbeiterinnen des REHAB Basel
– Herzog & de Meuron. Rehab Basel: Räume zum Wohlfühlen. In: Hochparterre: Zeitschrift für Architektur und Design, 2003, Band 16, Heft 4: Hindernisfrei bauen: auf dem Weg zu einem Standard, Seite 10-13. ETH Zürich, www.e-periodica.ch, http://doi.org/10.5169/seals-122124
– ZEITRÄUME. Passagen durch das REHAB Basel. Mit Dr. med. Mark Mäder, Chefarzt REHAB Basel und Christine Binswanger, Architektin Herzog & de Meuron. VISAVISTA AG, 2009
– 50 Jahre REHAB Basel. Das Magazin zum Jubiläum. Eine Publikation des REHAB Basel in Zusammenarbeit mit NZZ Media Solutions AG. Herausgeber: REHAB Basel, Christine Kilcher (Projektleitung), Realisation: NZZ Content Solutions, Elmar zur Bonsen
– www.herzogdemeuron.com
– www.rehab.ch

 

Comments are closed.