Emanuel Christ: „Bauen für die Rendite und nicht für die Menschen – das lohnt sich auf die Dauer kaum“ – Monatsinterview #4

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«Basel ist nie langweilig», sagt Emnauel Christ im vierten und letzten Teil des Monatsinterviews, wo wir über seine Heimatstadt am Rheinknie sprechen. Die Mischung aus Kleinstadt und Global Village mache Basel so reizvoll, findet Christ. Ein Gespräch über die Globalisierung, Herzog & de Meuron, Pfadfinder, «Unggle Ruedi» und das Areal Wolf.

Lukas Gruntz (Architektur Basel): Du wurdest 1970 in Basel geboren. Was sind die Erinnerungen an das Basel deiner Kindheit? Und wie hat sich die Stadt seither verändert?
Emanuel Christ: “Die markanteste Veränderung seit meiner Kindheit ist der Globalisierungsschritt, den Basel gemacht hat. Dieser Schritt ist verbunden mit einem starken wirtschaftlichen Wachstum. Basel ist internationaler geworden, für einige vielleicht auch anonymer, wobei ich das nicht so empfinde. Städtebaulich sind die Folgen offensichtlich.” 

True Talk mit Emanuel Christ: «Basel ist internationaler geworden, für einige vielleicht auch anonymer.» © Armin Schärer / Architektur Basel

Internationaler? Was macht die Lebensqualität in Basel aus?
“Basel ist genauso lebenswert wie früher. Das kosmopolitische Dorf, die Mischung aus Kleinstadt und Global Village, ist grossartig. Die Umstände haben dazu geführt, dass ich Architekt wurde und mein Büro hier gegründet habe. Es ist schön, dass wir hier einige Projekte realisieren konnten grosse und kleine. Dadurch veränderte sich meine Wahrnehmung der Stadt, da ich inzwischen ganz anders involviert bin. Dass ich als Architekt wahrgenommen werde und mich einbringen kann, empfinde ich als Privileg. Basel ist deshalb nie langweilig, ganz im Gegenteil. Ich erlebe die Stadt im Zusammenhang mit meiner beruflichen Tätigkeit als extrem dynamisch. Dazu trägt übrigens auch Herzog & de Meuron als erfolgreiches, global tätiges Unternehmen massgeblich bei.”

Die Wichtigkeit von Herzog & de Meuron, aber auch Diener & Diener für die eigenen berufliche Entwicklung hat uns auch Meinrad Morger im Interview bekräftigt.
“Die Wirkungsmacht von Herzog & de Meuron und Diener & Diener ist unbestritten. Man sollte aber auch Michael Alder nicht vergessen. Seine Architektur nahe am Leben war eine sehr wesentliche Position für mich.”

“In der Familie waren wir von einigen Architekten umgeben. Bei denen zu Hause war es immer so schön und geschmackvoll. Da hatte es viele schöne Gegenstände und die wussten von jeder Stadt in Italien, wo die guten Restaurants sind. Ich dachte mir: “Die verstehen etwas vom Leben.”

Christ über seine Jugend: «Ich war bei den Pfadfindern…»  © Armin Schärer / Architektur Basel

Stimmt. Alder sollte man auf keinen Fall vergessen. Zurück zu dir: Wie bist du persönlich zur Architektur gekommen?
“Interessanterweise wusste ich bereits mit 15 Jahren, dass ich Architektur studieren wollte. Ich war bei den Pfadfindern und hatte einen Leiter, der ein paar Jahre älter war als ich und als Bauzeichner gearbeitet hatte und danach am Technikum in Muttenz bei Michael Alder studierte. Er war ein Vorbild für mich. Auch in der Familie waren wir von einigen Architekten umgeben. Bei denen zu Hause war es immer so schön und geschmackvoll. Da hatte es viele schöne Gegenstände und die wussten von jeder Stadt in Italien, wo die guten Restaurants sind. Ich dachte mir: “Die verstehen etwas vom Leben.” Das fand ich beeindruckend. Nach der Matura habe ich dann ein Zwischenjahr gemacht, wo ich mich nochmals vergewissern wollte, ob Architektur wirklich das Richtige für mich ist. Ich absolvierte deshalb ein Praktikum bei Brogli Müller Architekten, einem kleineren Büro in Basel, das bis heute schöne, stimmige Arbeiten macht. Das hat mir sehr gefallen. Es ging es um elementare Dinge, wie Massaufnahmen auf der Baustelle und das genaue Verstehen von Konstruktionsdetails. Danach ging ich an die EPFL. Die im Unterschied zur ETH kleinere Schule sah ich als Chance, und die französische Sprache gefiel mir. Den zweiten Teil des Studiums absolvierte ich dann aber doch an der ETH in Zürich.”

Der bekannte Basler Architekt Rudolf Christ war dein Grossonkel. Sein Werk umfasst verschiedene Villen auf dem Bruderholz, Genossenschaftsbauten und die Mitautorenschaft beim Kunstmuseum Basel. Hatte dieser Bezug zur Architektur einen Einfluss auf deinen Berufswunsch und Werdegang zum Architekten?
“Das hatte keinen Einfluss. Ich habe ihn zwar noch erlebt, aber eigentlich nicht gekannt. Er starb Mitte der 1970er-Jahre. Der sogennannte “Unggle Ruedi” spielte schon irgendwie eine Rolle und ich wusste vage, dass er am Bau des Kunstmuseums beteiligt war. Ich habe Rudolf Christ als Architekten jedoch erst viel später kennengelernt, als ich selbst am Kunstmuseum arbeiten durfte. Da habe ich seine architektonischen Qualitäten erst richtig erkannt. Er war ein sehr guter Architekt, der in einem modernen Verständnis dem Traditionellen verpflichtet war. In diesem Sinne hat er viele gute Bauten realisiert. Leider ist sein Nachlass zu weiten Teilen verschwunden. Das Archiv wurde vernachlässigt. Immerhin habe ich seine Skizzenbücher gefunden. Die sind toll. Aber zurück zu deiner Frage: Für meine eigene Ambition als Architekt spielte Rudolf Christ keine Rolle. ich würde sogar sagen: Zum Glück. Die eigene Familie ist als kulturelle Referenz zwar wichtig, aber letztlich ist es eigentlich unbedeutend, wer deine Vorfahren waren.”

Es kann im schlechten Fall sogar zur Bürde werden.
“Das stimmt. Diese Last gab es bei mir nicht. Dafür war die Distanz zu gross. Aber Rudolf Christ war auf jeden Fall eine interessante und relevante Architektenpersönlichkeit.”

«Im Städtebau sieht man die Veränderungen sehr direkt und Basel ist da ein besonders interessantes Labor. Wir haben eine spezielle städtische Kultur, seien es der Novartis Campus, die Roche-Türme oder die Erlenmatt, die ich zwar nicht berauschend finde, die aber dennoch gut funktioniert.»

Architektur Basel-Redaktor Lukas Gruntz beim Montasinterview mit Emanuel Christ © Armin Schärer / Architektur Basel

In einem Interview sagtest du: “Wir Schweizer sind gut darin, selbst vehemente Veränderungen so darzustellen, als fänden diese kaum statt.” Was heisst das mit Blick auf die grossen Veränderungen in Basel, die wir derzeit erleben?
“Mit diesem Statement meinte ich vor allem eine geistige Verfassung. Veränderungen sind etwas Bedrohliches und dennoch gibt es sie. Die Schweiz ist da sehr vorsichtig. Man wartet ab, schaut und verfällt selten in eine Fortschrittseuphorie. Dennoch realisieren wir grosse Infrastrukturprojekte, wie zum Beispiel die NEAT. Auch die digitale Vernetzung läuft in der Schweiz nicht so schlecht. Im Städtebau sieht man die Veränderungen sehr direkt und Basel ist da ein besonders interessantes Labor. Wir haben eine spezielle städtische Kultur, seien es der Novartis Campus, die Roche-Türme oder die Erlenmatt, die ich zwar nicht berauschend finde, die aber dennoch gut funktioniert.”

Christ & Gantenbein sind punkto Arealentwicklungen beim Wolf massgeblich beteitligt.
“Das Areal Wolf, wo wir die städtebauliche Studie erarbeitet haben, ist ein ein ziemlich spektakuläres Projekt mit extremen Bedingungen. Es handelt sich um ein sehr grosses Restgrundstück, das nicht einfach zu bewohnen und benutzen sein wird. Aber genau deshalb führt das im besten Fall zu einer besonders prägnanten architektonischen Lösung: ein ein Kilometer langer Hof. Das gibt einen extrem kraftvollen Raum.”

«Manchmal steht diesem Nachdenken tatsächlich eine gewisse Ungeduld des Kapitalmarkts, wo zurzeit Geld ohne Ende da ist, entgegen. Das kann dann dazu führen, dass ein kurzfristig drängender Anlagebedarf und nicht die städtischen Bedürfnisse den eigentlichen Grund fürs Bauen darstellt. Bauen für die Rendite und nicht für die Menschen das lohnt sich aber auf die Dauer kaum.»

Arealentwicklung Wolf Basel © SBB

Christ zur Arealentwicklung Wolf: «Das gibt einen extrem kraftvollen Raum.» © SBB / Christ & Gantenbein

Bruno Trinkler hat da im Interview mit uns die Befürchtung geäussert, dass all die anstehenden Arealentwicklungen zu schnell und vor allem parallel stattfinden, und für die übernächste Generation sozusagen nichts mehr zu entwickeln übrig bleibt. Teilst du diese Befürchtung?
“Ich mache mir da nicht so grosse Sorgen. Alle grossen Entwicklungsprojekte nehmen sehr viel Zeit bis zu ihrer Realisierung in Anspruch. Das haben wir bei der Erlenmatt gesehen. Und das gilt auch für den Wolf und für das Klybeck oder das Rosental. Und ich finde zum Glück. Denn wir brauchen die Zeit, um über die laufenden Entwicklungen kritisch nachzudenken und neue Erkenntnisse zu gewinnen. Manchmal steht diesem Nachdenken tatsächlich eine gewisse Ungeduld des Kapitalmarkts, wo zurzeit Geld ohne Ende da ist, entgegen. Das kann dann dazu führen, dass ein kurzfristig drängender Anlagebedarf und nicht die städtischen Bedürfnisse den eigentlichen Grund fürs Bauen darstellt. Bauen für die Rendite und nicht für die Menschen das lohnt sich aber auf die Dauer kaum.”

“Was für eine Frage! Ein Wunschkonzert…» © Armin Schärer / Architektur Basel

Mit dem Erweiterungsbau des Kunstmuseums, einem der wichtigsten Bauprojekte der letzten Dekade, habt ihr euch verewigt. Wenn du frei wählen könntest, welche Bauaufgabe an welchem Ort in Basel würde dich besonders reizen?
“Was für eine Frage! Ein Wunschkonzert. Ich gebe meine Antwort aus der aktuellen Situation heraus: Ich möchte unbedingt den Altbau des Kunstmuseum sanieren. Da läuft gerade die Ausschreibung, und das wäre eine Aufgabe, über die ich mich extrem freuen würde. Auch haben wir da schon viel Vorarbeit geleistet. Das ist jetzt wie gesagt ein sehr aktueller Wunsch. Wenn wir uns das nächste Mal sehen, erzähle ich dir dann vielleicht wieder von einer grossen städtebaulichen Idee.”

Von grossen Ideen berichten wir auf Architektur Basel immer gerne. Ich bin gespannt! Herzlichen Dank für das ausführliche Gespräch.

Interview: Lukas Gruntz / Architektur Basel
Fotos: Armin Schärer / Architektur Basel


Teil 1 > Emanuel Christ: „Unsere westliche Gesellschaft basiert auf der Idee des Wachstums“
Teil 2 > Emanuel Christ: „Das ist ein wunder Punkt bei uns Architekten“
Teil 3 > Emanuel Christ: „Unsere Lehrer waren die ersten virtuosen Entwerfer der postmodernen Theorie“

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